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Essen der Zukunft
Insekten als politisch korrekte Nahrung

Der Filmemacher Valentin Thurn beschäftigt sich in seinem neuen Dokumentarfilm mit dem Thema Ernährung. "10 Milliarden" lautet der Titel. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wo die Nahrung herkommen soll, wenn die Weltbevölkerung in diesem Jahrhundert auf 10 Milliarden anwächst. Dabei will Thurn den Zuschauern bewusst machen, dass sie durch ihr Handeln mitentscheiden - über die Landwirtschaft der Zukunft.

Von Rüdiger Suchsland | 16.04.2015
    Wie sollen zehn Milliarden Menschen bloß alle satt werden? Und womit? Das sind die zentralen, bereits im Titel enthaltenen Fragen dieses Films. Der Dokumentarfilmregisseur Valentin Thurn hat einen Hang zur Dramatisierung und anschaulichen Vereinfachung, was seinem Film zweifellos zugutekommt. So schlendert er zum Beispiel schon relativ früh in diesem Film über einen asiatischen Markt - und schiebt sich genüsslich eine große frittierte Heuschrecke in den Mund.
    "Jede Kultur hat ihre eigenen Speisen hervorgebracht. Heuschrecken, Grillen und Maden sind nicht jedermanns Sache. Aber vielleicht werden wir bald schon nicht mehr wählerisch sein können."
    Das klingt schon apokalyptisch, aber die kleinen Krabbler seien schließlich gesund und nahrhaft, macht der Regisseur deutlich, Heuschrecken hätten schließlich viel Protein, und überhaupt seien leckere Insekten eines von vielen politisch korrekten Ernährungsmodellen der mittelfristigen Zukunft.
    Aber keine Sorge, dieser Film ist kein persönlicher Weltuntergangserlebnistrip, in dem sich der Regisseur im Stil von Michael Moore fortwährend selbst in Szene setzt.
    Globalisierte Nahrungsmittelindustrie
    Stattdessen geht es dem Regisseur mit einer gehörigen, aber nicht unangenehmen Portion Sendungsbewusstsein um die Frage des Titels: Wie sollen bei steigender Bevölkerung alle noch satt werden, und was hat das für Folgen? Für unsere Ernährungsgewohnheiten? Und für die Umwelt?
    Valentin Thurn reist dazu durch die ganze Welt der globalisierten Nahrungsmittelindustrie. In einer Art Stationendrama geht es vom Bio-Landgut bei München zu einem indischen Geflügelzüchter, der seine Masthühner in Deutschland gekauft hat, von einem Großgrundbesitzer in Mozambique, der wie ein mittelalterlicher Sklavenhalter wirkt in ein japanisches Labor in dem Salatsorten perfektioniert werden.
    Eine schöne neue, also schreckliche Welt.
    Aber so oder so, mit Gen-Technik und Chemie oder ohne sie werde die Ernährungskrise kommen, sagt im Film eine UNO-Ernährungsexpertin:
    "I believe when the shit meets the fan... there will be a perfect storm of food-crisis in the world."
    Thurn sucht verschiedene Experten für Landwirtschaft, Viehzucht und Ernährungstechniken auf, und lässt dabei durchaus divergente, einander widersprechende Sichtweisen zu Wort kommen.
    Zugleich gelingt es ihm, die Komplexität der diversen Aspekte seines Themas wiederum zu bündeln.
    Unparteiisch oder gar neutral ist dabei die Perspektive des Films keineswegs. Ein Sprecher des Bayer-Konzerns zum Beispiel darf zwar ausgiebig zu Wort kommen, und ein Hohelied auf den Nutzen des im Hause produzierten Hybridsaatguts singen, also eines angereicherten künstlichen Saatguts, das gesteigerte Produktion verspricht. Doch danach bekommt er gewissermaßen die visuelle Antwort in Form von Filmbildern die die desaströsen konkreten Folgen des Saatguts in einem indischen Reisbaugebiet zeigen. Hohe Erträge erzielen hier nicht die Bauern, sondern nur der deutsche Konzern.
    Umwelt- und Zivilisationskatastrophen-Dokus sind ein boomendes Subgenre des Dokumentarfilms. Ob "Plastic Planet" über das böse Plastik oder der Fast Food-Selbstversuch "Super Size Me!" oder "Taste the Waste" von Regisseur Thurn selber.
    Berechenbare Reflexe
    Solche Filme spielen sehr oft mit berechenbaren Reflexen: Sie befriedigen unseren Voyeurismus, unsere heimliche Lust daran, uns Sorgen zu machen, und sie kitzeln unser aller unterbewusstem Ekel vor manchen Realitäten unseres Wohlstands-Lebens, handele es sich nun um Schlachthäuser, Salat aus dem Reagenzglas oder verrottendes Brot auf der Müllhalde.
    Dagegen setzen dann nicht weniger erfolgreiche Wohlfühldokus anderer Art auf das Nachhaltige, moralisch Anständige, Ästhetisierende: Da erklären dann Yoga-Köche und buddhistische Gärtner dem gestressten Europäer wie er richtig isst.
    Valentin Thurns "10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?" Hält auf diesem Feld eine Mittelkurs und tut beides. Irgendwie müssen wir uns Sorgen machen, und irgendwie auch wieder nicht. Denn es ist schon alles viel zu kompliziert mit unserer Ernährung, um für den normal informierten Verbraucher noch verständlich zu sein. Das ist dann als Fazit vielleicht ein bisschen dünn.
    So ist dies ein Film, in dem man vieles lernen kann, und dabei keine Angst haben muss, dass einem am Abend das Essen nicht mehr schmeckt.