"Es ist ja erstaunlich, wie oft Menschen, die eigentlich gar nicht gläubig sind, plötzlich in bestimmten Konflikten mit Religion argumentieren. Es gibt viele Nicht-Christen im Westen, die plötzlich den Unterschied Christentum und Islam für den zentralen Unterschied halten und mit diesem Argument gegen einen EU-Beitritt der Türkei argumentieren."
Der Soziologe Professor Hans Joas, Fellow am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien in Erfurt, leitete aus solchen Beobachtungen vor drei Jahren grundlegende Fragen ab und gehörte damit zu den Wegbereitern des vielschichtigen Projektes "Mobilisierung von Religion in Europa".
"In welchen Konstellationen spielt Religion eine politisch mobilisierende Rolle? Und das muss man eigentlich aber noch vorsichtiger formulieren, nämlich: In welchen Konstellationen ist nicht wirklich Religion das, was mobilisierend wirkt, sondern wird etwa in Konflikten, die andere Ursachen haben, an einem bestimmten Punkt Religion mit ins Spiel gebracht, weil sie einer der Konfliktparteien als Identität stiftendes Merkmal dient beispielsweise."
13 junge Wissenschaftler, die seit 2006 an dem Projekt beteiligt sind, können die These, dass sich mit dem Aufhänger "Religion" oft ein politisches Aushandeln vielfältiger Konflikte verbindet, inzwischen mit ihren Arbeiten belegen: mit Untersuchungen etwa zur Funktion des christlichen Sonntags, zur Neuorganisation muslimischer Verbände oder auch zur Bedeutung christlich-orthodoxer Orte im geteilten Zypern.
"Also uns interessiert die bloße Instrumentalisierung der Religion in politischen Konflikten und natürlich die wirklich konstitutive Rolle religiöser Einstellungen für politische Entwicklungen - und politisch jetzt in einem sehr weiten Sinn, also auch sozialer Bewegungen."
"Pro Reli" heißt zum Beispiel in Berlin eine bisher überraschend erfolgreiche Bürgerbewegung, die es sich zum Ziel gemacht hat, das gestrichene Unterrichtsfach Religion als Wahlfach neben dem Ethik-Unterricht wieder einzuführen. Auch das ist, sagt Hans Kippenberg, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Bremen und einer der Sprecher des Projekts, ein gutes Beispiel für die gegenwärtig allerorten zu beobachtende "Mobilisierung von Religion":
"Initiativen, die gar nicht direkt von Religions- oder Kirchengemeinden ausgehen, sondern die im öffentlichen Raum verlangen, dass Grundfragen in Bezug auf Religion besprochen und entschieden werden können. (...) Und darum geht es eigentlich in diesem Projekt: zu beobachten, dass obwohl Säkularisierung in einem elementaren Sinne sich fortsetzt, doch Religion im öffentlichen Raum zu einem Bezugspunkt wird für Grundfragen."
Eines der interessanten Ergebnisse des Verbundprojekts ist, dass Religion nicht nur in vielen Einzelfällen, sondern auch für Grundfragen der Europäischen Gemeinschaft ein Bezugspunkt ist. Jenseits von ihrem Ursprung als Wirtschaftsunion bemüht sich die Europäische Gemeinschaft als politische Union zunehmend um ein Profil als Werte-Gemeinschaft, das grenzüberschreitend Identität stiften kann. Und hier, sagt Jamal Malik, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erfurt und Sprecher des Projekts, geht es indirekt durchaus um Religion:
"Es hat viel mit Moral, mit Ethik zu tun, diese ganzen Bereiche werden über diesen religiösen Diskurs noch mal eingeschleust in die EU und in die Verfassungsdebatte. Und die einen nennen das Spirit und die anderen wollen dann eben doch eher noch einen konkreteren christlichen Bezug haben und andere wiederum lehnen es völlig ab und wollen den Begriff Religion gar nicht da drin haben."
