Bukarest, der Platz der Revolution. Der kleine Park in der Mitte wirkt ein wenig verloren neben der mehrspurigen Straße, die quer über den Platz führt. Neben den Büschen steht der rumänische Journalist Adrian Mosoianu und zeigt auf den Balkon eines repräsentativen Gebäudes. Es ist das Innenministerium:
"Am 20. Dezember 1989 hat hier Ceausescu, der ehemalige kommunistische Diktator von Rumänien, seine letzte Rede gehalten. Das war der Beginn der Revolution in Bukarest. Nach Ceausescus Rede versammelten sich die Leute hier, um zu protestieren und Ceausescus Rücktritt von der Macht zu fordern."
Fast 25 Jahre hatte die Herrschaft von Nicolae Ceausescu gedauert, dann wurde er gestürzt, Rumänien führte die Marktwirtschaft ein, durchschritt ökonomische Täler, erlebte Zeiten der Inflation – und wurde 2007 Mitglied der Europäischen Union.
"Die Atmosphäre in Bukarest und im ganzen Land war sehr optimistisch und enthusiastisch. Die Rumänen wissen die Reisefreiheit zu schätzen und die Freiheit, überall in Europa zu arbeiten und Geschäfte zu machen. Auch heute denkt die große Mehrheit hier sehr pragmatisch über die Europäische Union und die Vorteile, die sie bringt", sagt Adrian Mosoianu.
Größte Forschungsanlage Südosteuropas
Einer dieser Vorteile, den die EU Rumänien ganz konkret beschert hat, findet sich im Städtchen Magurele, quasi ein Vorort von Bukarest. Ein Gebäudekomplex, nagelneu, in seinem Zentrum eine riesige, futuristisch gestaltete Halle. Sie beherbergt den leistungsstärksten Laser der Welt.
Der 67-jährige Kernphysiker Nicolae-Victor Zamfir empfängt seine Besucher in einem überaus großzügigen, vornehmen Büro:
"Unser Traum ist, unsere eigene Anlage zu haben. Wir wollen nicht nur Gast sein, sondern auch Gastgeber. Hier wollen wir der Wissenschaftsgemeinde einen Platz anbieten, an dem sie arbeiten kann", so Nicolae-Victor Zamfir.
1990, gleich nach Öffnung des Eisernen Vorhangs, war Zamfir als Gastforscher in den Westen gegangen, nach Köln und in die USA. Jetzt leitet er die größte Forschungsanlage, die es in Südosteuropa je gegeben hat – ELI-NP. ELI steht für Extreme Light Infrastructure, NP für Nuclear Physics.
2006 hatte der französische Physiker und spätere Nobelpreisträger Gerard Mourou einen ehrgeizigen Plan präsentiert – einen Laser, wie ihn die Welt noch nie gesehen hatte. Für die Grundlagenforschung sollte er rekordverdächtige Blitze erzeugen – so stark, dass er Kerne spalten und Teilchen beschleunigen kann. Und so kurz, dass er ultraschnelle Naturprozesse enträtselt.
ELI – wissenschaftliche Großgeräte in Osteuropa
"Als die Wissenschaftler darüber diskutierten, was man so alles mit diesem neuen Spielzeug anfangen könnte, gab es sehr viele Ideen. Also empfahlen sie der Europäischen Kommission, dass es nicht nur einen Standort für das Projekt geben sollte, sondern gleich drei. Und dann wurde entschieden, diese drei Anlagen nicht im Westen zu bauen, sondern in Osteuropa, in den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union", so Zamfir.
Teilchenbeschleuniger, Forschungsreaktoren, Fusionsexperimente – in Europa stehen solche wissenschaftlichen Großgeräte bislang fast ausschließlich im Westen, etwa in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Diese Schieflage soll ELI mildern. Es ist das erste Megaprojekt in Osteuropa, aufgeteilt auf drei Staaten: Tschechien, Ungarn und Rumänien erhalten je einen Superlaser, jeder rund 300 Millionen Euro teuer. Insgesamt eine Milliarde, der Löwenanteil von der EU.
