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Ethische Reflexionen

Gibt es allgemeingültige moralische Grundwerte oder werden diese vom gesellschaftskulturellen Umfeld geprägt? Und lässt sich Moral begründen oder entspringen sie einem subjektiven Gefühl der Betroffenheit? - Über diese Fragen diskutierten Philosophen, Theologen und Sozialwissenschaftler in einem Workshop "Ethik" in der Evangelischen Akademie Arboldshain im Taunus.

Von Peter Leusch |
    "Hume hat gesagt, wir haben moralische Gefühle, wir haben das Gefühl, dem nächsten Anverwandten helfen zu müssen. Hume bringt dieses schöne Beispiel des Schiffes: Wir wissen alle, im Augenblick, ganz rational, dass überall auf den Weltmeeren Schiffe in Seenot sind, das interessiert uns aber nicht, aber wenn ein Schiff, das in Seenot ist, in die Nähe des Strandes kommt und wir hören die Schreie der Betroffenen, dann entwickeln sich bei uns moralische Gefühle, und die Vernunft kommt bei Hume erst in dem Moment ins Spiel, nachdem wir moralische Gefühle haben. Die Vernunft sagt uns, wie wir am besten diesen Menschen auf dem Schiff helfen sollen. Der schöne Satz von Hume lautet: 'Die Vernunft ist die Sklavin der moralischen Gefühle.'"

    Der Hannoveraner Philosoph Detlef Horster referiert den englischen Philosophen David Hume.

    Für Hume wurzelt die Moral nur im Gefühl und in der Tradition. Von Mitleid und spontaner Hilfsbereitschaft wird die Vernunft gleichsam in Dienst genommen, um die Schiffbrüchigen erfolgreich aus dem Wasser zu holen. Aber mit der moralischen Entscheidung selber, also dass man Menschen in Not retten soll, überhaupt mit Fragen von Gut und Böse, so Hume, habe die Vernunft nichts zu tun. Denn alle moralischen Urteile seien nur subjektive Entscheidungen, alles Wollen und Sollen entspringe dem einzelnen Menschen, man könne es nicht verallgemeinern und es habe in der Wirklichkeit draußen keinerlei Existenz.

    Hume gab sich mit dieser Gefühlsethik zu frieden. Aber den meisten Teilnehmern des Workshops reicht eine solche Grundlegung von Moral nicht aus. Käme man doch nie über das, was man unmittelbar erlebt, hinaus: Moral würde in Betroffenheit stecken bleiben.

    Detlef Horster bezog die Gegenposition: Es gibt eine Wirklichkeit der Moral.

    "Wir haben Werte und wir haben moralische Normen, und diese Unterscheidung, die ich da einführe, die lautet folgendermaßen: Unsere Werte sind beispielsweise das menschliche Leben oder die körperliche und geistige Unversehrtheit. Dazu gibt es dann moralische Regeln, die diese Werte realisieren. Also ich darf niemanden töten und ich darf niemanden verletzen und ich muss das Leben des anderen schützen - also wir haben Gebote und Verbote moralischer Art, die diese Werte, die wir haben realisieren beziehungsweise schützen."

    Der Workshop begab sich gleich zum Auftakt auf das schwierige Gelände der modernen Metaethik. Hier wird eine Debatte darüber ausgetragen, ob denn Werte und moralische Normen einer objektiven Erkenntnis zugänglich sind, mit anderen Worten: ob sich ihr Geltungsanspruch wissenschaftlich überprüfen und beweisen lässt.

    Die einen - die sogenannten Nonkognitivisten wie der englische Philosoph Simon Blackburn - bestreiten dies, andere wie Detlef Horster bejahen das. Horster demonstriert es an einem Beispiel, am Wert der Gerechtigkeit: Zwar könne man das, was gerecht ist, nicht unmittelbar erfassen wie einen physikalischen Gegenstand, aber wenn sich in einer Gesellschaft eine krasse Ungleichheit feststellen lässt, so könne man daraus begründet auf Ungerechtigkeit schließen.

    Übrigens auch in der Physik. so Detlef Horster sei manches Phänomen nur indirekt gegeben, zum Beispiel die Schwerkraft.