Kippenberg: "Es ist irgendwie eine Notwendigkeit, an die Stelle der alten nationalstaatlichen Bindungen neue Bindungen zu setzen, die auch moralischer Art sind. Das kann nicht über einen reinen Rechtsrahmen geschehen. Die EU ist ja überwiegend eine Konstruktion von Juristen - wie das Römische Reich auch die Gemeinsamkeit über das Recht erlangt hat. Das ist in der EU ganz ähnlich. Aber dann taucht schon die Frage auf, ob noch zusätzliche Bindungen nicht notwendig sind, ... Und an der Stelle wird Religion für die EU irgendwie unabweisbar zu einer Größe. Aber ob diese Unabweisbarkeit auch bedeutet, dass das in der Zukunft ein Segen war, dieses einzubeziehen als eine kulturelle Macht in den europäischen Einigungsprozess, das ist sehr schwer vorauszusagen."
Es geht um die sogenannte kulturelle Ressource von Religion. Darunter fallen insbesondere die umfassend vernetzten und damit unverzichtbaren Systeme sozialer Hilfe, die alle großen Religionsgemeinschaften auf der Grundlage ihrer Wertvorstellungen erfolgreich etabliert haben. Hans Kippenberg:
"Also wenn wir Deutschland nehmen ist ganz klar: Die großen Wohlfahrtsverbände, die kann man ohne Religion nicht denken. Natürlich besteht ein Interesse der EU, die einzubeziehen, obwohl in anderen Ländern das anders geregelt wird. Man spricht vom Sozialkapital religiöser Gemeinschaften. Und die EU tut gut daran, sich dieses Sozialkapitals natürlich zu bedienen. Aber eben dieses Sozialkapital, das sehr stark auch Brücken bildend ist, kann auf der anderen Seite auch sehr stark abschottend wirken und religiöse Gemeinschaften unterstützen, die gerade nicht in diesem Sinne Prozesse der Zivilisation oder der Friedensstiftung sind. Also auch an der Stelle lässt man sich auf etwas ein, was eine Macht ist."
Doch diese Macht als eine Art neue "Mobilmachung von Religion in Europa", als wieder erstarkende Bedrohung gegenüber einem modernen, säkularisierten Europa zu betrachten, ist ein Kurzschluss. Hinter solcher Frontenbildung steht unter anderem die Vorstellung von "Säkularisierung" als eine Art zwingende Logik von Moderne, einhergehend mit Aufklärung und Industrialisierung. Hans Joas:
"Es gibt natürlich starke Strömungen - oder gab es vor allem, könnte man sagen, weil diese Auffassungen ja doch sehr in die Krise geklommen sind - die so getan haben, als läge es einfach am Charakter von Modernisierungsprozessen selbst, dass Säkularisierung statt findet. Also Säkularisierung einfach als ein Unterprozess eines allgemeinen Modernisierungsprozesses. Das hat natürlich nie gestimmt. Die Erklärung zum Beispiel für die ostdeutsche Säkularisierung ist sicher nicht ein Modernisierungsvorsprung Ostdeutschlands."
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass auch Gesellschaften, in denen Religion ein wesentlicher Bezugspunkt ist, modern sein können.
"Jede der großen weltreligiösen Traditionen hat - das ist meine tiefe Überzeugung - in sich die Mittel, um religiöse Rechtfertigungen für diese politisch-rechtlichen modernen Errungenschaften zu finden. Es mussten auch die christlichen Traditionen erst ein positives Verhältnis zu den Menschenrechten entwickeln. Das ist der katholischen Kirche überhaupt nicht leicht gefallen. Es ist auch dem deutschen lutherischen Protestantismus überhaupt nicht leicht gefallen."
Religion ist mit von dieser Welt und nicht jenseits; nach wie vor, weltweit und auch in den so genannten säkularisierten, also "weltlich"-modernen Gesellschaften. Das kann das Projekt "Mobilisierung von Religion in Europa" an vielen Beispielen zeigen.
Aus "religiös" und "säkular" einen zentralen, unvereinbaren Gegensatz zu konstruieren, ist demnach wenig hilfreich für die Lösung gegenwärtiger politischer Probleme, meint Hans Joas:
"Also meine persönliche Haltung ist eben zu sagen, es sollen doch zur Verteidigung zum Beispiel von Rechtsstaat, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit, wahrlich Gläubige und Ungläubige zusammen arbeiten, und es sind welche zu bekämpfen: die Gegner nämlich von Demokratie und Rechtsstaat, und ob diese Gegner jetzt gläubige Menschen sind oder ungläubige Menschen sind, ist mir im politischen Zusammenhang relativ gleichgültig. Ich finde die müssen da bekämpft werden."
