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Europawahl
Die Chance der kleinen Parteien

Für die großen Parteien ist die Europawahl zum unkalkulierbaren Demokratie-Experiment geworden: Mit dem Wegfall der Sperrklausel erhöhen sich die Chancen für kleine Parteien, ins Parlament einzuziehen. Doch innerhalb der Kleinparteien wird noch immer um klare Positionierungen gerungen.

Von Stefan Maas und Jens Rosbach | 18.05.2014
    Wahlplakate zur Europawahl in Hannover.
    Wahlplakate zur Europawahl in Hannover (picture alliance/dpa/Holger Hollemann)
    "Na, ich bin 34 Jahre jünger als er."
    Marcus Pretzell amüsiert sich. Über die Frage, wie er sich denn unterscheide von Hans-Olaf Henkel. Dem ehemaligen BDI-Chef und stellvertretenden Parteivorsitzenden der Alternative für Deutschland. Wie Henkel will auch der vierfache Vater nach der Europawahl am 25. Mai Abgeordneter im Europaparlament werden.
    "Er ist der Typ Elder Statesman. Ich finde das ja nicht schlecht, dass wir den bei uns haben. Aber das ist natürlich nicht mein Politikstil. Ich bin kein Elder Statesman, sondern eher das, was man bei der CDU früher mal die jungen Wilden nannte."
    Während er das sagt, lächelt das AfD-Vorstandsmitglied verschmitzt. Später an diesem Nachmittag steht für Marcus Pretzell in Aachen eine Wahlkampfveranstaltung an. Das frühere FDP-Mitglied ist für die AfD der NRW-Spitzenkandidat für die Europawahl. Seit Wochen tourt der 40-Jährige durchs Land.
    Den Einzug in den Bundestag hat die Partei vergangenes Jahr nur knapp verpasst. Bei der Europawahl will die Alternative nun ein starkes Ergebnis einfahren. In aktuellen Umfragen zur Europawahl liegen die Euroskeptiker bei sieben Prozent der deutschen Wählerstimmen.
    Es ist also kein Wunder, dass Marcus Pretzell ganz entspannt in einem Aachener Café ein wenig Muße hat zum Plaudern. Über den Unterschied zu Hans-Olaf Henkel, zum Beispiel:
    "Es ist ja relativ offensichtlich, dass ich eine etwas dynamischere und aggressivere Herangehensweise an manche Themen habe."
    Gerangel um Spitzenpositionen
    Zu beobachten war das Ende März in Köln, bei einer Veranstaltung der "Jungen Alternative". Die inoffizielle Jugendorganisation der AfD hatte den Europagegner Nigel Farage eingeladen, den Chef der Britischen Unabhängigkeitspartei, UKIP. Die gilt derzeit in Großbritannien als stärkste Kraft bei der Europawahl. Marcus Pretzell saß mit Farage auf dem Podium und unterstützte viele seiner provokanten Thesen - auch eine spätere Zusammenarbeit wollte der AfD-Politiker nicht ausschließen.
    Parteichef Bernd Lucke tobte. Denn Lucke hatte schon im Herbst eine Zusammenarbeit mit der UKIP vehement ausgeschlossen. Zu Extrem. Für Marcus Pretzell gab's deshalb eine Abmahnung. Die störte den NRW-Spitzenkandidaten nicht. Nur wenige Tage später - Mitte März - trat der Rechtsanwalt auf dem Erfurter Parteitag gegen den Talkshowroutinier und Vorzeigeliberalen Hans-Olaf Henkel an. Es ging um den stellvertretenden Parteivorsitz. Zwar gewann Henkel. Aber nur knapp.
    Die Spitzenkandidaten der AfD Bernd Lucke und Hand-Olaf Henkel starten Europawahlkampf vor dem Kölner Dom.