"Man hat entschieden, das über Strukturfonds zu finanzieren. Damit will man die Entwicklung strukturschwacher Regionen in Europa fördern. Sonst baut man davon eher Brücken, Autobahnen, Schulen und Krankenhäuser", sagt Victor Zamfir.
"Wissenschaft lockt Hightech-Industrie an"
Langfristig sollen auch die drei neuen Superlaser in Tschechien, Ungarn und Rumänien als Strukturhilfe fungieren, hofft Victor Zamfir:
"Wissenschaft hilft dabei, den Grad der Entwicklung zu verbessern. Nicht kurzfristig, aber auf mittlere und lange Sicht ist das sehr effektiv. Denn Wissenschaft lockt die Hightech-Industrie an, und die bringt andere Dinge mit sich – Bildung, Entwicklung, Infrastruktur."
Der Deal: Die EU zahlt den Bau der drei Anlagen, dafür stehen sie der internationalen Forschungsgemeinde offen. Jedes interessierte Team kann einen Antrag auf Messzeit stellen, über den ein unabhängiges Gremium befindet.
Jede der drei Anlagen hat ihren Schwerpunkt: ELI in Tschechien ist eine Mehrzweckanlage mit verschiedenen Lasern. ELI in Ungarn erzeugt starke, aber extrem kurze Pulse. Der leistungsstärkste Laser aber steht in Magurele bei Bukarest – ELI-NP, eine Anlage für die Kernphysik.
Groß wie eine Turnhalle
Der Physiker Ovidiu Tesileanu steht im Kontrollraum von ELI-NP, von hier aus wird der Superlaser gesteuert. Ein gutes Dutzend an Bildschirmen und Tastaturen, unter den Tischen wilde Knäuel aus Kabeln und Steckdosen, irgendwie wirkt das noch ein wenig provisorisch. Ganz anders der Blick durch das breite Fenster, das sich fast über die gesamte Stirnwand erstreckt. Es lässt in einen Raum blicken, sauber, aufgeräumt, fast steril – und groß wie eine Turnhalle.
"Der Raum misst rund 60 mal 45 Meter. Die beiden Laser sind circa 40 Meter lang", sagt Ovidiu Tesileanu.
Es ist ein Reinraum, nur mit Schutzkleidung zu betreten, sonst könnten die empfindlichen Komponenten verschmutzen. Sie stecken in schwarzen Schutzboxen mit roten Deckeln, aufgestellt zu zwei langen Reihen. Würde man sie aufklappen, man sähe Spiegel, Blenden und hochreine Kristalle aus Titansaphir.
"Das System zu installieren hat zwei Jahre gedauert. Die Laserblitze werden in diesem Kasten da in der Mitte erzeugt. Dann werden sie in zwei Pulse aufgeteilt, und jeder dieser Pulse wird in einer langen Kette verstärkt", so Tesileanu.
Gerard Mourous nobelpreisgekröntes Prinzip
Es beginnt mit einem schwachen, äußerst kurzen Laserpuls. Schritt für Schritt wird er verstärkt, indem man die Energie von anderen Lasern buchstäblich in ihn hineinpumpt. Damit das klappt, braucht es einen Trick.
"Das ist die Methode, die Gerard Mourou erfunden hat und für die er den Nobelpreis bekommen hat. Die Idee dahinter: Würde man versuchen, einen extrem kurzen Laserpuls direkt zu verstärken, würden die dafür verwendeten Materialen schnell durchschmelzen. Bei Mourous Methode wird der Puls erst länger gemacht, dann verstärkt und erst am Ende wieder zu seiner ursprünglichen Dauer komprimiert", erklärt Tesileanu.
Auf das Tausendfache langziehen, Energie hineinpumpen, dann wieder zusammenstauchen – so funktioniert das nobelpreisgekrönte Prinzip.