Der Soziologe Professor Hans Joas, Fellow am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien in Erfurt, leitete aus solchen Beobachtungen vor drei Jahren grundlegende Fragen ab und gehörte damit zu den Wegbereitern des vielschichtigen Projektes "Mobilisierung von Religion in Europa".
"In welchen Konstellationen spielt Religion eine politisch mobilisierende Rolle? Und das muss man eigentlich aber noch vorsichtiger formulieren, nämlich: In welchen Konstellationen ist nicht wirklich Religion das, was mobilisierend wirkt, sondern wird etwa in Konflikten, die andere Ursachen haben, an einem bestimmten Punkt Religion mit ins Spiel gebracht, weil sie einer der Konfliktparteien als Identität stiftendes Merkmal dient beispielsweise."
13 junge Wissenschaftler, die seit 2006 an dem Projekt beteiligt sind, können die These, dass sich mit dem Aufhänger "Religion" oft ein politisches Aushandeln vielfältiger Konflikte verbindet, inzwischen mit ihren Arbeiten belegen: mit Untersuchungen etwa zur Funktion des christlichen Sonntags, zur Neuorganisation muslimischer Verbände oder auch zur Bedeutung christlich-orthodoxer Orte im geteilten Zypern.
"Also uns interessiert die bloße Instrumentalisierung der Religion in politischen Konflikten und natürlich die wirklich konstitutive Rolle religiöser Einstellungen für politische Entwicklungen - und politisch jetzt in einem sehr weiten Sinn, also auch sozialer Bewegungen."
"Pro Reli" heißt zum Beispiel in Berlin eine bisher überraschend erfolgreiche Bürgerbewegung, die es sich zum Ziel gemacht hat, das gestrichene Unterrichtsfach Religion als Wahlfach neben dem Ethik-Unterricht wieder einzuführen. Auch das ist, sagt Hans Kippenberg, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Bremen und einer der Sprecher des Projekts, ein gutes Beispiel für die gegenwärtig allerorten zu beobachtende "Mobilisierung von Religion":
"Initiativen, die gar nicht direkt von Religions- oder Kirchengemeinden ausgehen, sondern die im öffentlichen Raum verlangen, dass Grundfragen in Bezug auf Religion besprochen und entschieden werden können. (...) Und darum geht es eigentlich in diesem Projekt: zu beobachten, dass obwohl Säkularisierung in einem elementaren Sinne sich fortsetzt, doch Religion im öffentlichen Raum zu einem Bezugspunkt wird für Grundfragen."
Eines der interessanten Ergebnisse des Verbundprojekts ist, dass Religion nicht nur in vielen Einzelfällen, sondern auch für Grundfragen der Europäischen Gemeinschaft ein Bezugspunkt ist. Jenseits von ihrem Ursprung als Wirtschaftsunion bemüht sich die Europäische Gemeinschaft als politische Union zunehmend um ein Profil als Werte-Gemeinschaft, das grenzüberschreitend Identität stiften kann. Und hier, sagt Jamal Malik, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erfurt und Sprecher des Projekts, geht es indirekt durchaus um Religion:
"Es hat viel mit Moral, mit Ethik zu tun, diese ganzen Bereiche werden über diesen religiösen Diskurs noch mal eingeschleust in die EU und in die Verfassungsdebatte. Und die einen nennen das Spirit und die anderen wollen dann eben doch eher noch einen konkreteren christlichen Bezug haben und andere wiederum lehnen es völlig ab und wollen den Begriff Religion gar nicht da drin haben."
Kippenberg: "Es ist irgendwie eine Notwendigkeit, an die Stelle der alten nationalstaatlichen Bindungen neue Bindungen zu setzen, die auch moralischer Art sind. Das kann nicht über einen reinen Rechtsrahmen geschehen. Die EU ist ja überwiegend eine Konstruktion von Juristen - wie das Römische Reich auch die Gemeinsamkeit über das Recht erlangt hat. Das ist in der EU ganz ähnlich. Aber dann taucht schon die Frage auf, ob noch zusätzliche Bindungen nicht notwendig sind, ... Und an der Stelle wird Religion für die EU irgendwie unabweisbar zu einer Größe. Aber ob diese Unabweisbarkeit auch bedeutet, dass das in der Zukunft ein Segen war, dieses einzubeziehen als eine kulturelle Macht in den europäischen Einigungsprozess, das ist sehr schwer vorauszusagen."