    "Auch die Gravitation ist etwas, was wir nicht sehen können und nicht anfassen können. Aber wir erkennen, dass es die Gravitation gibt dadurch, dass wir bestimmte Phänomene haben, die auf diese Gravitation hindeuten, wie das Fallen von Äpfeln oder Ebbe und Flut oder die Planetenbahnen, das zeigt uns, dass es die Gravitation gibt, und in ähnlicher Weise können wir von Moral und moralischen Regeln sprechen, wenn wir sie erkennen wollen. Wir erkennen sie nur daran, wenn sie beispielsweise verletzt wurden."

    Die Skepsis gegenüber der Erkennbarkeit von moralischen Normen rührt auch daher, dass wissenschaftliche Wahrheit unzulässig auf empirische Methode und analytische Logik eingegrenzt werde. In der Ethik geht es vor allem um Argumente und Reflexion, erklärt Peter Schaber, der an der Universität Zürich über Ethik forscht.

    "Wir haben es, wenn wir von Ethik und von Moral reden, mit der Welt von Gründen zu tun, über die wir auch streiten und diskutieren können, bezüglich derer wir auch zu Resultaten kommen. In Akademien und Universitäten gibt es Ethikforschung, die Interessanterweise keine empirische Forschung ist, es wird nicht empirisch herausgefunden, - und jetzt kommt mein Beispiel eines ethischen Konsenses - dass das Foltern von Menschen zutiefst falsch ist, das ist eben nicht das Resultat von empirischen Forschung, nicht ein Resultat von Umfragen, sondern das Resultat eines Nachdenkens darüber, was wir Menschen antun, wenn wir sie foltern."

    Dass Folter verabscheuungswürdig ist, ist klar. Reflexion weiß sich hier im Bunde mit Gefühl und Intuition. Folter darf nicht sein. Schwieriger scheint es andere Werte zu bestimmen, vor allem dort wo es nicht nur um die unmittelbare Beziehung von zwei Menschen geht, sondern um die komplexe Wirklichkeit einer Gesellschaft, zum Beispiel wenn man an die Diskussion über Managergehälter und Abfindungen denkt.

    Wann sind Verhältnisse gerecht oder ungerecht - und wie lässt sich diese Wertung begründen? Peter Schaber:

    "Das sind schwierige Fragen, was eine Theorie der Gerechtigkeit angeht wie die genau aussieht, dass ist nichts was einfach zu bestimmen wäre, da gibt es Riesendebatten. Allerdings ist es so, dass die Vorstellungen nicht nur auseinanderdriften, es gibt durchaus Dinge, die wir gemeinsam als ungerecht ansehen, beispielsweise: Die Ausbeutung von Kindern in ärmeren Ländern wird von den allermeisten Menschen zu Recht als ungerecht und unfair betrachtet."

    Drei große Fragestellungen prägten das Programm des Workshops: Wie wirklich sind moralische Normen und wie kann man sie wissenschaftlich erkennen? - Soweit die beiden ersten Fragen.

    Die dritte galt der Reichweite von Werten und moralischen Normen: Welche Wertvorstellungen haben ein nur partikulares Recht, weil sie in einer bestimmten Kultur als verpflichtend angesehen werden, in einer anderen jedoch nicht? Und welche Werte dürfen demgegenüber weltweite Geltung beanspruchen? - Kurzum: Welche sind universal? Gerade diese Frage ist über die Philosophie hinaus brisant in einer Zeit der Globalisierung, wo Menschen mit unterschiedlicher religiöser und kultureller Zugehörigkeit immer enger zusammenleben.

    "Wir müssten da eine sehr intensive Diskussion über einzelne Normen finden, allerdings als Hinweis, worauf unsere Moral hinauslaufen könnte: Nehmen Sie die Menschenrechte. Die Menschenrechte enthalten moralische Vorstellungen, leben zentral von moralischen Vorstellungen, die wir für universalisierbar halten und die in gewisse Weise auch universalisiert sind, denn alle Staaten dieser Welt haben die Menschenrechtserklärung, die allgemeine Deklaration aus dem Jahr 1948 - und was später noch dazu gekommen ist - unterschrieben, als unverbindlich."