Mittwoch, 08. Mai 2024

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Europäische Universität in Minsk unter Druck

Schulz: In Weißrussland macht Präsident Lukaschenko nicht eben mit einer liberalen Staatsführung von sich reden, auch nicht in der Bildungspolitik. Und das bekommt nun die Europäische Humanistische Universität, die EHU, in der Hauptstadt Minsk zu spüren. In der letzten Woche hatte der Bildungsminister den Rektor aufgefordert zurückzutreten. Das Ultimatum ist abgelaufen, die Uni steht nun vor dem aus. Hermann Knödler, den Direktor des Instituts für Deutschlandstudien an der EHU habe ich gefragt, was den Bildungsminister an der Uni störe?

Moderation: Sandra Schulz | 30.07.2004
    Knödler: Das sind verschiedene Dinge. Wir gehen davon aus, dass es zunächst an der Person des Rektors Mikhailov liegt. Da gibt es wohl einige Animositäten zwischen dem Bildungsministerium und dem Rektor. Zweitens und das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, diese Universität ist ja die einzige große private Universität, die in Belarus noch übrig geblieben ist. Hier wird natürlich nach westlichem Standard unterrichtet. Hier wird sehr liberal unterrichtet. Hier werden auch Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Markwirtschaft vertreten und das ist natürlich dem Regime ein Dorn im Auge.

    Schulz: Und wie ist die aktuelle Situation? Stehen die Räumkommandos bei Ihnen vor der Tür?

    Knödler: Nein, so ist es nicht. Wir räumen selbst. Es gab letzte Woche ein Ultimatum, da hat der Bildungsminister noch mal ganz klar gesagt: Ihr habt zwei Tage Zeit, um den Rücktritt des Rektors Mikhailov bekannt zu geben. Der Senat hat sich dann hinter Rektor Mikhailov gestellt und dann kam postwendend die Kündigung unserer Räume im Lehrgebäude. Ihr habt zwei Wochen Zeit, hieß es. Und nun müssen wir bis zum 5. August heraus sein. Das ist also nächste Woche. Momentan wird in allen Instituten und Einrichtungen gepackt. Es stehen die Umzugskartons auf dem Flur. Es sind noch einige Studenten hier. Die Lage ist - ich würde sagen - gespannte Ruhe.

    Schulz: Wie reagieren denn die Studenten?

    Knödler: Das ist sehr unterschiedlich. Einige sind einfach nur frustriert und enttäuscht, andere laufen mit geballter Faust in der Tasche herum, wollen sich das so auch nicht gefallen lassen. Es ist ganz schwer abzuschätzen, in welche Richtung sich die Stimmung unter den Studierenden hier entwickelt. Aber generell ist es so: Man hängt sehr an dieser Universität und man möchte eigentlich in diesem Umfeld weiterstudieren.

    Schulz: Hat es denn auch Proteste gegeben?

    Knödler: Es gab eine spontane kleine Demonstration. Das war am Dienstag. Allerdings war das nur vor dem Uni-Gebäude, relativ viele Studenten zwar, aber wir sind eine kleine Universität. Das war also kein Massenprotest, das noch nicht.

    Schulz: Und der Rektor Ihrer Universität ist ja in den USA, weil er sich in Ihrem Land nicht mehr sicher gefühlt hat. Stehen Sie da noch im Kontakt?

    Knödler: Da gibt es direkten Kontakt. Das geht praktisch über E-Mail oder manchmal über das Telefon und die Geschäfte werden momentan vom Vizedirektor, von Herrn Dounaev geführt

    Schulz: Die Schwierigkeiten, die Sie haben, die sind ja jetzt aufgehängt an diesem Umstand, dass Ihre Räume gekündigt werden, Sie also keine Räumlichkeiten mehr haben. Gibt es denn eine Alternative? Wäre das rein theoretisch denkbar, dass Sie einfach umziehen und Ihre Geschäfte dann fortsetzen?

    Knödler: Theoretisch ist alles möglich, aber in der Praxis ist natürlich ein Umzug binnen zwei Wochen mit einer Universität und 1000 Studierenden, etwa 200 bis 300 Beschäftigten nicht zu bewerkstelligen. Das ist das eine. Zum zweiten: Wer würde uns, die wir nun wohl auf der Abschussliste des Regimes stehen, uns Räume vermieten? Da finden Sie keinen privaten Vermieter, der sich dieser Gefahr aussetzt, ebenfalls ins Visier des Regimes zu geraten. Von daher, denke ich, ist das absolut unrealistisch.