    AfD startet Europawahlkampf in Köln (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Im Europawahlkampf aber hat Henkel die Nase weit vorn. Nach Parteichef Lucke steht er auf Listenplatz zwei. Damit ist Henkel sicher drin. Marcus Pretzell steht auf Listenplatz sieben. Ein wackeliger Platz. Denn aktuell geht die AfD davon aus, fünf bis sechs Abgeordnete nach Brüssel zu schicken. Deshalb freut er sich grundsätzlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Dreiprozenthürde für die Europawahl Ende Februar als verfassungswidrig gekippt hat. Denn so gehen keine Stimmen für Kleinstparteien mehr verloren, sagt Marcus Pretzell:
    "Für mich persönlich kann das heißen, dass ich vielleicht nicht im Europäischen Parlament bin, weil die notwendigen Nullkomma-x Prozentpunkte gerade für mein Mandat fehlen. Das ist persönlich zwar ein trauriges Schicksal, aber so funktioniert Demokratie eben."
    Wie genau sich der Wegfall auf die sogenannten "sonstigen Parteien" auswirkt - auf Miniparteien wie etwa die "Partei Bibeltreuer Christen" und die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" - diese Prognose wagt kaum ein Wissenschaftler. Bislang war deren Wählern klar, dass ihre Stimme kein Gewicht haben wird. Dennoch entschieden sich bei der vergangenen Europawahl fast elf Prozent der Stimmberechtigten genau für solche Kleinparteien. Dieses Mal könnten auch einige ihrer Vertreter einen Sitz im Europaparlament ergattern, der geht den größeren Parteien verloren, denn für Deutschland gibt es nur noch 96 Sitze insgesamt.
    "Zum ersten Mal ist es durchaus eine nennenswerte Größe, die da gegen die etablierten Parteien antritt. Deren Wähler sind erkennbar deutlich motivierter als Wähler anderer Parteien. Deren Wähler wissen sozusagen, warum sie zur Wahl gehen müssen. Vielen Wählern von Union, SPD, Grünen und Linkspartei ist es noch nicht so klar, da gibt es noch Abstimmungsprozesse."
    Für die großen Parteien ist die Europawahl zu einem unkalkulierbaren Demokratieexperiment geworden. Sie sind nervös - manche Beobachter würden sagen, sie haben sogar Angst vor den Kleinen.
    Marktradikale und rechtsliberale Positionen im Parlament
    Ein warmer Nachmittag in Berlin Mitte. Beatrix von Storch sitzt in einer blau-weiß-gestreiften Bluse und einem dunkelgrünen Blazer vor ihrem Milchkaffee. Das Café liegt in einer hippen Gegend, in der viele junge Familien wohnen. Direkt nebenan: ein großer Kinderspielplatz.
    Der Schutz der Familie ist der 42-Jährigen wichtig. Damit weiß sie sich ganz auf Parteilinie. Doch selbst innerhalb der AfD ist Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch, die als Herzogin von Oldenburg geboren wurde, umstritten. Sie gilt vielen als Galionsfigur der Nationalkonservativen. Mit ihrem Verein "Zivile Koalition" - einer konservativen Lobbyorganisation - steht von Storch für eine äußerst konservative Familienpolitik. Familie: Das ist und bleibt für sie: Vater, Mutter, Kind. Homo-Ehe? Dagegen. Abtreibung: Tabu.
    AfD-Spitzenkandidatin Beatrix von Storch während einer Pressekonferenz in Berlin.