Es geht um die sogenannte kulturelle Ressource von Religion. Darunter fallen insbesondere die umfassend vernetzten und damit unverzichtbaren Systeme sozialer Hilfe, die alle großen Religionsgemeinschaften auf der Grundlage ihrer Wertvorstellungen erfolgreich etabliert haben. Hans Kippenberg:
"Also wenn wir Deutschland nehmen ist ganz klar: Die großen Wohlfahrtsverbände, die kann man ohne Religion nicht denken. Natürlich besteht ein Interesse der EU, die einzubeziehen, obwohl in anderen Ländern das anders geregelt wird. Man spricht vom Sozialkapital religiöser Gemeinschaften. Und die EU tut gut daran, sich dieses Sozialkapitals natürlich zu bedienen. Aber eben dieses Sozialkapital, das sehr stark auch Brücken bildend ist, kann auf der anderen Seite auch sehr stark abschottend wirken und religiöse Gemeinschaften unterstützen, die gerade nicht in diesem Sinne Prozesse der Zivilisation oder der Friedensstiftung sind. Also auch an der Stelle lässt man sich auf etwas ein, was eine Macht ist."
Doch diese Macht als eine Art neue "Mobilmachung von Religion in Europa", als wieder erstarkende Bedrohung gegenüber einem modernen, säkularisierten Europa zu betrachten, ist ein Kurzschluss. Hinter solcher Frontenbildung steht unter anderem die Vorstellung von "Säkularisierung" als eine Art zwingende Logik von Moderne, einhergehend mit Aufklärung und Industrialisierung. Hans Joas:
"Es gibt natürlich starke Strömungen - oder gab es vor allem, könnte man sagen, weil diese Auffassungen ja doch sehr in die Krise geklommen sind - die so getan haben, als läge es einfach am Charakter von Modernisierungsprozessen selbst, dass Säkularisierung statt findet. Also Säkularisierung einfach als ein Unterprozess eines allgemeinen Modernisierungsprozesses. Das hat natürlich nie gestimmt. Die Erklärung zum Beispiel für die ostdeutsche Säkularisierung ist sicher nicht ein Modernisierungsvorsprung Ostdeutschlands."
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass auch Gesellschaften, in denen Religion ein wesentlicher Bezugspunkt ist, modern sein können.
"Jede der großen weltreligiösen Traditionen hat - das ist meine tiefe Überzeugung - in sich die Mittel, um religiöse Rechtfertigungen für diese politisch-rechtlichen modernen Errungenschaften zu finden. Es mussten auch die christlichen Traditionen erst ein positives Verhältnis zu den Menschenrechten entwickeln. Das ist der katholischen Kirche überhaupt nicht leicht gefallen. Es ist auch dem deutschen lutherischen Protestantismus überhaupt nicht leicht gefallen."
Religion ist mit von dieser Welt und nicht jenseits; nach wie vor, weltweit und auch in den so genannten säkularisierten, also "weltlich"-modernen Gesellschaften. Das kann das Projekt "Mobilisierung von Religion in Europa" an vielen Beispielen zeigen.
Aus "religiös" und "säkular" einen zentralen, unvereinbaren Gegensatz zu konstruieren, ist demnach wenig hilfreich für die Lösung gegenwärtiger politischer Probleme, meint Hans Joas:
"Also meine persönliche Haltung ist eben zu sagen, es sollen doch zur Verteidigung zum Beispiel von Rechtsstaat, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit, wahrlich Gläubige und Ungläubige zusammen arbeiten, und es sind welche zu bekämpfen: die Gegner nämlich von Demokratie und Rechtsstaat, und ob diese Gegner jetzt gläubige Menschen sind oder ungläubige Menschen sind, ist mir im politischen Zusammenhang relativ gleichgültig. Ich finde die müssen da bekämpft werden."