Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Evangelische Kirche
„Ein Schiff alleine ist noch keine Lösung“

Dass Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer zu Tode kommen, sei nicht akzeptabel, erklärte der Migrationsbeauftragte des Rates der EKD, Präses Manfred Rekowski, im Dlf. Über die Entsendung eines eigenen Schiffes oder eine andere Form des Engagements müsse noch in der Kirche diskutiert werden.

Manfred Rekowski Im Gespräch mit Rainer Brandes | 13.07.2019
Der Präses der Evangelischen Kirche Rheinland, Manfred Rekowski, spricht bei der Eröffnung der 71. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. 2019
Werke rettender Liebe - eine Kernaufgabe von Kirche und Diakonie" - sagt Präses Manfred Rekowski (picture alliance / Thomas Frey)
Rainer Brandes: "Schicken wir ein Schiff" – diese plakative Überschrift hat der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold für eine Resolution gewählt, die er im Juli auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund eingebracht hat, und diese Resolution ist dort dann auch verabschiedet worden. Sie richtet sich an die evangelische Kirche in Deutschland, also den Dachverband aller evangelischen Landeskirchen.
Gemeint ist die Resolution ganz wörtlich: Die evangelische Kirche soll ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer schicken, um dort Migrantinnen und Migranten vor dem Ertrinken zu retten, aber ist das wirklich Aufgabe der Kirche – daran melden jedenfalls sowohl einige Politikerinnen als auch Theologen Zweifel an. Manfred Rekowski ist Präses der evangelischen Kirche im Rheinland und gleichzeitig Migrationsbeauftragter des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland. Guten Morgen!
Manfred Rekowski: Guten Morgen!
Brandes: Haben Sie sich schon mal umgeschaut, wo ein alter Fischkutter günstig zu haben ist?
Rekowski: Ja, das ist ja nicht das Hauptanliegen, sondern das Hauptanliegen dieser Initiative, die Sie ja eben beschrieben haben, ist dies, zunächst aufmerksam zu machen auf die Situation im Mittelmeer, die nach wie vor nicht akzeptabel ist, dass Menschen auf der Flucht in großer Zahl zu Tode kommen. Das ist ja das eigentliche Signal, was sich damit verbindet. Das Zweite ist natürlich auch richtig, die evangelische Kirche in Deutschland ist keine Reederei, das ist ja nicht sozusagen unsere Hauptaufgabe, aber wenn ich so an das Handeln unserer Kirche auch etwa im 19. Jahrhundert denke, da hatte man formuliert, es geht um Werke rettender Liebe.
Also das heißt, da ging es um die soziale Frage, man sah, dass Menschen auf der Strecke bleiben und hat gesagt, wir müssen mit unserem diakonischen, mit unserem sozialen Handeln wirklich konkret etwas tun, und da war diese Formulierung, die man ja auch durchaus beziehen könnte auf die Seenotrettung, es ginge um Werke rettender Liebe. Das wiederum ist eine Kernaufgabe von Kirche und Diakonie.
"Damit dürfen wir uns nicht abfinden"
Brandes: Und wenn ich Sie da so höre, dann haben Sie da durchaus Sympathie dafür, aber unterstützen Sie auch konkret die Forderung nach einem eigenen Rettungsschiff der Kirche?
Rekowski: Also das wird natürlich bei uns in den Gremien jetzt sehr intensiv beraten, insbesondere auch im Rat der EKD. Also ich gehe nach dem jetzigen Diskussionsstand, wie ich ihn kenne, nicht davon aus, dass die EKD selber alleine ein Schiff tragen wird, aber es wird schon darum gehen, ob man nicht so etwas wie eine Koalition von Menschen findet, die aus der Zivilgesellschaft gemeinsam etwas tun, mehr tun als bisher, um wirklich deutlich zu machen, das, was wir im Mittelmeer erleben, damit dürfen wir uns nicht abfinden, darauf muss reagiert werden, und wir dürfen nicht wegsehen, sondern man lässt niemanden ertrinken. Das ist am Kirchentag so formuliert worden.
Brandes: Ja, aber das gibt es ja auch durchaus schon. Es gibt ja private Seenotrettungsorganisationen wie zum Beispiel Sea-Watch oder Sea-Eye, die machen ja genau das schon, und auch die Kirche ist ja schon an der Finanzierung beteiligt, die unterstützt unter Umständen einige dieser Organisationen. Was ist dann das Neue dadran?