    AfD-Spitzenkandidatin Beatrix von Storch (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Ich habe lange Zeit außerparlamentarisch gekämpft. Und nun gibt es eine Partei, die dieses Sachthema zum Kernthema hat, sodass ich gesagt habe, das kann ich dieses Mal mit meinem Gewissen vereinbaren."Die 42-Jährige ist eines der wenigen weiblichen Gesichter der AfD. Mit ihrem Listenplatz vier wird Beatrix von Storch wohl bald im Europaparlament sitzen."Die Alternative für Deutschland möchte das europäische Projekt als einen Staatenbund verstanden wissen. Wir wollen nicht in allen Bereichen alles Mögliche harmonisieren und auf diese europäische Ebene ziehen. Das heißt, wir wollen nur da kooperieren, wo das sinnvoll ist."Kurz gesagt: Weniger Handelshemmnisse sind gut. Mehr wirtschaftspolitische, soziale und gesellschaftliche Integration ist schlecht. Dieser Ansatz findet sich längst nicht nur im AfD-Programm zur Europawahl, sagt Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Auf europäischer Ebene finden sich diese marktradikalen und rechtsliberalen Positionen auch im Parlament. Organisiert in der Europaparlaments-Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformisten". Kurz ECR. Die in Deutschland relativ unbekannte, aber immerhin fünftgrößte Fraktion setzt sich aus verschiedenen konservativen und europaskeptischen Parteien zusammen. Und ist, sagt Plehwe, mit ihrer Strategie perspektivisch tragfähiger als die extreme Rechte."Weil die Zielsetzung hier ist nicht etwa eine Fundamentalopposition gegen Europa, sondern eine Bündnispolitik mit den Mainstreamparteien, mit den bürgerlichen Parteien. Vielleicht sogar in anderen Bereichen mit anderen Parteien, bis ins sozialdemokratische Lager. Um über Abstimmungen im Europaparlament auch alternative Mehrheiten statt eine im Kern pro-europäische Integrationspolitik zu erreichen."Partielle Desintegration nennt der Wissenschaftler Dieter Plehwe das. Die britischen Tories gehören dieser Fraktion an, mit denen auch AfD-Chef Bernd Lucke gerne zusammenarbeiten möchte.Eine folgenlose Protestwahl ist ein Kreuz bei der AfD längst nicht mehr. Europaweit zeigt sich, dass es Parteien derzeit gelingt, euroskeptische Bevölkerungsschichten zu mobilisieren. Deutschland war da lange eine Ausnahme, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Dieter Plehwe. Nicht, weil es hierzulande keine Euroskeptiker gibt, sondern weil es bislang an einer Partei mangelte, die diese Wählergruppe bündelt.Schaut man nämlich auf den Bereich der Zivilgesellschaft, auf Vereine und Thinktanks, dann findet man in Deutschland durchaus ein gut geknüpftes eurokritisches Netzwerk, das regen Austausch führt mit Organisationen und Parteien in anderen europäischen Staaten."Ich glaube, man könnte den raschen Aufstieg der AfD nicht erklären, wenn nicht die zivilgesellschaftlichen Organisationsstrukturen, auf denen die AfD letztlich aufsetzen konnte, nicht längst existiert hätten. Es ist insofern eine Partei neuen Typs, weil es ein Protest innerhalb des Systems, innerhalb der Privilegierten des Systems insbesondere zum Ausdruck bringt.""Piraten haben politischen Kredit verspielt"Ortswechsel. Noch ein wenig weiter in den Osten der Stadt, in den Stadtteil Hohenschönhausen. Hier ist Kiezfest in einer ehemaligen DDR-Plattenbausiedlung. Mit Bratwurst, Bier und einer aufblasbaren Kinder-Spielburg. Auf einer Bühne startet ein Mini-Europaprogramm: Ein Lokaljournalist befragt Vertreter von Parteien, die ins Europaparlament wollen. Darunter eine kleine, unscheinbare Frau mit Brille, kurzen Haaren und schwarzem T-Shirt: Julia Reda, 27, EU-Spitzenkandidatin der Piraten in Deutschland."Aber sagen Sie mal ganz konkret: Wie kann denn dieser Bezirk von der Politik der Piraten profitieren?""Naja, die Piraten sind ja schon im Berliner Abgeordnetenhaus und schaffen dort einfach ganz viel Transparenz. Also wir leiten zum Beispiel den Untersuchungsausschuss zum Flughafen BER, stellen dort jede Menge Dokumente ins Netz darüber, was da alles schief gelaufen ist..."Reda spricht locker, mit einer Hand in der Hosentasche. Als sie von der Bühne geht, wird's jedoch ernst: Wählergespräche stehen an. Und die sind derzeit nicht einfach:"Streitereien. Streitereien, Uneinigkeit - das ist dann nicht irgendwas, was man wählt.""Oftmals so wenig unterlegt inhaltlich, chaotisch - und ein bisschen wenig Frauen sind da."