    Schulz: Sie haben Ihre Antennen ganz bestimmt auch ein bisschen ausgefahren. Wie ist denn die Stimmung? Gibt es Solidarität aus der Bevölkerung?

    Knödler: Das ist schwer zu sagen. Es gibt mit Sicherheit Solidarität aus dem Umfeld der Studenten und ihrer Familien. Ich denke auch, dass innerhalb der Studierenden anderer Universitäten oder innerhalb der Professorenschaft dort gewisse Sympathien für unsere Einrichtung bestehen, aber wie weit verbreitet in diesem Umfeld, in der Bevölkerung diese Sympathien sind, das vermag ich nicht zu sagen.

    Schulz: Wie geht es für die Studierenden denn ganz konkret weiter? Müssen die sich jetzt eine neue Uni suchen? Oder ist für die eine akademische Laufbahn damit sowieso gestorben?

    Knödler: Das ist auch nicht ganz klar. Es hieß von Seiten des Bildungsministeriums, dass die Studierenden an staatlichen Universitäten unterkommen werden. Da ist die Lage momentan unklar. Gestern hieß es, ihr geht an die und die Universität, heute heißt es dann wieder, ihr geht an eine andere Universität. Es wird wohl da verhandelt. Ich habe allerdings auch schon von Problemen gehört. Es heißt dann zum Beispiel, wenn Studierende der EHU sich um einen Platz an der staatlichen Uni kümmern oder bemühen, dann müssen sie zum Teil horrende Summen bezahlen, Studiengebühren. Ich habe eine Zahl gehört von 2.500 Dollar pro Jahr. Das mag ein Einzelfall sein, aber es zeigt, dass es den Studierenden der EHU sehr schwer gemacht wird. Weitere Probleme gibt es für die Studierenden, die jetzt im Wintersemester ein Stipendium fürs Ausland haben. Die werden dann von den staatlichen Universitäten ganz klar vor die Alternative gestellt, Entweder du gehst ins Ausland und nimmst das Stipendium wahr oder du kriegst bei uns einen Studienplatz, aber beides geht nicht. Es wird also versucht, die Studierenden davon abzubringen, ein Auslandssemester einzulegen.

    Schulz: Jetzt hat es im vergangen Jahr ja schon einen Fall gegeben, der nicht ganz unähnlich war. Da sollte der Direktor eines Gymnasiums zum Rücktritt gezwungen werden. Ist der Fall, den Sie jetzt erleben an Ihrer Uni symptomatisch für Weißrussland?

    Knödler: Leider ja, wobei das Gymnasium letztes Jahr, das war ein wesentlich kleinerer Brocken. Das war auch wesentlich leichter zu bewerkstelligen. An diesem Gymnasium wird ja heute noch weiter unterrichtet, zum Teil in Privaträumen. Das lebt also noch. Eine Universität wie die EHU, die kann man nicht einfach in Privaträume verlegen. Das ist völlig utopisch. Das hat eine ganz andere Dimension. Dass sich das Regime jetzt so offen an diese Universität heranwagt und die Schließung betreibt und durchsetzt, das ist, würde ich sagen, ein neues Niveau, ein neues Ausmaß dieser staatlichen Repression.

    Schulz: Ist Ihr Pulver denn jetzt auch schon vollständig verschossen oder haben Sie noch Möglichkeiten, am Ball zu bleiben? Haben Sie noch Möglichkeiten, die Situation noch abzuwenden?

    Knödler: Für die Universität würde ich sagen, gibt es keine Möglichkeit mehr. Da sehe ich keine Chance. Es ist so, dass die einzelnen Einrichtungen sich nun nach neuen Institutionen umsehen, wo sie vielleicht weiterarbeiten könnten. Wir haben auch schon konkrete Verhandlungen in Räumen. Wir werden unsere Studenten weiter betreuen. Das waren ja alles Zusatzangebote, die das Institut für Deutschlandstudien angeboten hat. Wir versuchen die Studenten an Wochenenden oder am Abend oder in den Semesterferien mit unseren Angeboten zu unterrichten, zu erreichen. Und wir haben auch seitens der Studierenden großes Interesse daran festgestellt. Da heißt es also, Macht unbedingt weiter!