"Der Laser kann nicht feuern, bevor wir das große Fenster hier vor uns mit einer Art Rollo verdunkeln. Bei einer derart hohen Laserleistung darf man nicht ohne Verdunklung arbeiten, das wäre gefährlich fürs Auge", sagt Tesileanu.
Als nächstes wird die Energiezufuhr aktiviert, zu hören als eine Art rhythmisches Ticken.
"Erst kommt ein Geräusch mit zehn Hertz, vom ersten Teil der Verstärkungskette. Dann folgt einmal pro Sekunde die Entladung der Pumplaser. Wir mögen dieses Geräusch", so Tesileanu.
Ein Puls von zehn Billiarden Watt
Dann feuert der Laser – und liefert einen Puls mit enormer Leistung: 10 Petawatt.
Am 7. März 2019 schaffte die Anlage erstmals zehn Petawatt, 10 Billiarden Watt – was der bislang schönste Moment gewesen sei, erzählt Tesileanu. Bald sollen die Pulse aus zwei Laserarmen kombiniert werden zu einer Leistung von 20 Petawatt – das Fünffache des bisherigen Rekordhalters, einem Laser in Südkorea. Eine Leistung so groß, als würde man die gesamte Sonnenstrahlung, die auf Nordamerika fällt, auf einen einzigen Fleck bündeln – wenn auch nur einen winzigen Augenblick lang, für 25 billiardstel Sekunden. Eine Rekordleistung, die ganz neue Experimente erlaubt.
"Die Anlage, die wir hier bauen, kann Bedingungen schaffen, wie man sie noch nie im Labor erzeugt hat. Zum Beispiel gibt es verschiedene Theorien, die beschreiben, wie sich das Vakuum bei solchen Extrembedingungen verhalten sollte. Wir wollen sehen, welche dieser Theorien sich im Experiment bewahrheiten", erklärt Ovidiu Tesileanu.
In weiten Teilen des Weltalls herrscht ein Vakuum, doch so leer ist dieses Vakuum gar nicht: Die Physik sieht es als eine brodelnde Suppe aus Teilchen und Antiteilchen, die in unmessbar kurzer Zeit entstehen und wieder vergehen – eine Folge der Quantenphysik. Nur: Direkt beobachten ließ sich diese brodelnde Schattensuppe noch nicht. Die Laserblitze von ELI, hofft Ovidiu Tesileanu, könnten sie endlich dingfest machen:
"Eine Möglichkeit ist, Teilchen quasi aus dem Nichts zu schaffen, durch pure Konzentration von Energie. Oder vielleicht kann man nachweisen, dass das Vakuum durch den hochintensiven Laser regelrecht polarisiert wird."
Neue Elementarteilchen
Die Blitze könnten das Vakuum ausrichten, quasi in Reih und Glied. Genau das sollte sich dann auf einen darauffolgenden Lichtblitz auswirken. Mit Glück machen sich dabei neue, bislang unentdeckte Elementarteilchen bemerkbar – was einer physikalischen Sensation gleichkäme.
"Das wäre sehr interessant für unser Theorieverständnis, aber auch für unsere Vorstellung von der Frühphase des Universums, als aus Energie Materie wurde. Da liegen sehr interessante Zeiten vor uns", so Tesileanu.
"Diese ganze Forschung geht momentan erst los. Es gibt ein gewaltiges aufkommendes Interesse seitens der Industrie, aber auch von Forschungslabors im In- und Ausland", sagt Markus Roth.
Er ist Physiker an der TU Darmstadt und einer der Forscher, die regelmäßig nach Rumänien kommen wollen, um bei ELI zu experimentieren. Er sucht nach einer Methode, mit der sich verstecktes radioaktives Material aufspüren lässt:
"Das ist unser Ziel, eine mobile Quelle zu entwickeln, was wir direkt vor Ort verbringen können. Ob das jetzt ein Kernkraftwerk im Abbau ist, oder eine nukleare Lagerstätte. Oder ob das an Häfen oder Flughäfen zum Nachweis von illegal ins Land oder aus dem Land gebrachten Nuklearmaterials nötig ist."
