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EU-Urheberrechtsreform
"Müssen endlich mal all die Kunst- und Kulturschaffenden schützen"

In der aufgeheizten Debatte über die EU-Urheberrechtsreform, die heute im Europaparlament zur Abstimmung steht, werde kaum über den verbesserten Schutz von geistigem Eigentum gesprochen, beklagte der EU-Parlamentarier Daniel Caspary im Dlf. Stattdessen werde gezielt Stimmung gegen Reform-Befürworter gemacht.

Daniel Caspary im Gespräch mit Sarah Zerback | 26.03.2019
Auf einem Laptop ist in Berlin das Internet-Videoportal YouTube zusehen, aufgenommen am 20.07.2012.
Die Gegner der EU-Urheberrechtsreform fürchten unter anderem Zensur durch Upload-Filter auf Portalen wie YouTube (picture alliance / Britta Pedersen)
Sarah Zerback: Vor allem junge Demonstranten schimpfen auf Politiker und umgekehrt. Die einen fühlen sich und ihren Protest von Anfang an diskreditiert, nicht ernst genommen. Die anderen beklagen den rauen Ton. Selten war ein Gesetzesvorhaben der EU wohl so umstritten wie die Reform des Urheberrechts und längst geht es um mehr als darum, wie Kreative stärker an den Erlösen beteiligt werden können, die im Netz mit ihren Werken erzielt werden. Vor der Abstimmung im Europaparlament heute Mittag hat sich die Debatte noch mal richtig hochgeschaukelt.
Am Telefon ist jetzt Daniel Caspary. Er ist Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Caspary!
Daniel Caspary: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Diese massiven Widerstände gegen die Reform, von denen wir gerade gehört haben, haben Sie die eigentlich unterschätzt?
Caspary: Ich denke, wir haben die Widerstände nicht unterschätzt. Das war absehbar. Bei all den Themen, bei denen wir Regulierung im Internet andiskutieren, oder dies auch nur im Verdacht stehen könnte, erleben wir immer großen Widerstand. Nehmen Sie das Thema Datenschutzgrundverordnung, das massiv unter Beschuss stand. Nehmen Sie das geplante Handelsabkommen ACTA, wo es um den Schutz geistigen Eigentums im Internet auch gegangen ist – eine Riesenkampagne, die dagegen gelaufen ist. Von daher: Wir waren nicht überrascht. Aber es ist immer wieder erschreckend, wie teilweise einfach Stimmung gemacht wird, wie das Wort im Mund herumgedreht wird und wie insgesamt mit dem Thema leider sehr unsachlich umgegangen wird von einigen Teilnehmern.
"Rechteinhaber können ihre Rechte kaum durchsetzen"
Zerback: Herr Caspary, jetzt habe ich gerade schon das Wort "Kampagne" rausgehört. Sie haben ja am Wochenende unterstellt, dass einige der Demonstranten gekauft wurden, die da zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind - für 450 Euro. Haben Sie dafür eigentlich inzwischen Beweise?
Caspary: Frau Zerback, genau das ist der nächste Punkt, wo Sie merken, wie quer diese Debatte geführt wird. Ich habe nicht behauptet, dass Demonstranten hier bezahlt werden. Ich weiß, dass das genau die Sache ist und die Stimmung ist, die im Moment im Internet verkündet wurde. Sondern ich habe wörtlich gesagt: "Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern." Ich habe nicht alle Demonstranten als gekauft beschimpft.
Zerback: Das habe ich auch wiederum gerade nicht gesagt.