Rekowski: Also zunächst mal ist das richtig, ich habe mir das auch vor allen Dingen auf Malta angeschaut, was die zivilen Organisationen da auf die Beine stellen. Das ist ja nun wirklich auch enorm, habe allerdings auch wahrnehmen müssen, dass die ja auch an dieser Aufgabe durch staatliche Behörden gehindert wurden. Also ich habe das schon so verstanden, diese Initiative ist ein Wachrüttler gewesen, der noch mal sagt, wie ich es eben schon ausgedrückt habe, wir dürfen uns damit nicht abfinden.
Wir werden in den kirchlichen Gremien, insbesondere der Rat der EKD wird das ja noch mal intensiv debattieren, wir wollen ein Zeichen setzen, so habe ich das verstanden, die Initiative, und da habe ich eine gewisse Grundsympathie. Über das Wie der Umsetzung kann man nachdenken, dass wir sagen, wir werden uns nicht damit abfinden, dass die Situation so bleibt wie sie ist im Mittelmeer, dass sozusagen Menschen, obwohl man das verhindern kann, auf der Flucht zu Tode kommen.
"Zum jetzigen Zeitpunkt keine Eventualdiskussion"
Brandes: Mal angenommen, Sie werden sich dann im Herbst dafür entscheiden, sich zumindest finanziell da irgendwie dran zu beteiligen, dann wird also die Kirche auch mit dafür verantwortlich gemacht, was diese Schiffe dann tun, und dann stehen Sie ja vor der moralischen Frage, was tun Sie denn, wenn dann meinetwegen Italien keine Einfahrtgenehmigung gibt? Werden Sie dann Recht brechen und sich eben doch drüber hinwegsetzen, in die Häfen einfahren, oder werden Sie die Flüchtlinge zurück nach Libyen schicken, wo sie unmenschlich behandelt werden? Also wie wollen Sie dann verfahren?
Rekowski: Ich würde zunächst zum jetzigen Zeitpunkt keine Eventualdiskussion führen.
Brandes: Aber das sind ja genau die Fragen, vor denen Sie dann stehen werden.
Rekowski: Ich würde es sehr gerne noch mal einordnen. Es geht ja in der Tat darum, dass wir sagen müssen, also die Situation am Mittelmeer ist nicht akzeptabel, wir müssen aber auch sehen, dass in der Tat das Weltproblem Flucht ein größeres ist, dass wir auch ganz andere Fragen – die haben Sie ja eben angesprochen – unbedingt auch europäisch klären müssen, unabhängig von dieser Frage, ob die EKD sich an einem solchen Schiff beteiligt oder nicht.
Also etwa wie ist das Verteilsystem von Flüchtlingen, dass wir das sozusagen europäisch immer noch nicht gelöst bekommen, ist in der Tat skandalös in meinen Augen, dass sozusagen wann immer Menschen gerettet werden, dann dasselbe Spiel, schäbige Spiel losgeht, dass man sagt, wer ist denn nun bereit, mühsame Abstimmungsprozesse laufen. Das ist wirklich unwürdig, und an dieser Stelle, darauf, denke ich, müssen wir uns insgesamt konzentrieren, da muss es Fortschritte geben, da muss es Lösungen geben. Das ist schon auch unser primäres Interesse.
"Wir sind da Lobbyisten für die Menschlichkeit"
Brandes: Und genau da, weil Sie gerade das Verteilproblem ansprechen, da hat der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner vor Kurzem hier im Deutschlandfunk gesagt, Menschen retten und dann nicht wissen, wohin man sie bringen soll, das sei Aktionismus. Was sagen Sie dazu?
Rekowski: Na ja, ich finde es sehr, sehr zynisch und nicht akzeptabel, wenn wir sagen, wir bemühen uns nicht darum, Menschen zu retten. Das ist, finde ich, auch in meinen Augen Christenpflicht. Dann geht es darum, wie geht man mit dieser Situation verantwortlich um. Ich denke schon, das war ja, glaube ich, auch Gedanke dieser Initiative, dass sie sagt, wie werden eigentlich staatliche Behörden darauf reagieren, wenn sozusagen auch die Kirche selber präsent wäre. Das wird man sozusagen jetzt noch mal in Ruhe alles überlegen müssen.