Suche nach radioaktivem Material
Um geschmuggeltes radioaktives Material aufzuspüren, möchte Roth mit Neutronen arbeiten. Das sind Kernteilchen, elektrisch neutral, also nicht geladen. Neutronenstrahlen können die Wände eines Containers mühelos durchdringen und im Innern verstecktes Nuklearmaterial nachweisen. Bislang aber sind die Anlagen, mit denen sich genug Neutronen herstellen lassen, zu groß für den mobilen Einsatz.
"Unsere Alternative sind lasergetriebene Neutronenquellen. Mit Lasern können wir sehr gezielt kurze Teilchenstrahlen erzeugen. Diese Strahlen können wir dann in einem Konverter in sehr kurze, sehr intensive Neutronenpulse konvertieren", so Roth.
Eine lasergetriebene Neutronenquelle könnte auf die Ladefläche eines LKW passen, hofft Roth. ELI soll dafür wertvolle Entwicklungshilfe leisten:
"Diese Lasersysteme haben nicht nur eine Leistung, die einen Faktor 20 über dem ist, was wir bislang machen. Sondern sie haben auch noch einen entscheidenden Vorteil: Die alten Lasersysteme konnten nur ungefähr einmal alle anderthalb Stunden feuern. Die neuen Lasersysteme haben Repetitionsraten um die zehn Hertz."
"In der Kernphysik wollen wir wissen, wie das Universum funktioniert. Zum Beispiel interessieren wir uns für jene Kernreaktionen, die im Innern von Sternen passieren. Wir versuchen sie im Labor nachzumachen", sagt Catalin Matei.
"Sternenbackofen für Elemente"
Viele der bekannten chemischen Elemente entstehen im Inneren von Sternen durch die Kernfusion, erzählt ELI-Physiker Catalin Matei. Hier herrschen derart irrsinnige Drücke und Temperaturen, dass leichte Atomkerne zu schweren zusammenbacken. Diese Gewaltprozesse soll ELI simulieren, mitten in der rumänischen Walachei.
"Nehmen wir zum Beispiel eine Reaktion, die sich im Inneren eines Riesensterns abspielt – die Fusion von Kohlenstoff und Helium zu Sauerstoff. Die zählen zu den wichtigsten Elementen im Universum, essenziell für das Leben auf der Erde. Diese Reaktion wollen wir untersuchen, um zu erklären, wie Sauerstoff und Kohlenstoff in einem Stern erzeugt werden", erkärt Matei.
Dazu wollen Matei und seine Leute eine spezielle Methode verwenden – eine Quelle für Gammastrahlung: Starkes Laserlicht wird auf einen nahezu lichtschnellen Elektronenstrahl geschickt. Dabei entsteht extrem hochenergetische Gammastrahlung. Mit ihr lässt sich der Sternenbackofen für Elemente quasi im Rückwärtsgang beobachten.
"Eine Möglichkeit besteht darin, sich die Fusion von Kohlenstoff und Helium anzuschauen. Man kann aber auch die umgekehrte Reaktion untersuchen, wenn Sauerstoff von Gammastrahlung zu Kohlenstoff und Helium gespalten wird. Experimente mit Gammastrahlung sind ein Puzzleteilchen, das uns hilft, solche Kernreaktionen besser zu verstehen", Matei.
Streit um Gammaquelle
Allerdings muss Matei Geduld aufbringen. Denn um den Bau der Gammaquelle gibt es mächtig Ärger. Er wird sich um Jahre verzögern.
"Wegen eines Streits mit dem ursprünglichen Anbieter haben wir nun eine andere Firma beauftragt. Deshalb wird die Gammaquelle nicht in diesem Jahr fertig, sondern erst 2022", erklärt Victor Zamfir.
