Dienstag, 16. April 2024

Europawahlkampf
Die Chance der Kleinen

Bei dieser Europawahl wird einiges anders sein, denn Deutschland wählt ohne Sperrklausel. Ende Februar erklärte das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde für verfassungswidrig. Vor allem kleinere Parteien wittern jetzt ihre Chance.

Von Susanna Gutknecht | 21.05.2014
    ÖPD-Kandidat Werner Roleff macht Wahlkampf in Köln
    ÖPD-Kandidat Werner Roleff hofft auf Einzug ins Europaparlament (Bild: Roleff)
    Das Verfassungsgerichts-Urteil war keine große Überraschung - da sind sich ausnahmsweise ein Politikwissenschaftler, ein ÖDP-Politiker und ein Pirat einig. Nur die Freude über den Richterspruch teilen die drei nicht. Wenn am 25. Mai abends die ersten Wahlergebnisse verkündet werden, werden im Europaparlament neben den etablierten Parteien auch einige neue Gesichter zu sehen sein, wie zum Beispiel die Piraten, die ÖDP, aber auch die AfD oder extreme Parteien. Michael Kaeding ist Professor für Europapolitik an der Uni Duisburg-Essen. Er sieht den Wegfall der Drei-Prozent-Hürde kritisch. Kaeding fürchtet, dass deutsche Interessen durch die breite Fächerung von Parteien künftig im europäischen Parlament geschwächt werden.
    Neues Selbstbewusstsein
    Für die sogenannten "Exoten-Parteien" birgt die Europawahl ganz neue Chancen. Die Piraten können mit einem neu gestärkten Selbstbewusstsein auftreten. "Die Piraten werden ins EU-Parlament einziehen, das ist sicher", sagt Gilles Bordelais. Der gebürtiger Franzose lebt in Köln und steht auf Platz acht der Piraten-Europawahl-Kandidaten. "Wir brauchen 0,6 Prozent für einen Sitz. Die Frage ist nur, zu wie vielen Piraten wir da einziehen, aber dass wir da einziehen, ist keine Frage." Seine Kisten für einen möglichen Umzug nach Brüssel sind zwar noch nicht gepackt, der 39-Jährige gibt dennoch alles im Wahlkampf: "Natürlich ist es jetzt angenehmer, weil wir wissen, wir machen es nicht für umsonst. Es wird einen Erfolg haben", sagt Bordelais.
    Der Traum vom Einzug
    Ähnlich enthusiastisch sieht es auch Werner Roleff von der ÖDP: "Ich träume erstmal davon, dass wir einziehen, das ist der Haupttraum." Für die Ökologisch- Demokratische –Partei steht Werner Roleff auf Listenplatz 21, das wird dann am Ende wahrscheinlich doch nicht ganz für Europa reichen. Mit zwei bis drei Mandanten rechnet die ÖDP. In Köln hat sich die Partei ganz auf die Europawahl konzentriert und tritt erst gar nicht bei der Kommunalwahl an. Roleff sagt: "Durch das erfreuliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben wir noch mal einen ganz neuen Schub bekommen. Das ist etwas, was wir im Wahlkampf schon deutlich transportieren und kommunizieren, dass es realistisch ist, dass die ÖDP ins Europaparlament einziehen wird, und das beflügelt uns im Wahlkampf natürlich enorm."
    Experte fürchtet Stillstand
    Bei dieser Wahl wird es erstmalig so sein, dass auch Parteien im Europaparlament vertreten sein werden, die weder im deutschen Bundestag noch in Landtagen vertreten sind. Professor Michael Kaeding befürchtet einen Stillstand in der Europa-Politik: "Dadurch, dass sie zum ersten Mal im EU-Parlament sitzen und dadurch auch die Gefahr reell besteht, dass sie diese europäische Bühne nutzen, um sehr viel weniger Europa-Politik zu betreiben, sondern diese europäische Bühne für nationale Politik missbrauchen."
    Dass die deutschen Interessen in Europa durch die vielen Splitterparteien geschwächt werden könnten, ist für Werner Roleff kein Argument: "Es geht um eine gemeinsame europäische Politik, die eben auch durch deutsche Parlamentarier mitgestaltet wird. Aber es wäre ein grundlegendes Missverständnis, und auch eine Schwächung und Gefährdung des europäischen Projekts, wenn deutsche oder französische oder belgische Abgeordnete die Bühne nutzen würden, um nationale Ziele zu verfolgen."
    Gefahr von rechts
    Nationale Ziele könnten auch die rechtsextremen Parteien verfolgen, die wahrscheinlich auch genug Stimmen bekommen werden, befürchtet auch Professor Michael Kaeding: "Die reelle Gefahr besteht darin, dass sie es vielleicht diesmal schaffen werden, eine europäische Fraktion zu bilden."
    Dass gegen rechtsextreme Parteien auch keine Drei-Prozent-Hürde mehr helfen würde, zeigt sich aktuell in Frankreich, wo die EU-feindliche Partei Front National derzeit bei Umfragen bei 25 Prozent liegt. Da bleibt nur zu hoffen, dass in Deutschland ohne Sperrklausel zwar ein bunteres Europaparlament gewählt wird – aber kein extremes.