Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Europapolitik
Brüssel kann sich auf Kontinuität aus Deutschland einstellen

Vieles, was in diesem Koalitionsvertrag zur deutschen Politik auf europäischer Bühne steht, gehört in Brüssel schon lange zum Alltag. Von einer Kurswende unter Schwarz-Rot kann also nicht die Rede sei, kommentiert Annette Riedel.

Von Annette Riedel | 28.11.2013
    In Brüssel will man vor allem eines: schnell eine neue Bundesregierung, eine die sich endlich wieder ins Führerhäuschen der EU setzt. Da ist es Brüssel egal - na gut, fast egal - in welcher politischen Konstellation Berlin künftig regiert wird, wenn nur wieder regiert wird. Die Tatsche, dass jetzt beim Warten auf das gar nicht so sichere 'Ja' der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag weitere Wochen vergehen, kostet aus Brüsseler Sicht kostbare Zeit. Zeit, die knapp wird, wenn noch vor den Europawahlen im Mai wichtige Vorhaben unter Dach und Fach gebracht werden sollen.
    Weit über zweihundert Mal taucht das Wörtchen 'europäisch' auf den 185 Seiten des Koalitionsvertrags auf – und das nicht nur im europapolitischen Kapitel. Ebenso bei Forschung, Klimaschutz, Energie, Telekommunikation, Steuern, Arbeitsmarkt, Datenschutz und so weiter, und so weiter. "Das europäische Einigungswerk bleibt die wichtigste Aufgabe Deutschlands“, heißt es im Vertrag. Umgekehrt ist nationale Politik in nahezu allen Bereichen ohne Europa nicht mehr zu denken – und nicht zu machen. Dem trägt der Koalitionsvertrag sichtbar Rechnung.
    Brüssel wird es mit einer Bundesregierung zu tun haben, wenn es denn eine schwarz-rote wird, die sich überwiegend in Kontinuität übt, was die Europapolitik angeht. Das heißt, enttäuscht wird sein, wer in Brüssel oder in den Hauptstädten der EU-Länder gehofft haben sollte, dass die Sozialdemokraten etwas wie Eurobonds zur gemeinschaftlichen Staatsfinanzierung in der Eurozone in den Koalitionsvertrag hineinschreiben könnten. Oder einen europäischen Schuldentilgungsfonds. Oder einen europäischen Einlagensicherungsfonds zum Schutz der Sparer. Oder, dass sie erreichen könnten, dass der allgemeine Sparzwang gelockert wird. Allerdings tauchen auffällig oft die Wörtchen 'solidarisch' und 'Wachstum' auf, die man gemeinhin der Sozialdemokratie zuschreibt. Wie sich das in konkrete Politik übersetzt, ob und wie diese dann 'sozialdemokratischer' wird, das wird dem Praxistest zu unterziehen sein.
    Was noch? Nein, es ist nicht die Maut, die aus Brüsseler Sicht bemerkenswert ist. Wenn ein entsprechender Entwurf zur Einführung einer Inländer nicht belastenden Pkw-Maut in Deutschland irgendwann in Brüssel auf dem Tisch liegt, wird er geprüft. Dann wird die EU-Kommission entscheiden oder im Streitfall den Europäischen Gerichtshof entscheiden lassen, ob der Maut-Plan aus Berlin mit europäischem Recht konform ist oder nicht. Damit steht und fällt Europa nicht.
    Bemerkenswert dürften vielmehr aus Sicht Brüssels und der anderen EU-Länder ein paar andere Dinge in den Koalitionsvereinbarungen sein. Beispielsweise dieser Satz: "Die Kommission braucht ein stringentes und effizientes Kollegium mit klaren Zuständigkeiten der Kommissare."Da lässt sich gut ein seit geraumer Zeit auf die lange Bank geschobenes, eigentlich längst verabredetes Vorhaben hineininterpretieren, die EU-Kommission zu verkleinern, vielleicht gar auf vierzehn Kommissare zu halbieren. Das würde bedeuten, dass jeweils die Hälfte der EU-Länder über einen gewissen Zeitraum keinen eigenen EU-Kommissar hätte. Das dürfte ebenfalls nicht jedem in der EU schmecken.
    Und dann heißt es im Zusammenhang mit der angestrebten Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion: "Wir werden die vertraglichen Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion anpassen."Vertragsveränderung also – das dürfte nicht jedem in der EU schmecken, hat sich das doch in der Vergangenheit oft als äußerst schwieriges Unterfangen für nationale Regierungen erwiesen.
    Und schließlich noch ein Beispiel: "Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann."Eine europäische Armee? Auch das dürfte nicht jedem in der EU schmecken.
    Aber, nicht nur der Volksmund weiß schließlich, dass Papier bekanntlich geduldig ist. Und im Übrigen, auch in Brüssel wird man eine neue Bundesregierung an ihren Taten messen. Wenn es sie denn nur endlich gibt.