In seinem großzügigen Büro kommt Generaldirektor Victor Zamfir auf das Ärgernis zu sprechen. Ursprünglich sollte ein Konsortium aus französischen und italienischen Firmen und Instituten die Gammaquelle bauen, Auftragswert: immerhin 67 Millionen Euro. Doch bald stockte die Zusammenarbeit, jetzt streitet man sich vor Gericht. Das Konsortium behauptet, das ELI-Gebäude sei nicht für den Einbau der Gammaquelle geeignet, es würde bestimmte Sicherheitsbestimmungen nicht erfüllen, Nachbesserungen seien nötig.
Dagegen sagen Zamfir und seine Leute, ihr Gebäude sei völlig in Ordnung. Stattdessen habe das Konsortium schlechte Arbeit geleistet und schlicht nicht pünktlich geliefert. Die Folge: Die Rumänen entzogen dem französisch-italienischen Konsortium den Auftrag und vergaben ihn an eine US-Firma. Doch damit handelten sie sich großen Unmut ein, vor allem bei Italien und Frankreich.
"Beim ursprünglichen Anbieter waren Förderagenturen aus Frankreich und Italien beteiligt. Als die Zusammenarbeit scheiterte, plädierten Politiker aus diesen Ländern dafür, Rumänien auszuschließen", sagt Victor Zamfir.
Konkret meint das den Ausschluss von einer gemeinsamen Betreibergesellschaft, die demnächst gegründet werden soll, und mit Geldern aus möglichst vielen EU-Ländern an allen drei ELI-Standorten den Forschungsbetrieb finanziert. Bliebe Rumänien ausgeschlossen, müsste es seine Betriebskosten alleine tragen. Und die sind happig, rund 30 Millionen Euro pro Jahr.
"Es wird nicht leicht sein, unsere Politiker davon zu überzeugen. Nur: Was ist die Alternative? Die Anlage dichtmachen? Ich glaube nicht, dass sich die Politik dafür entscheidet", so Zamfir.
Gescheiterte Schlichtung
Die Situation scheint verfahren. Die EU-Kommission versuchte zwar, zwischen den Streithähnen zu vermitteln, zwischen Rumänien auf der einen und Frankreich und Italien auf der anderen Seite. Doch die Schlichtung scheiterte.
"Natürlich sind wir nicht einverstanden mit einem Ausschluss aus der Betreibergesellschaft. Das eine ist der wirtschaftliche Vertrag. Es handelt sich um einen öffentlichen Vorgang mit sehr strengen Regeln, den der Anbieter ganz einfach nicht erfüllt hat. Es geht hier nicht um die wissenschaftliche Zusammenarbeit, da sehen wir keinen Zusammenhang", sagt Zamfir.
Und es gibt noch ein weiteres Problem:
"Politiker bewilligen zwar das Geld für den Bau der Forschungsanlagen. Aber wenn‘s um die Betriebskosten geht, heißt es gerne: Darüber lasst uns später sprechen. Und es wird viel Geld kosten, unsere Anlage zu betreiben. Rumänien hat sich verpflichtet, einen Teil zu übernehmen. Doch andere Länder zögern noch", weiß Zamfir.
Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich – sie alle hatten sich bei der Vorbereitung des Megaprojekts engagiert. Doch bislang scheint nur Italien bereit, bei der Betreibergesellschaft mitzumachen. Die anderen halten sich bislang zurück, wohl auch angesichts der verfahrenen Situation. Aus dem Bundesforschungsministerium etwa heißt es, man wolle sich an der Betreibergesellschaft nur beteiligen, wenn auch andere zahlungskräftige Nationen mitmachen.
Immerhin: Trotz der Querelen wird ELI Forschungsteams aus aller Welt offenstehen – in Rumänien ebenso wie in Tschechien und Ungarn, wo ELI ebenfalls demnächst loslegen werden. Seinen Traum muss Victor Zamfir nicht begraben: Dass Rumänien ein normales Land wird. Eine Forschungsnation in Europa.
Gefährlicher Brain Drain in Osteuropa
Als junger Wissenschaftler ging Calin Ur ins Ausland, dort waren die Bedingungen deutlich besser. Doch dann kam die Gelegenheit, als technischer Direktor bei ELI anzufangen. Ur zögerte nicht lange – und er war nicht der einzige, der wegen des Superlasers in seine Heimat zurückkam.