Ich finde generell, dass wir als Kirche immer wieder auf diese Situation hinweisen, dass wir keine Ruhe geben. Wir sind da Lobbyisten für die Menschlichkeit, aber es ist klar, ein Schiff alleine ist noch keine Lösung. Ich habe das ja in Malta gesehen, wenn Schiffe nicht auflaufen können oder wie wir das jetzt mehrfach erlebt haben, wenn Gerettete nicht an Land kommen können, ist das natürlich ein Stück Fortsetzung des Elends.
Brandes: Aber sollte sich die Kirche da so in die Außenpolitik anderer Länder einmischen? Also Richard von Weizsäcker, der war mal Bundespräsident, aber auch Kirchentagspräsident, der hat mal gesagt, die Kirche wolle nicht selbst Politik machen, sondern sie wolle Politik möglich machen. Verlassen Sie dann diesen Grundsatz?
Rekowski: Nein, das ist ja eine präzise Beschreibung, aber genauso richtig ist der Satz, dass wir nicht nur sagen, wir beobachten und beschreiben das Elend, das wir im Mittelmeer ja sehen, sondern wir sind auch gefordert, und das sind nicht nur die Kirchen, sondern das ist die Zivilgesellschaft insgesamt, dass es da Lösungen gibt, und insofern hat von Weizsäcker recht mit dem Satz, und wir werden sicherlich nicht in das politische Tagesgeschäft einsteigen, aber wir werden auch keine Ruhe geben, wenn es darum geht, nach Lösungen zu suchen, die tragfähig sind. Da muss, da haben Sie völlig recht, deutlich mehr passieren als jetzt.
Wir müssen auch darüber nachdenken, wie kann es eigentlich für besonders verletzliche schutzsuchende Menschen sichere Zugänge nach Europa geben, aber da erleben wir ja wirklich in der europäischen Politik eine Serie von Nulllösungen, keinerlei Fortschritt.
"Ich möchte diesen Kausalzusammenhang deutlich bestreiten"
Brandes: Jetzt ist ja das Agieren von privaten Seenotrettern auch hier in Deutschland hochumstritten, weil einige Leute auch sagen, man lockt damit nur immer mehr Menschen auf die lebensgefährliche Überfahrt, weil die ja dann wissen, dass sie gerettet werden. Würde sich dann am Ende die Kirche nicht vielleicht sogar schuldig machen am Tod von Menschen?
Rekowski: Also zunächst möchte ich diesen Kausalzusammenhang deutlich bestreiten. Ich habe das in dem Jahr, wo ich auf Malta war, da war im Monat Juni kein einziges Schiff im Einsatz, es war aber der Monat, an dem wir die höchste Quote von Menschen hatten, die ums Leben kamen. Also dass ein Kausalzusammenhang besteht, dass sozusagen erst die Seenotrettungsschiffe zur Fluchtbewegung auslösen, das finde ich sehr kurzschlüssig, sondern die Not der Menschen ist so groß, dass sie sich auf den Weg machen, der in der Tat höchst riskant und unsicher ist, und nicht jeder, der sich auf den Weg macht, weiß, dass er gerettet wird, sondern es sind ja mehr als 30.000 Menschen schon zu Tode gekommen. Das ist eine enorm hohe Zahl.
Brandes: Aber jetzt gibt es ja auch durchaus Kirchenmitglieder, die sehen dieses Agieren der Seenotretter kritisch, warum auch immer, aber wie erklären Sie denen dann, dass Sie ihre Kirchensteuergelder dafür dann ausgeben werden?
Rekowski: Also natürlich in einer Volkskirche, wie es die evangelische Kirche in Deutschland ist, haben wir sehr unterschiedliche Positionen und Ziele und Fragen. Das Spektrum ist da sehr breit, und die Positionen, die man in der gesellschaftlichen Diskussion findet, finden sich auch bei uns wieder, und ich selber habe da auch lebhafte Diskussionsprozesse mit unterschiedlichen Menschen.
Ich denke, diese Debatte wird man führen müssen, dass Menschen fragen, ist da das Geld gut angelegt, gibt es da Alternativen. Ich denke, in den Diskussionen – ich habe darauf verwiesen jetzt –, die jetzt geführt werden, wird das auch mit einfließen. Der Ball liegt jetzt erst mal im Feld des Rates der EKD, und dann werden wir sehen, zu welcher Entscheidung es da kommt.
Brandes: Ganz kurz: Wann wird die Entscheidung fallen?
Rekowski: Also nach meiner Kenntnis wird das im September sein, aber da ich nicht Ratsmitglied bin, kann ich das nicht präzise sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.