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EU-Regulierungsagentur für Menschenrechte eröffnet

Egal ob Drogen, Lebensmittelsicherheit oder Fischereiaufsicht - für viele Bereiche leistet sich die Europäische Union so genannte Regulierungsagenturen, wo sie Daten sammelt und auswertet. Diese Agenturen haben ihren Sitz über die ganze EU verteilt: Haushaltsmittel und Personalfragen sind damit der direkten Kontrolle entzogen. Der Nutzen und die Effizienz wird immer wieder bezweifelt und dennoch wird nun die nächste Agentur eröffnet. Ruth Reichstein berichtet aus Brüssel.

    Thessaloniki, Kopenhagen, Lissabon - die Standorte der Europäischen Agenturen lesen sich wie ein Reisekatalog für die Europäische Union. 14 Mitgliedsstaaten haben schon die ein oder andere Agentur bei sich zu Hause - insgesamt gibt es bereits 20 solcher Einrichtungen, drei weitere sind in Planung. Die 20. wird also heute in Wien eröffnet. Sinn und Zweck erklärt Friso Roscam-Abbing. Er ist der Sprecher des für Innen- und Sicherheitspolitik zuständigen EU-Kommissars Franco Frattini

    "Die Agentur soll die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von europäischem Recht beraten - dass sie dabei die Menschenrechte beachten. Die Mitarbeiter werden Daten über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sammeln - da haben wir nämlich noch großen Bedarf."

    Die Beamten in Wien sollen zum Beispiel herausfinden, in welchen Ländern es eine Zunahme an Rassismus gibt oder auch, wo die Ablehnung gegenüber Homosexuellen besonders groß ist. Auf der Grundlage dieser Daten könnten dann neue europäische Gesetzesvorschläge entstehen.

    Keine Frage - der Schutz der Menschenrechte ist wichtig - darin sind sich alle einig. Weniger Einigkeit herrscht allerdings darüber, ob dazu unbedingt eine neue Behörde gebraucht wird. Sylvana Koch-Mehrin, die für die deutsche FDP im Europäischen Parlament sitzt:

    "Natürlich sind die Menschenrechte ein unglaublich wichtiges Thema. Aber man muss unterscheiden, was wir administrativ, organisatorisch brauchen und da haben wir nun mal eine Generaldirektion in Brüssel, die sich mit Innenpolitik, Justiz etc. befasst, auch einen zuständigen Kommissar, und da noch eine zusätzliche Agentur zu schaffen, halte ich für das Erstellen einer Parallelstruktur, die dann auch noch mal zusätzliche Kosten und Bürokratie mit sich bringt. All das bringt dem Thema nichts."

    Kommissionssprecher Roscam-Abbing aus dem Innen- und Justizressort verteidigt dagegen die neue Agentur:

    "Wir brauchen eine unabhängige Einrichtung, die genügend Mitarbeiter hat. Im Gegensatz zu dem, was die Leute so denken, haben wir hier in der Kommission nämlich nicht genügend Mitarbeiter. Unsere Generaldirektion Justiz und Inneres ist die zweitkleinste, obwohl wir für 20 Prozent der gesamten EU-Gesetzgebung verantwortlich sind. "

    Rund 500 Beamte arbeiten bisher in der Brüsseler Generaldirektion und müssen Gesetzesvorschläge in so verschiedenen Bereichen wie Antiterrorkampf, Schutz der Jugendlichen vor den so genannten Killerspielen oder Datenschutz erarbeiten.

    Entlastung ist da nach Ansicht des Innen- und Justizressorts geboten. Und deshalb, so der Kommissionssprecher, sei es eben sinnvoll, zur Datensammlung für die Wahrung der Menschenrechte eine ganz eigenständige Institution zu schaffen.

    Vorerst sollen 50 Beamte in Wien arbeiten - bis 2012 werden es knapp 80 sein. Parallel dazu steigen auch die Kosten. Bereits jetzt gibt die EU jährlich rund sieben Milliarden Euro für Verwaltungskosten aus - mit eingerechnet die bereits bestehenden Agenturen.
    Das ist vielen in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten zu viel. Abgeordnete im Deutschen Bundestag forderten bereits eine grundsätzliche Überprüfung aller Agenturen, die in den vergangenen Jahren aus dem Boden geschossen sind.

    Und im EU-Parlament beschweren sich einzelne Abgeordnete aus allen Fraktionen darüber, dass sie bei der Vergabe der Agentur-Standorte an die einzelnen Staaten kein Mitspracherecht haben.

    Der Haushaltskontrollausschuss im Parlament kann nur im Nachhinein von den Agenturen verlangen, ihre Ausgaben zu rechtfertigen und eventuell für das Folgejahr weniger Geld bewilligen.

    Wo die Agenturen angesiedelt werden und mit wie viel Personal sie ausgestattet werden, das entscheiden aber ganz allein die Staats- und Regierungschefs - und folgen dabei nicht immer logischen Argumenten, sagt Politikwissenschaftler Guillaume Durand vom European Policy Center in Brüssel:

    "Wir haben lächerliche Schlachten um Standorte erlebt, die mehrere Monate gedauert haben. Nicht alle Mitgliedsstaaten haben Agenturen - das gilt vor allem für die neuen. Die alten Mitgliedsstaaten haben nämlich schnell - vor der Erweiterung 2004 - alle geplanten Agenturen untereinander aufgeteilt und die Neuen haben kaum eine abbekommen."

    Das bekannteste Beispiel für eine solche Schlammschlacht ist der Streit um die Agentur für Lebensmittelsicherheit. Die sollte zunächst entweder in Finnland oder Italien ihren Sitz haben. Schließlich bekam der damalige italienische Premierminister Berlusconi den Zuschlag. Er hatte seinem finnischen Kollegen damals während der Diskussion an den Kopf geworfen, die Finnen hätten von gutem Essen ja sowieso keine Ahnung.