"Ich denke, wir haben es irgendwie geschafft, diesen Brain Drain zu stoppen – ein gefährlicher Prozess in Osteuropa. Wir konnten viele junge Forscher aus Rumänien dafür gewinnen, in diesem Institut zu arbeiten. Wir haben aber auch Forscher aus dem Ausland angelockt, rund 40 aus mehr als 20 Ländern rund um den Globus", so Calin Ur.
Insgesamt sind 200 Fachleute derzeit bei ELI-NP angestellt, bald sollen es 300 sein. Einfach war die Personalsuche nicht gerade, so Ur:
"Wir haben ein Institut am Reißbrett entworfen. Wir haben bei null angefangen, wir mussten alle Forschungsteams aufbauen. Es war eine Erfahrung für sich, das Personal zu finden und zu Teams zu formen. Die Leute kamen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen, sie mussten sich erst mal zusammenraufen, um gemeinsam etwas zum Ziel dieses Projekts beisteuern zu können."
Mittlerweile habe man sich zusammengefunden, die Teams würden funktionieren, sagt Ur – und gibt sich durchaus selbstbewusst:
"Das ist das größte Forschungsprojekt in Rumänien, hochattraktiv für den Rest der Welt. Wir werden eines der weltweit größten Zentren der Laserphysik sein. Und ich würde sagen, es ist auch eine Anerkennung der Qualität unserer Forschung hier in Rumänien. Zwar hatten wir bislang keine großen Forschungsanlagen. Dennoch haben wir in der Vergangenheit immer wieder gute Forschungsergebnisse erzielt. 1962 etwa war Rumänien das vierte Land auf der Welt, das überhaupt einen Laser bauen konnte. Unsere neue Anlage hier ist so etwas wie eine Anerkennung dafür."
Exotische Kernreaktionen
Ovidiu Tesileanu geht durch einen düsteren Gang mit zwei Meter dicken Betonwänden, man wähnt sich in einem Bunker. Jetzt steht er vor einer ebenso dicken Tür. Dahinter befinden sich mehrere Hallen. Hier sollen in ein paar Wochen die ersten Experimente laufen:
"Das hier ist die größte Experimentierhalle von ELI-NP. Die meisten Röhren, durch die die Laserstrahlen fliegen werden, sind schon installiert. In diesen großen Würfeln dort stecken Spiegel, sie lenken die Blitze zu einer der beiden Versuchskammern. Diese Kammern sind luftleer gepumpt, in ihnen wird die Wechselwirkung zwischen Laserblitzen und Materialproben stattfinden."
Elemente, die zu anderen Elementen verschmelzen. Exotische Kernreaktionen, bislang unbeobachtet auf der Welt. Und Teilchen, extrem beschleunigt per Laser. Um das zu schaffen, dürfen die Blitze ihr Ziel nicht verfehlen. Dafür mussten die Fachleute einigen Aufwand betreiben.
Tesileanus Kollege Ionel Andrei stößt eine wuchtige Tür auf und zeigt auf den Fußboden. Durch einen Spalt ist ein massiver Betonpfeiler zu erahnen:
"Es sind mehr als 1.000 Pfeiler. Sie stecken 30 Meter tief im Boden und ähneln den Betonpfeilern einer Autobahnbrücke. Viele Rumänen sind frustriert, dass die Autobahnen in ihrem Land einfach nicht fertig werden – und wir haben es geschafft, das alles hier in drei Jahren zu bauen. Der Boden der Halle ruht auf den Pfeilern, außerdem gibt es Federn und Stoßdämpfer. Sie entkoppeln die Halle von sämtlichen Vibrationen. Denn wir sind ein gebranntes Kind. In den 70er Jahren hatten wir einen Beschleuniger aus Ostdeutschland gekauft. Ein Jahr später wurde Rumänien von einem großen Erdbeben erschüttert, die gesamte Anlage wurde zerstört. Daraus haben wir gelernt, für uns ist das Schwingungsdämpfungs-System ein Muss", erklärt Ionel Andrei.