Caspary: Genau! Aber das ist die Stimmung, die im Internet gemacht wird. Und was ich gesagt habe, dazu stehe ich. Nehmen Sie einen Artikel aus der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Ihrem Kollegen Constantin van Lijnden: "Gekaufter Protest". Da legt er dar, wie zum Beispiel versucht wurde, YouTubern Geld anzubieten dafür, dass sie im Internet ihre Meinung bezahlt kundtun. Das ist, wenn ich die Definition einer Demonstration oder eines Demonstranten anschaue, ganz klar eine vehemente Meinungsäußerung, die da beabsichtigt wird. Da sehen Sie an dem Thema: Es wird im Moment die Stimmung gemacht, und das ärgert mich wahnsinnig und ist nicht gerechtfertigt, ich würde die Demonstranten auf der Straße beschimpfen. Überhaupt nicht. Ich nehme das sehr, sehr ernst, wenn junge Menschen oder überhaupt Menschen auf die Straße gehen. Ich werde mich immer dafür einsetzen, dass jeder seine Meinung kundtun kann, auch wenn ich in Einzelfällen eine andere Meinung habe.
Aber da merken Sie einfach, wie Stimmung gemacht wird. Und nehmen Sie Ihren Beitrag gerade eben. In Ihrem Beitrag hat Julia Reda gesagt, wenn jemand dann Rechte nicht zur Verfügung stellt, dass dieser Beitrag gelöscht werden muss und dass das jetzt durch die Reform kommen würde. - Nein, das ist heute schon so. Nur können die Rechteinhaber in der Praxis ihre Rechte kaum durchsetzen, und genau deswegen müssen wir da eine Verbesserung machen.
Zerback: Herr Caspary! Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche. Aber jetzt kommen wir von einem Punkt wieder zum nächsten. Lassen Sie uns noch mal ganz kurz bei den 450 Euro und dieser Kritik, die Sie da ja auch erfahren, bleiben. Den FAZ-Artikel, den Sie zitieren, den habe ich auch gelesen. Da ist von Spenden die Rede beziehungsweise von Reisestipendien, die finanziert wurden für 20 ausgewählte Aktivisten aus Europa. Da gab es mittlerweile Faktenchecks, um eben genau das auch zu überprüfen. Das einmal dazu. Und wenn Sie dann sagen, Demonstranten wurden da bezahlt von Konzernen: Was glauben Sie denn, wie viele das sind?
Caspary: Nein. Noch mal, Frau Zerback. Jetzt nehmen wir ganz seriös, was ich gesagt habe. Und ich möchte, dass wir über das sprechen, was ich gesagt habe, und nicht, was Leute reininterpretieren.
Keine Diskussion über falsche Behauptungen
Zerback: Ich frage Sie ja, von wie vielen Sie sprechen. Sie müssen dafür ja Beweise haben, wenn Sie das ja auch über die Social-Media-Kanäle Ihrer Partei in die Welt hinaushauen.
Caspary: Moment. Ich habe gesagt: Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Das eine ist, wir haben in dem Artikel den einen Sachverhalt einer Nichtregierungsorganisation, die, wie wir heute wissen, rund 20 Leuten diese bis zu 450 Euro bezahlt. Korrekt. Wir haben aber zum zweiten - und darüber geht der Artikel im Schwerpunkt - eine Organisation Create Refresh, die laut diesem Artikel im Verdacht steht, im begründeten Verdacht steht, YouTubern Geldbeträge angeboten zu haben, dass diejenigen auf ihren YouTube-Kanälen ihre Meinung kundtun.
Ich habe nicht gesagt, dass ein einzelner Demonstrant dafür bezahlt wird. Sondern ich habe gesagt, was versucht wird. Und was versucht wird, legt Ihr Kollege in der FAZ in dem Artikel sehr deutlich klar. Und genau das habe ich angesprochen und nichts anderes und nichts mehr. Und ich möchte auch, dass meine Aussage genauso verstanden wird, wie ich sie gesagt habe, und nicht in dieser Uminterpretation, die hier zielgerichtet von einigen durchgeführt wird.
Zerback: Deswegen reden wir ja darüber, um da genau mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Aber wir können auch festhalten, dass viele Parteifreunde ziemlich verärgert waren über diese Aussage, wo Sie sich tatsächlich, wie Sie gerade sagen, auf einen einzigen Artikel berufen. Das schade Ihrer Partei, der CDU massiv. Verstehen Sie diese Sorgen gar nicht?
