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Europäischer Mindestlohn
Skepsis bei schwedischen Gewerkschaften

Von den Plänen für eine europäische Regelung des Mindestlohns hält man in Schweden wenig. Die schwedischen Tarifpartner regeln das lieber selbst. Das bringt die Regierung in eine Zwickmühle.

Von Carsten Schmiester | 14.01.2020
Ein Stempel mit der Aufschrift «Mindestlohn» liegt auf einem Tisch.
Durch eine europäische Regelung beim Mindestlohn sieht man die Autonomie der Tarifparteien in Schweden gefährdet. (Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa)
In Schweden ist die Gewerkschaftswelt einigermaßen in Ordnung: Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer liegt noch immer bei knapp 70 Prozent. Die Gewerkschaften haben eine lange und von vielen als erfolgreich bewertete Geschichte. Sie arbeiten eng zusammen, sind ein Machtfaktor im Land und das seit den späten 1930er Jahren: Genauer, seit 1938, als der Gewerkschaftsbund "LO" und der Arbeitgeberverband "SAF" im "Saltsjöbadsavtalet", einem nach dem südstockholmer Naherholungsort Saltsjöbaden benannten Abkommen, die Beziehungen der Tarifpartner grundsätzlich regelten.
Autonomie der Tarifparteien gefährdet
Das Hauptziel: Man wollte in diesem "Schwedischen Modell" alle tariflichen Fragen möglichst einvernehmlich und vor allem untereinander, also ohne Zutun der Politik, regeln. Das gelte bis heute, so Per Skedinger. Er ist Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Uppsala und er arbeitet auch am unabhängigen Institut für Wirtschaftsforschung, IFN, in Stockholm: "Ein Mindestlohn auf EU-Ebene gilt in Schweden nicht als wünschenswert, weil der die Autonomie der Tarifparteien bei der Festlegung der Löhne und Gehälter gefährden würde und weil man die EU für nicht hinreichend kompetent hält, um über solche Fragen zu entscheiden."
Wenige Geringverdiener in Schweden
Das regelten und regeln die schwedischen Tarifpartner lieber selbst und sehen jede "Aktivität" von außen, also auch aus Brüssel, dementsprechend kritisch. Und sie halten sie für überflüssig, Motto: Ist doch alles in Ordnung hier...
"Auf dem schwedischen Arbeitsmarkt gibt es nur wenige Geringverdiener, also mit einem Lohn unter zwei Dritteln des durchschnittlichen Lohnniveaus. Laut Statistik sind das etwa zwei bis drei Prozent, im Vergleich zu Deutschland mit um die 20 Prozent. Das liegt zu einem großen Teil am hohen Abdeckungsgrad der schwedischen Tarifverträge, zum anderen an den darin vereinbarten, relativ hohen Mindestlöhnen."
Mindestlohn im Tarifvertrag vereinbart
Beispiele? Hilfskräfte im Krankenhaus, die älter sind als 18 Jahre, und das sind ja eigentlich alle, bekommen umgerechnet knapp zehn Euro die Stunde, Mitarbeiter in Restaurants ab 20 Jahren schon zwölf Euro. 16-jährige Schüler, die mal im Supermarkt aushelfen, acht Euro, aber schon gut zwölf nach ihrem 18. Geburtstag. Mehr wäre problematisch, meint Skedinger: "Hohe Mindestlöhne setzen voraus, dass auch die Arbeitnehmer ein relativ hohes Ausbildungsniveau und eine hohe Arbeitsproduktivität haben, die dem Lohnniveau dann entspricht. Das ist die andere Seite der Medaille und sie sorgt in Schweden für Probleme: Viele der Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren hierhergekommen sind, haben einen geringen Bildungsstand und können nicht viel."
Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn ist in seinen Augen deshalb nicht die richtige Antwort etwa auf den sehr heterogenen schwedischen Arbeitskräftemarkt: "Ein Vorteil mit tarifvertraglich vereinbarten Mindestlöhnen ist, dass sie zum einen nach Branche und Vertragsbereich variieren, aber auch nach Alter, Erfahrung und Beruf differenziert werden. Dadurch sind sie sehr flexibel und können an spezifische Bedingungen angepasst werden. Im Gegensatz zu einem nationalen Mindestlohngesetz, das im Prinzip dann ja für alle gilt."
Balanceakt zwischen Gewerkschaften und EU
Damit steckt die rot-grüne Minderheitsregierung Schwedens in der Klemme. Sie ist stark an die Gewerkschaften gebunden und muss deren Skepsis berücksichtigen, auch was einen europäischen Mindestlohn angeht. Auf der anderen Seite ist Schweden am europäischen Entscheidungsprozess beteiligt und will nicht mauern - ein Balanceakt. Aber einer, bei dem es sich lohnen könnte, auf Zeit zu spielen, meint jedenfalls Per Skedinger. Denn diese Zeit arbeite gegen die Idee eines einheitlichen europäischen Mindestlohnes: "Vergleicht man die Situation im Osten mit der in den anderen Mitgliedsstaaten, so sehen wir eine kräftige wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern. Setzt sich diese Entwicklung weiter fort, wird der Unterschied zwischen den Regionen kleiner und vielleicht ganz verschwinden. Das würde einen Mindestlohn auf EU-Niveau unnötig machen."