    "Außerdem kann man soziale Probleme nicht aufs Internet reduzieren. Aber das wissen sie ja mittlerweile selber."Ganz anders noch vor drei, vier Jahren: Da mischte die junge Partei mit ihrem Hang zur "Schwarmintelligenz" die Republik auf und zog in vier Landtage ein. Dann der Abstieg: Bei der vergangenen Bundestagswahl gingen die Piraten leer aus. Heute liegt die Partei in den Umfragen bei zwei Prozent. Nicht viel besser sieht es im restlichen Europa aus: So kommen die Piraten in Schweden, wo die Ur-Partei gegründet wurde, auch nur auf drei Prozent. Kämpfen die Netz-Aktivisten mittlerweile ums Überleben? Ist der Fall der Sperrklausel in Deutschland ihre letzte Chance, um überhaupt ins Europaparlament einzuziehen? Spitzenkandidatin Julia Reda schüttelt den Kopf."Ich glaube, wir können auch so über drei Prozent kommen, es ist nicht viel mehr, als wir bei der Bundestagswahl schon hatten. Aber ich glaube, es ist ein ganz wichtiges Zeichen für die Leute, dass sie wissen, dass ihre Stimme nicht verschwendet ist und dass sie dann auch mutiger sein können und auch kleineren Parteien die Stimme geben."Experten geben den Piraten recht. So glaubt der Politikwissenschaftler Alexander Hensel, dass durch den Wegfall der parlamentarischen Hürde mehr Piraten-Wähler zur Urne gehen könnten."Ob dies allerdings heißt, dass die Piraten im großen Maße mobilisieren, das glaube ich an dieser Stelle allerdings nicht. Dafür haben die Piraten zu viel politischen Kredit, zu viel politisches Vertrauen verspielt in den letzten Jahren."Hensel, Parteienforscher am Göttinger Institut für Demokratieforschung, bilanziert: Die Wahlschlappe bei der vergangenen Bundestagswahl und die innerparteilichen Kämpfe - die Shitstorms und öffentlichen Partei-Austritte - haben die Piraten gelähmt."Es ist eine gewisse Müdigkeit, und die Piraten sind einfach nicht so breit - weder im Internet noch auf der Straße - so breit vertreten, wie wir es aus vergangenen Wahlkämpfen kennen."Der Fall Anne HelmAuch in Berlin-Kreuzberg ist die Partylaune verflogen, buchstäblich. In einem Abgeordnetenbüro der Piratenpartei stehen leere Bier- und Matebrause-Flaschen herum, auf einem Tisch liegt ein angebissenes Brötchen: Reste einer Feier von der Nacht zuvor. Hier trifft eine Frau zum Interview ein, die den Piraten einige Stimmen kosten könnte: Anne Helm. Die 27-Jährige steht auf Platz fünf der deutschen Europa-Kandidatenliste und hat im Februar einen schweren innerparteilichen Tumult ausgelöst: Weil sie am Jahrestag der Bombardierung Dresdens, vermummt - aber oben ohne - vor der Semperoper posierte. "Thanks Bomber Harris" stand auf ihrer nackten Brust. Harris hieß der britische Offizier, der einst die Bombardierung der Stadt befahl. Auf diese Weise protestierte die Piratin gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch."Diese Mythen, diese geschichtsrevisionistischen Mythen, die sich um Dresden, um die Bombardierung von Dresden spinnen, sind ja fast nicht mehr zu übertreffen. Und natürlich: Ich wollte damit Nazis provozieren."Anne Helm, eine kleine Frau mit grünem Kleid und Kapuzenshirt, arbeitet hauptberuflich als Synchronsprecherin und ehrenamtlich in einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung. Die Politikerin, die sich selbst als Antifaschistin bezeichnet, wurde trotz ihrer Vermummung nach der Dresdner Aktion identifiziert. Die Folge: Ein Proteststurm, an dem sich Boulevardmedien, Rechtsextreme und Piratenanhänger gleichermaßen beteiligten. Der Krach führte im März zum Rücktritt des halben Bundesvorstands. Flügelkämpfe brachen aus. Die liberale Parteiströmung warf der anderen - der linken - Strömung vor, die Piraten mit "Antifaschisten" zu unterwandern. Der Streit schwelt immer noch."Hab mich danach noch mal offiziell speziell bei den Piraten entschuldigt für das - für die Unruhe, die ich reingebracht