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Esoterik
Glaub an deinen Darm!

Der Kongress Spirit of Health, der an diesem Wochenende in Berlin stattfindet, verbindet alternative Medizin und Spiritualität. Dort treten auch christliche Prediger auf, die Heilung durch Wunderglauben und angebliche Wundermittel versprechen. Eine gefährliche Entwicklung, finden Sektenexperten.

Von Thomas Klatt | 02.03.2018
    Computergrafik mit Kolibakterien
    Kolibakterien kommen im menschlichen Darm vor und sind Vitamproduzenten. (Imago)
    "Wir haben Dr. Marco Ruggiero aus den USA. Der ist Mikrobiologe, der forscht im Bereich Darmflora. Da entwickeln sie auch Nahrungsergänzungsmittel." Leo Koehof aus Roermond schwärmt von einem seiner Buchautoren. In den Niederlanden hat er den Jim Humble-Verlag gegründet, um alternative Medizin- und Heilmethoden auch in Deutschland bekannter zu machen.
    "Da hat er ein tolles Buch herausgebracht, das Dritte Gehirn, dass die Darmflora unser ganzes emotionales Leben beeinflussen und man kann das als das zweite Gehirn bezeichnen und das dritte Gehirn ist eigentlich die ganze Körperflora, in unseren Augen, in unserem Mund. Also wir haben mehr Bakterien in uns als wir Körperzellen haben. Das nennt er dann das Dritte Gehirn."
    Mit der Auflage wuchs die Idee, die Autoren seines Verlages leibhaftig auftreten zu lassen. Auf einem eigenen Kongress: "Spirit of Health". Zwei Tage alternative Heilmethoden für 159 Euro, dieses Jahr in Berlin. Erwartet werden bis zu 1000 Besucher, auch interessierte Heilpraktiker und Ärzte, sagt Veranstalter Leo Koehof:
    "Wir suchen auch immer, können wir was Neues bringen? Gibt es irgendwo neue Forschungen bezüglich alternativer Heilweise? Spirit of Health war für uns so ein kräftiger Begriff und der hat gepasst."
    Doch für den Berliner Psychotherapeuten Michael Utsch, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, ist der Titel des Kongresses alles andere als Zufall. Vielmehr liege es im Trend, Gesundheit mit Spiritualität und Glauben zu verbinden. So tritt beim "Spirit of Health"-Kongress beispielsweise der Prediger Ivo Sasek aus der Schweiz auf.
    Erzbischof mit Chlorbleiche
    Utsch: "Gerade diese Messe ,Spirit of health' ist so ein Sammelbecken extremer alternativ-therapeutischer Ansätze, wo auch ein christlicher Vertreter da ist, Ivo Sasek mit seiner organischen Christusorganisation, und im Grunde zeigen will: Der westliche Lebensstil ist begrenzt, wir sind auf einem Irrweg, wir brauchen eine spirituelle Erneuerung....Ein anderer Vortrag beschäftigt sich mit der Biologie der Unsterblichkeit, dass es möglich sein wird, den Alterungsprozess der Zellen zu unterbinden. Das sind alles sehr fragwürdige und medizinisch widerlegbare Behauptungen."
    Anderer Hauptredner mit religiöser Ader ist der US-Amerikaner Jim Humble, Namensgeber des niederländischen Verlages. Vor Jahren gründete er die Glaubensgemeinschaft "Genesis II, Church of Health & Healing".
    "Jim Humble bezeichnet sich selber als Erzbischof. Er hat sich das ausgedacht, dass dieses Chlorbleiche-Produkt MMS Krankheiten heilen würde wie Malaria zum Beispiel, wo aber nach wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt nichts dran ist", erklärt der Medizinjournalist Hinnerk Feldwisch vom medizinkritischen Online-Portal medwatch, das vom netzwerk recherche unterstützt wird. Er warnt geradezu vor dem alternativen Gesundheitskongress.
    "Wenn man sich die Webseite anschaut und das Kongress-Programm muss man leider feststellen, dass dort absolut gefährliche Arzneimittel beworben werden zur Therapierung von schwerwiegendsten Erkrankungen, Krebs ist oft mit dabei. Es wird geworben, die chemisch einer Chlorbleiche ähnlich sind, autistische Kinder heilen würden. Aus meiner Sicht ist es schrecklich, dass weiterhin derartige Substanzen auf Kongressen beworben werden."
