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"Es wird eng für die deutsche Europa- und Europolitik"

Deutschland wird im Machtkampf um die Nachfolge des scheidenden Eurogruppenchefs Juncker das Nachsehen haben, sagt "Wirtschaftswoche"-Chefredakteur Roland Tichy. Es offenbare sich eine "katastrophale" Blockbildung zwischen griechisch-französischer und deutsch-niederländischer Geldpolitik. Der EU drohe eine unversöhnliche Frontstellung zwischen Gebern und Nehmern.

Roland Tichy im Gespräch mit Dirk Müller | 06.12.2012
    Dirk Müller: Wir haben es eben gehört: Jean-Claude Juncker will nicht mehr, er nimmt seinen Hut als Chef der Eurogruppe. Die Stunden, die der Premier von Luxemburg zusätzlich auf sich genommen hat in den zurückliegenden zwei oder drei Jahren, will er selbst wohl am wenigsten wissen. Viel, sehr viel Arbeit und wenig, sehr wenig Schlaf und vor allem wenig Erfolg, das gehört dazu, erster unter gleichen im Eurostaat zu sein. Aber wer soll nun folgen, Wolfgang Schäuble oder der Niederländer Mark Rutte, oder der Italiener Mario Monti, oder gar der französische Finanzminister Pierre Moscovici? – Darüber sprechen wollen wir nun mit Roland Tichy, Chefredakteur der "Wirtschaftswoche". Guten Morgen!

    Roland Tichy: Guten Morgen!

    Müller: Herr Tichy, wenn wir über einen Franzosen reden, warum nicht gleich ein Grieche?

    Tichy: Ist eigentlich naheliegend, die Frage. Sie haben völlig recht. Es ist in Europa, wie Sie ja in Ihrer Frage insinuieren, eine Machtfrage. Es ist immer eine Machtfrage. Allerdings die Idee, dass der Vorsitzende der Eurogruppe ein Amt ausübt, das über dem Lande steht, ist ja, glaube ich, in der Tat aufzugeben, sondern es ist die Frage, welcher der beiden Blöcke in Europa, der griechisch-französische oder der deutsch-niederländische, erhält dieses wichtige Amt. Insofern ist es eine wichtige Frage für eine seltsame Funktion, aber wenn es um viel Geld geht, ist auch die Stelle hinter dem Komma wichtig.

    Müller: Muss Deutschland denn Blöcke akzeptieren, obwohl Deutschland so gut wie alles bezahlt?

    Tichy: Na, das ist ja so. Also man kann ja auch sich der Meinung anschließen zum Beispiel, dass die Europäische Zentralbank in Wirklichkeit gehighjackt wurde. Manche frühere Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank sehen das ja so. Auch die Mitglieder in den EZB-Führungsgremien sollen ja nur über das Geld wachen und gewissermaßen ihre Herkunft und ihre Tradition und ihr Wissen abstreifen wie einen schmutzig gewordenen Anzug. Das tun sie natürlich nicht. Insofern ist es sehr problematisch, dass die deutsche Tradition durch deutsche Vertreter nicht wegen ihrer Gene fehlt, sondern weil hier eine gewisse Kultur der Geldpolitik verloren gegangen ist. Und jetzt ist natürlich schon die Frage: Werden die anderen Gremien, die da dranhängen – und die Eurogruppe ist so eine wichtige Einrichtung -, werden die anderen Gremien auch von den Kreditnehmern, von den Schuldnern geführt, oder dürfen die Gläubiger gelegentlich auch was mitsprechen.

    Müller: Haben die Deutschen also in all diesen Gremien, die eine Rolle spielen – Sie haben das Beispiel genannt, Herr Tichy: EZB klar, dann auch im Grunde die Europäische Kommission, die EU insgesamt -, zu wenig zu sagen?

    Tichy: Das ist ja eine alte Debatte, die sicherlich auch daher kommt, weil Deutschland sich zu wenig um diese Ämter gekümmert hat. Aber man muss natürlich abschichten, um welche geht es da, und ich glaube, wir sollten jetzt nicht gleich ganz Europa in Verruf bringen, sondern es geht im Augenblick wirklich nur um die Geld- und Währungspolitik. Bei der EZB, da ist es klar: Da war ja die Idee, dass Deutschland zum Beispiel den Chefvolkswirt "erhält", das ist verloren gegangen, vom Präsidenten ist schon lange keine Rede mehr, sodass Deutschland nur noch über die Pflichtmitgliedschaft des Bundesbankpräsidenten da vertreten ist. Nun ist dieses Gremium ja so konstruiert, das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, ich kenne nur Geldpolitiker, keine Nationen. Aber de facto funktioniert sie natürlich anders, die EZB ist voll politisiert und voll natürlich schon auf einer Politik, die eben von Frankreich, Italien und Griechenland bestimmt wird. Wenn jetzt eben auch die Eurogruppe so gestimmt ist, dann ist das gut für eine bestimmte Art von Politik, aber schlecht für Deutschland als einzigem Zahler oder nicht, jedenfalls als dem größten Zahler.