Caspary: Ich verstehe die Sorgen schon. Man kann auch darüber diskutieren, ob in dieser aufgeheizten Stimmung diese Aussage richtig ist. Nur noch mal: Nehmen wir jetzt mal andere Aussagen. Julia Reda im Vorbeitrag sagt: Wenn wir das verabschieden, sinngemäß, dann könnten die Rechteinhaber, wenn sie die Lizenz nicht bekommen, eine Löschung verlangen. Und da merken Sie schon, das ist heute so. Wenn auf YouTube ein urheberrechtlich geschütztes Werk hochgeladen wird und der Künstler möchte das nicht und weist YouTube an, dass das zu löschen ist, dann ist das heute zu löschen. Diese Aussage ist also nicht richtig; keiner diskutiert darüber.
Wenn mein Kollege Axel Voss Bombendrohungen bekommt, da geht es nicht um unterschiedliche Meinungen, da geht es um Menschenwürde, Menschenrechte, um Leben, um Einschüchterung in einer freien Demokratie. Dann wird darüber zwar am Rande berichtet, aber wo ist denn der große Aufschrei? Das ist genau der Punkt.
Ich stelle fest: Es gibt auch andere Versuche, wo in verschiedenen Veröffentlichungen in den Zeitungen der letzten Tage dargelegt wird, wie natürlich auch mit wahrscheinlicher, wie Ihre Kollegen immer schreiben, Finanzierung von auch amerikanischen Großkonzernen versucht wird, die Stimmung zu machen.
Und was ich noch mal ganz klar zurückweise: Ich werde immer mich dafür einsetzen, dafür habe ich mein ganzes Leben gekämpft, dafür bin ich überzeugter Christdemokrat und überzeugter Demokrat, dass Menschen in Deutschland für ihre Meinung eintreten können, sie demonstrieren können. Aber wenn versucht wird - und das war meine Aussage und das entnehme ich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", um Ihnen einen Beleg zu nennen, und Sie wissen, dass es weitere Artikel dazu gibt -, wenn versucht wird, …
Nehmen die Proteste gegen die Reform sehr ernst
Zerback: Nein, das unterstellen Sie mir jetzt. Das ist nicht der Fall. Aber, Herr Caspary, lassen Sie uns mal festhalten: Sie haben gerade gesagt, die Stimmung ist sehr aufgeheizt. Das ist ja sicherlich was, auf das sich alle einigen können. Andere in Ihrer Partei haben zu diesem Vorwurf, den Sie jetzt geäußert haben, bereits gesagt, dass hinter den Protesten Bots und Algorithmen stehen. Nimmt die CDU diese Proteste gegen die Reform gar nicht ernst, wenn da immer diese Theorien im Hintergrund kursieren?
Caspary: Wir nehmen das sehr ernst. Aber auch da gilt doch wieder, und genau der Punkt wird doch auch wieder in der öffentlichen Darstellung falsch dargestellt: Wir erleben auf der einen Seite viele tausend Menschen, die demonstrieren, und viele echte Menschen, die uns E-Mails schreiben. Das andere ist, worauf mein Kollege hingewiesen hat, dass auch einige der E-Mails vollkommen gleichlautend sind, dass es da Parallelen gibt und dass wir aus vergangenen Kampagnen kennen, dass hier mit einer breiten Maschinerie gearbeitet wird. Was ich immer nur feststelle ist: Wenn jemand, der für diese Urheberrechtsreform ist, eine Aussage trifft, die vielleicht nicht ganz glücklich ist und die missinterpretiert werden kann, dann wird das breit ausgetreten und breit diskutiert. Wenn Morddrohungen im Raum stehen, wenn Bombendrohungen im Raum stehen, wenn wie gerade in dem Fall Julia Reda inhaltlich sich falsch äußert, dann wird das aus meiner Sicht komischerweise anders diskutiert, …
Zerback: Herr Caspary, da muss ich Sie noch mal unterbrechen, weil den Punkt haben wir, glaube ich, verstanden. Frau Reda haben Sie jetzt schon dreimal, wenn ich richtig gezählt habe, kritisiert.