"Wände wie bei einem Kernkraftwerk"
Das System schützt nicht nur vor Erdbeben, sondern auch vor harmloseren Vibrationen: Autoverkehr in der Nachbarschaft, Schritte in der Halle – sie können den Weg der Laserblitze empfindlich stören. Allerdings muss man nicht nur den Laser vor der Außenwelt schützen, sondern umgekehrt auch die Außenwelt vor dem Laser.
Wenn der Superlaser feuert, erzeugt er einen EMP, einen elektromagnetischen Puls. Und der ist so stark, dass er elektronische Geräte in der Umgebung zerstören könnte, selbst noch in Bukarest.
"Wir müssen die Leute schützen und auch die Technik. Aber wir sind vorbereitet, das Gebäude ist für diese Situation ausgelegt. Die Experimentierhalle fungiert wie ein Faraday-Käfig, die Wände sind wie bei einem Kernkraftwerk", so Ionel Andrei.
100.000 Tonnen Beton, viel Metall in den Wänden – das soll dafür sorgen, dass die Strahlungspulse des Superlasers nicht nach außen dringen.
"Raum für Upgrades"
Zum Schluss wirft Ovidiu Tesileanu noch einen Blick durch das Fenster des Kontrollraums, auf den leistungsstärksten Laser der Welt. Was auffällt: Er füllt die Halle nur zur Hälfte aus.
"Wie Sie sehen ist noch genug Platz für weitere Komponenten. Wir sind sehr optimistisch und wollen in Zukunft weitere Laser hier einbauen. Es gibt Raum für Upgrades", sagt Ovidiu Tesileanu.
Statt an den politischen Ärger im Hier und Jetzt will Tesileanu lieber an die Zukunft denken. Und die soll für seinen Geschmack einen Laser bringen, der noch einmal fünfmal stärker ist als heute – 100 statt 20 Petawatt:
"Die beste Strategie, 100 Petawatt zu erreichen, ist die Kombination von mehr als zwei Pulsen. Würde man zehn dieser Laser zu einem zusammenschalten, könnte man dieses nächste Level erreichen. "
Zurück auf der Piata Revolutiei, dem Platz der Revolution in Bukarest. Journalist Adrian Mosoianu ist ganz zufrieden mit der Entwicklung, die sein Land in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Auch wenn es natürlich Probleme gibt:
"Es ist gut in Bukarest und in drei bis vier anderen Großstädten. Aber in den Kleinstädten und auf dem Land herrscht nach wie vor große Armut – ungewöhnlich groß nach so vielen Jahren unserer EU-Mitgliedschaft. Dieses andauernde Ungleichgewicht ist denke ich eines der größten Probleme."
Superlaser für mehr Wohlstand und Stabilität
Der Superlaser ELI könne dem Land durchaus helfen auf seinem Weg zu mehr Wohlstand und Stabilität, meint Mosoianu. Den Rückhalt der Menschen scheint das Prestigeprojekt jedenfalls zu haben:
"Sagt man ‚Laser‘ und ‚Magurele‘, also den Standort des Instituts, würde wohl fast jeder hier auf der Straße wissen, dass es da etwas Eindrucksvolles gibt. Etwas, das für wissenschaftliche Durchbrüche sorgen kann. Und dass Rumänien ein großer Teil davon ist", so Mosoianu.
Und die aktuellen Schwierigkeiten, das Gerangel um Betriebskosten und den Bau der Gammaquelle? Mosoianu gibt sich gelassen. Das, meint er, wird schon irgendwie werden:
"Soweit ich weiß, gab es Verzögerungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Aber die Tendenz hier ist, die Forscher bei der Bewältigung dieser bürokratischen Hürden zu unterstützen. Ich bin optimistisch. Schließlich ist es in unserer aller Interesse."