    Medizinjournalist Hinnerk Feldwisch sieht den Staat durchaus in der Pflicht, wenn nach § 171 Strafgesetzbuch die Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt wird oder nach § 8a Sozialgesetzbuch das Kindeswohl gefährdet scheint. Doch das in Berlin Aufsicht führende Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, sieht im Vorfeld keinen Handlungsbedarf. Dass auf dem Alternativkongress etwa für die angeblich heilende Wirkung des Mittels MMS geworben werde, liege im Grenzbereich, sagt der Arzt Markus Stemmler. Er ist beim Lageso unter anderem für die Überwachung des Arzneimittel- und des Medizinproduktewesens zuständig.
    "MMS ist für uns erst mal eine Chemieverbindung, Chlordioxid. Eine ätzende Verbindung, die vielfach eingesetzt wird zur Desinfektion von Trinkwasser, die aber auch beispielsweise als Bleichmittel eingesetzt werden kann, keine Zulassung als Arzneimittel hat, auch kein Nahrungsergänzungsmittel ist, aber durchaus ausgelobt wird, dass sie Heilung bei ganz vielen unterschiedlichen Krankheiten bedingen könnte und somit natürlich ganz nah in den Bereich des Präsentationsarzneimittels hinein rückt."
    Präsentations-Arzneimittel bedeutet, dass Substanzen, und seien es nur Gummibärchen, mit einem Heilversprechen in entsprechender Verpackung und Dosieranleitung angepriesen werden. Denn dann könnten Laien das als Medikament missverstehen und damit fiele es unter das Arzneimittelrecht.
    Der Streß steigt
    Doch auf dem Kongress gebe es nur Vorträge. Es werde überhaupt nichts angepriesen oder gar verkauft, verspricht Veranstalter Leo Koehof.
    "Für uns ist das gar nicht das Ziel zu sagen, ihr sollt nicht mehr zur Schulmedizin oder wir brauchen gar keine Ärzte mehr. Im Gegenteil. Ich bin vorige Woche selber zwei Mal zum Ohrenarzt gegangen, weil ich eine Ohrenentzündung habe. Ich bin für Therapiefreiheit. Aber wenn die Ärzte sich so verhärten, dann ist es für Leute, die alternativ eingestellt sind sehr schwierig zum Arzt zu gehen."
    "Spirit of Health" liegt im Trend. Erst vor wenigen Wochen trat in Berlin der selbst ernannte "Apostel" Vladimir Muntyan aus der Ukraine auf. Eine mehr als vierstündige Bühnenshow mit garantiertem Heilsversprechen: Der Geist Gottes mache gesund, versprach Prediger Muntyan. Großzügige Spenden seien dabei nicht hinderlich, hieß es. Im Abschluss wurden die Kollekten gleich eimerweise eingesammelt. Für den Psychotherapeuten Michael Utsch eine gefährliche Scharlatanerie:
    "Das Problem bei Muntyan ist eben auch, dass er letztlich den Streß und die Belastung erhöht. Er verspricht; wenn Du richtig glaubst, wirst Du gesund, wirst Du reich. Wenn das bei mir aber nicht eintritt, ja dann hab ich falsch geglaubt. Und dann erhöht sich der Streß und ich werde kränker dadurch. Insofern müssen wir vor so einem Heilungsoptimismus warnen."
    Ähnlich werde jetzt auch beim Kongress "Spirit of Health" die Gutgläubigkeit der Verzweifelten und Hilfesuchenden ausgenutzt.
    Utsch: "Man kann schon feststellen, dass es im Bereich der Alternativmedizin vielfältige Ansätze einer spirituellen Heilung gibt. Da wäre Muntyan so eine christliche Variation. Das gibt es auch mit esoterischen, buddhistischen oder schamanischen Vorzeichen. Und denen ist gemeinsam, dass sie die Schulmedizin kritisch sehen und sagen, sie hätten jetzt ein ultimatives Mittel gefunden, die Grenzen durch die Technik oder die Pharmalobby wären schuld, dass wir nicht gesund sind. Und wenn man jetzt einen spirituellen Weg geht, dann findet man Erfüllung und wird gesund."
    Denn in der Bibel gebe es zwar Heilungsgeschichten, aber keinen Heilungs-Automatismus, den man etwa mit Gebeten oder gar großzügigen Spenden bestellen kann.