Caspary: Aber Sie fragen ja auch immer das gleiche Thema nach.
Zerback: Nein, das würde ich jetzt mal nicht sagen. Wir nähern uns dem Thema ja von unterschiedlichen Seiten. Und vor allem gibt es diese massive Kritik an der Reform in ihrem aktuellen Zustand nicht nur von Julia Reda und nicht nur von Netzaktivisten, sondern auch von Datenschützern, Juristen, IT-Verbänden, Verbraucherschützern. Haben die alle keine Ahnung?
Caspary: Nein, das sagen wir doch gar nicht. Deswegen wurde doch auch die Reform und der Reformentwurf in den letzten Monaten mehrfach verändert. Wir haben Sachen klargestellt, wir haben viele Sorgen aufgegriffen. Wir haben zum Beispiel das Thema Karikaturen, Memes und andere Fragen ganz klar adressiert, sie ausgenommen. Wir haben über die Gesetzgebung Plattformen wie Wikipedia ganz klar und eindeutig ausgenommen.
"Können nicht ausschließen, dass es auch Benachteiligte gibt"
Zerback: So ganz klare Ausnahmen gibt es aber nur in den deutschen Plänen. In den Entwurf, über den heute im Europaparlament abgestimmt werden soll, hat es das ja nicht geschafft.
Caspary: Ja doch, natürlich. Wir haben die Plattformen ausdrücklich ausgenommen. Wir haben das Thema Memes und andere Fragen auf europäischer Ebene ausgenommen. Wir haben das Thema Datamining anders geregelt, als es ursprünglich geplant war, um gerade im Bereich Startups und anderes Sachen rauszulassen. Wir haben diese Startup-Regelung im Rahmen der Verhandlungen neu eingeführt, damit Startups nicht mit einer Anwendung, einer Verordnung überfordert werden, die sie tatsächlich vor Schwierigkeiten bringt. Und wir wissen doch alle: Wir können am Ende nicht hundertprozentig ausschließen, dass es auch Benachteiligte gibt, die am Ende in kleiner Anzahl Schwierigkeiten haben. Da müssen wir im Zweifel bei der Gesetzgebung nachsteuern, wie das bei jedem anderen Thema auch ist.
Aber die Grundüberzeugung, dass wir endlich mal all die Kreativen, die Kunstschaffenden, die Kulturschaffenden, die Journalisten schützen müssen, dass wir ihnen endlich mal Möglichkeiten geben müssen, dass nicht die amerikanischen Großkonzerne im Schwerpunkt Milliarden Gewinne machen, indem sie Werbung schalten für Beiträge, die sie dann auf ihren Plattformen anbieten und die angeboten werden, ohne dass die Urheber irgendwas davon bekommen. Ohne dass sie in der Praxis wirksam durchsetzen können, dass im Zweifel auch Sachen mal gesperrt werden oder aus dem Internet genommen werden, die einfach YouTube oder Google nicht gehören, sondern den Urhebern, darüber diskutieren wir in der Öffentlichkeit leider viel, viel zu wenig. Da ist ein riesen Problem und da merken Sie auch wieder, wie teilweise das Thema verdreht ist. Bei der TTIP-Debatte wurde uns Christdemokraten vorgeworfen, wir würden die Interessen der amerikanischen Großkonzerne …
Zerback: Herr Caspary, bevor wir jetzt auf TTIP kommen – ich muss Sie leider unterbrechen.
Caspary: Schade!
Zerback: Wir könnten bestimmt noch lange weiterreden, Herr Caspary. Bevor wir jetzt noch bei TTIP landen, kommen leider jetzt die Nachrichten in wenigen Sekunden. Ich möchte mich trotzdem ganz herzlich für das Gespräch bei Ihnen bedanken. Daniel Caspary war das von der CDU, heute am Tag, an dem die EU über das Urheberrecht abstimmen möchte. Besten Dank für das Gespräch.
Caspary: Vielen Dank, Frau Zerback!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.