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Europäer und Mafiafreund

Der Christdemokrat Giulio Andreotti war lange Zeit der mächtigste Mann Italiens. In seiner 60-jährigen politischen Tätigkeit hat er praktisch mit sämtlichen Nachkriegspolitikern in Ost und West zu tun gehabt. Und obwohl Andreotti immer wieder Kontakte zur Mafia nachgesagt wurden, wurde er zum Senator auf Lebenszeit ernannt.

Von Karl Hoffmann | 14.01.2009
    Dem Sport jedenfalls hat er es nicht zu verdanken, dass er mit 90 immer noch total fit ist.

    "Um ehrlich zu sein, es hat mir immer Spaß gemacht zuzuschauen. Sport im Fernsehen schau ich mir gerne an, aber gesünder ist er, wenn man dabei gemütlich sitzen kann."

    Wenn er ironisch wird, dann wirkt Giulio Andreotti beinahe sympathisch. Er ist nie verletzend und auch nie verletzt. Sogar den wenig schmeichelhaften Film Film "Il Divo" nahm er gelassen hin

    "Ziemlich polemisch ist dieser Film, Man möchte meinen, ich habe in meinem ganzen Leben nur den Mafia Boss Buscetta und den Bankrotteur Sindona gekannt. Ich hab noch ein paar andere Leute kennen gelernt."

    Und zwar praktisch sämtliche Nachkriegspolitiker in Ost und West, von denen er die allermeisten inzwischen längst überlebt hat. Gut kennt er inzwischen auch seinen Nachfolger Silvio Berlusconi, dem er eine gewisse geschichtliche Bedeutung nicht absprechen will, aber

    "Er macht einen Fehler, wenn er immer anklagend auf die anderen zeigt und sagt: "Ihr Politiker", denn schließlich sind wir alle Politiker, auch er. "

    Was aber nun beileibe kein Vorwurf sein soll. Andreotti hat über 60 lange Politik machen können, weil er nie aus der Rolle gefallen ist, nicht einmal als Salvo Lima, sein enger politischer Verbündeter in Sizilien, erschossen wurde.

    "Nun er war ein Mann von außergewöhnlicher Intelligenz, der sich immer für die armen Leute eingesetzt hat. Und nicht nur weil er ein Freund war empfinde ich Trauer und große Achtung für ihn."

    Das klang wie eine nebensächliche Presseerklärung. Dabei war Lima Andreottis wichtigster Verbündeter in Sizilien und hochrangiger Vertreter der Mafia, der brutale Mord war ein Avvertimento - eine Warnung für Andreotti, bereits getroffene Vereinbarungen auch einzuhalten - so die Ermittlungen der Justiz

    15.Oktober 2004 Freispruch. Herrlich wunderbar ! schreit Andreottis Anwältin Giulia Buoingiorno nach der Urteilsverkündung in dritter Instanz: trotz zahlreicher Zeugenaussagen wird der inzwischen zum Senator auf Lebenszeit ernannte "Zio Giulio", wie ihn die Mafiosi nannten, freigesprochen. Andreotti zeigt sich wie immer völlig unaufgeregt.

    "Auch ich bin zufrieden"

    Weniger zufrieden eine Bürgerin, die Andreotti auf der Straße trifft. Und da verliert er zum ersten und einzigen Mal die Contenance.

    "Ich würde gerne wissen, warum jemand, der mit der Mafia zu tun hatte, nicht endlich seine öffentlichen Ämter aufgibt. Wollen Sie mich provozieren fragt Andreotti. Das ist eine üble Verleumdung. Ich habe die vorzeitige Freilassung von Mafiosi per Dekret verhindert. Ich habe Respekt vor ihrem Alter, ruft ein anderer, aber haben sie doch bitte Respekt vor der Wahrheit. Sie haben der Mafia geholfen- Aber das ist doch nicht wahr! Doch, und die Wahrheit tut Ihnen weh."

    Tatsächlich ist das Ende des Gerichtsverfahrens wegen Zugehörigkeit zur Mafia für Andreotti kein ruhmreiches. Seine Verbindung zu den Bossen nach dem Jahr 1980 war nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Für die Zeit davor allerdings gibt es handfeste Beweise und nur deshalb keine Verurteilung, weil sie um eindreiviertel Jahre zu spät kommt. Andreottis Verbrechen sind verjährt. Wieder mal Mal hatte Andreotti hoch gepokert und gewonnen, wie in den über 60 Jahren seiner politischen Karriere. Kein Skandal, bei dem nicht auch sein Name genannt wurde. Das hat ihm sogar ein Spottlied eingebracht, der Liedermacher Francesco Baccini verspricht Andreotti, ihn künftig vor üblen Verleumdungen zu schützen.

    Doch das hat Andreotti gar nicht nötig. Längst ist er rehabilitiert. Zu seinem Geburtstag werden höchste weltliche und geistliche Würdenträger ihre Aufwartung machen. Vielen jüngeren Italienern ist er dagegen kaum mehr ein Begriff. Dass in Italien die Politik von den über 70jährigen gemacht wird, hat zu weit verbreiteter Politikverdrossenheit geführt. Andreottis Ankündigung, er werde einige Staatsgeheimnisse mit ins Grab nehmen, hat keine Schlagzeilen gemacht, wohl auch deshalb, weil jene, die davon profitieren könnten inzwischen selbst längst verstorben sind. Ansonsten gilt: über andere schlecht zu denken, ist eine Sünde, aber meistens liegt man damit richtig. Ein geflügeltes Wort von ... Giulio Andreotti.