    Müller: Heißt das, dass diejenigen, die es zuhause nicht können, dann auf der europäischen Ebene gerade dann mit der nationalen Karte spielen?


    Tichy: So kann man es nennen. Ich bin übrigens auch, so sehr ich über Juncker auch mit Ihnen geschmunzelt habe, nicht so ganz der Überzeugung, dass er der gute Onkel war, als der er sich gerne da so darstellt. Er hat auch eine knallharte Machtpolitik betrieben. Jetzt wird man sagen, wie kann der Chef von Luxemburg, eines Großherzogtums mit gut 400.000 Einwohnern, Machtpolitik spielen. Das ist der Bankenstandort in Deutschland. Über Luxemburg, die Drehscheibe, fließen die vielen Kredite und Juncker hat diesen Standortvorteil wohl gewusst zu schützen. Es war auch immer bei ihm, bei allen seinen Politiken ist das mitgeschwungen, die Geldquelle für Luxemburg zu schützen, und es gibt ja auch Leute die sagen, Luxemburg ist, was Geldwäsche, Steuerhinterziehung und illegale Transfers betrifft, so eine Art Piratennest auf dem Festland.

    Müller: Reden wir, Herr Tichy, einmal über Frankreich, über Paris. Francois Hollande ist im Moment Staatspräsident, vorher war das Sarkozy. Dann haben wir die Personen, die wir alle noch kennen: Dominique Strauss-Kahn, dann Jean-Claude Trichet, Christine Lagarde. Immer wieder an der Spitze die Franzosen. In der vergangenen Woche haben wir erfahren, wie schlecht es Frankreich geht und wie wenig reformfreudig Frankreich ist. Kann das zusammenpassen?

    Tichy: Das ist eine alte Tradition der französischen Politik, die sich auf allen Ebenen der Europäischen Gemeinschaft ja fortsetzt, dass man eben auch diese Gremien wertschätzt, und die Deutschen sind sehr nach innen zentriert, die Franzosen immer sehr auf Europa und die großen, supranationalen Einrichtungen wie dem IWF. Das ist eine Schwäche in Deutschland, das muss man ganz klar sagen, aber das darf man umgekehrt den Franzosen auch nicht vorwerfen. Wer klüger ist als ich, der hat darin noch nicht unbedingt ein Schuldeingeständnis damit verbunden. Aber in diese Frage ist auch Deutschland wieder so hineingestolpert, denn klar ist ja: die SPD kritisiert ja die Benennung möglicherweise von Wolfgang Schäuble für diesen Job, und sie hat in einem Punkt ja Recht. Schäuble ist überfordert in seiner Doppelrolle als Währungspolitiker und Finanzminister, und das muss sich irgendwie auflösen, denn mit der dritten Funktion, glaube ich, wäre er tatsächlich überfordert.

    Müller: Also er braucht nicht noch mehr Arbeit?

    Tichy: Er braucht nicht noch mehr Arbeit und jetzt stehen wir so ein bisschen wieder mit leeren Händen da, und darin besteht schon das Problem und wieder wird eine Position geräumt vermutlich, weil Deutschland keinen Kandidaten aufbieten kann beziehungsweise natürlich auch die Opposition da eigentlich mitziehen müsste, um eine gewisse Durchsetzungskraft zu erzielen. Dies ist nicht gegeben. Ich fürchte, jetzt geht es von einer zweitbesten Lösung auf eine drittbeste Lösung, das ist der Franzose statt Schäuble.

    Müller: Wir haben eben auch Mark Rutte einmal genannt, der niederländische Regierungschef, der hin und wieder im Moment kolportiert wird in dieser möglichen Kandidatenrunde. Jetzt haben viele in Deutschland ja das Gefühl, ja gut, die Niederländer, die bekommen das auf die Reihe, die sind gut, die können auch Reformen machen. Ist das so?

    Tichy: Ja, das ist weitgehend so, und die Länder, die Deutschland noch unterstützen – dazu zählt ja eben die Niederlande und das großmächtige Finnland, das natürlich auch keinen Kandidaten da zur Verfügung stellen kann. Also man sieht schon daran, dass es eng wird für die deutsche Europa- und deutsche Europolitik. Aber ich glaube, noch viel wichtiger ist: Schon unser Gespräch zeigt ja, dass wir stillschweigend etwas Katastrophales wieder annehmen, nämlich eine Vermachtung innerhalb der Europäischen Union, eine klare Blockbildung. Wir reden jetzt wie auf einer internationalen Konferenz und nicht wie in einer Gemeinschaft von Staaten, die an sich gemeinsam ein Ziel haben, nämlich den Wohlstand und die Sicherheit und den Frieden für ihre Länder und Bevölkerungen fortzuführen. Unser Gespräch spiegelt das eigentliche Drama wieder, das der Euro ausgelöst hat: Eine fast unversöhnliche Frontstellung zwischen Gebern und Nehmern.

    Müller: Roland Tichy heute Morgen bei uns im Interview, Chefredakteur der "Wirtschaftswoche". Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Düsseldorf.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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    Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker: "Er hat auch eine knallharte Machtpolitik betrieben." (picture alliance / dpa / EPA / Olivier Hoslet)