habe. Und ich habe mich vor allem dafür entschuldigt, dass ich durchaus auch Stimmen, die ich ernst nehme, bekommen habe, von Menschen, die Bombardierungen nicht in Dresden, aber andernorts erlebt haben, und für die das verletzend war. Und das tut mir natürlich leid."Anne Helm erhielt Morddrohungen, musste Wohnungen und Fahrzeuge wechseln - ihr Europa-Wahlkampf läuft deshalb mit eingeschränkter Kommunikation."Ich konnte weder Facebook noch Twitter noch E-Mails irgendwann mehr filtern, ich musste auch meine offizielle Piratenpartei-Emailadresse lahmlegen - weil das ist einfach ermüdend."Im Kreuzberger Piraten-Büro hängt - nach der nächtlichen Party - ein 37-Jähriger auf einem Sofa ab, ein Mann mit schwarzer Brille, Fünftagebart und grauem Kapuzenshirt. In der Hand hält er eine Spielkonsole - ein Beamer projiziert eine Autojagd auf die gegenüberliegende Wand. Der Name des Zockers: Oliver Höfinghoff, Fraktionschef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Politiker ist stolz, dass seine Partei die Sperrklausel kippen konnte. Die Piraten hatten - genauso wie 18 weitere Kleinstparteien - vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Dreiprozenthürde geklagt."Beim Fall der Dreiprozenthürde ging's halt um eine Prinzipien-Entscheidung und nicht irgendwie um die Existenzberechtigung."Piraten keine Alternative für Protestwähler mehrDie Piraten versuchen, die Medien nun mit einem professionellen Auftritt zu erobern. Während sie im vergangenen Bundestagswahlkampf noch mit unübersichtlich vielen Wahlkampf-Themen antraten, haben sie sich auf jetzt auf drei Schwerpunkte geeinigt: Asyl/Migration, Bürgerechte und das sogenannte "Demokratie-Upgrade" - also mehr Bürgerbeteiligung bei EU-Gesetzen. Begleitend läuft die Spezial-Kampagne gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Zudem hat eine parteiinterne "Servicegruppe" mit ehrenamtlichen, aber ausgebildeten Grafikern einheitliche Wahl-Plakate produziert. EU-Kandidatin Anne Helm klagt jedoch, dass einige Piratenverbände, wie in München, nicht an die Europaabstimmung dachten. Sie hätten es nur auf die Kommunalwahl abgesehen, die zeitgleich in zehn Bundesländern ansteht."Also dann macht halt doch jeder noch mal eigene Plakatentwürfe, oder dann sagt man den und den Kandidaten unterstütze ich nicht, aber den. Da kann man sich noch so schön ausdenken, klare Botschaften senden zu wollen, wenn irgendwie jeder Einzelne sagt: Nö, die Botschaft möchte ich aber nicht senden, und ich habe mir jetzt was Eigenes ausgedacht."Aber es geht noch dramatischer: Auf Twitter läuft gar eine Aktion von Piratenfreunden, die die gesamte Europawahl sabotieren. Unter dem Hashtag "Kein Handschlag" werden Kandidaten der Partei als zu linkslastig beschimpft. Parteiinterne Kämpfe, kritische Medien und skeptische Bürger: Die Piraten segeln nur mit halber Kraft in den Europa-Wahlkampf. Der Göttinger Politikwissenschaftler Alexander Hensel resümiert, dass die Alternativpartei nur noch auf Kernwähler setzen könne."Ich glaube, dass es momentan keine direkte Konkurrenz zwischen den Piraten und der AfD im Wettbewerb um Protestwähler mehr gibt. Weil die Piratenpartei ihre Mobilisierungskraft für diese Schicht von Protestwählern mittlerweile verloren hat."Doch bis zur Stimmauszählung am nächsten Sonntag ist noch nichts entschieden. Denn die Meinungsforschungsinstitute können die Präferenzen der Wähler nicht auf den Prozentpunkt genau abbilden. Ob also ihre Stimme wirklich etwas bewegen wird in Brüssel oder Straßburg? Nach Expertenangaben glauben daran nach wie vor viele Bürger nicht - selbst ohne Sperrklausel. Ob sie recht behalten, wird sich zeigen. Spätestens am 25. Mai, wenn um 18 Uhr die Wahllokale schließen.
    Julia Reda, Spitzenkandidatin der Piratenpartei
    Julia Reda tritt als Spitzenkandidatin der Piraten an (dpa/picture alliance/Caroline Seidel)