"Ich war mal auf einer Tagung, mit dem Titel 'Was wissen Biologen schon vom Leben?'. Also doppeldeutig: Was wissen sie schon [abfällig] - und was wissen sie schon [bereits] vom Leben. Diese Formulierung fand ich sehr spannend."
Doktor Hubert Meisinger, Theologe und Mitveranstalter der Bonner Tagung, beschreibt die Frage, um die es seit Darwins Einsicht, dass alle Arten natürlich auseinander entstanden sind, immer wieder geht. Kann die Biologie die Entstehung des Lebens und des Menschen umfassend erklären? Ist der Mensch wirklich nur ein Sonderfall der Evolution? Mehr oder weniger ein Zufall, nicht viel anders als Käfer und Würmer? Sind seine Emotionen, seine geistigen Fähigkeiten, Kultur und Moral nur als "Selektionsvorteil" im Kampf ums Dasein zu verstehen?
Professor Wolfgang Walkowiak, Zoologe und Neurobiologe an der Universität Köln, erläutert, dass selbst die Entstehung von Religion evolutionsbiologisch erklärbar ist.
"Soziobiologen sagen, Religion hat sehr viel mit dem Handicapprinzip zu tun. Jemand, der religiös ist, zeigt eben, dass er in der Lage ist, Zeit zu investieren, auch materielle Opfer zu bringen - und damit wäre er auch als potenzieller Ernährer einer Familie wieder interessant. Zudem, das ist eine klassische Erklärung für Religionsstrukturen, dass eben das Ganze Machtstrukturen sind oder Strukturen sind, die das Sozialwesen zusammenhalten. Also von daher kann man sich gut erklären, dass Religion einen großen evolutiven Vorteil hat. Und Religion hat sicher sehr viel damit zu tun, den Begriff der Endlichkeit zu überwinden. Von daher also, was man so als Kontingenzbewältigung bezeichnet, hat Religion auch aus biologischer Sicht einen großen Vorteil."
Gibt es trotzdem etwas, was die Evolutionsbiologie nicht erklärt? Oder anders gefragt: Kann der Mensch doch mehr, als zur biologischen Erhaltung seiner Art notwendig ist? "Beyond Darwin" - "Über Darwin hinaus" - nannte sich eine Tagung an der Evangelischen Akademie des Rheinlands in Bonn. Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen trafen sich dort, um über die Grenzen von Evolutionsbiologie und naturwissenschaftlicher Erkenntnis hinauszufragen: Welche Bedeutung können Begriffe wie Geist, Seele - oder gar Gott - heute noch haben? Der Heidelberger Philosoph Dr. Gerald Hartung nannte den Menschen ein "ambivalentes Wesen", das zwar in der Natur wurzelt, doch zugleich die Freiheit hat, diese Natur ein Stück weit hinter sich zu lassen.
"Der Begriff der Ambivalenz zeigt am deutlichsten, wie man die menschliche Lebensform beschreiben kann. Denn es bedeutet, dass der Mensch ein Wesen ist, das grundsätzlich nicht in eindeutig beantwortbaren Lebenszusammenhängen steht. Unser Verhalten ist nicht nur durch Triebe, Instinkte oder Umwelteinflüsse vorgegeben, auf die wir reagieren. Sondern wir reagieren nicht nur auf Umwelteinflüsse, sondern wir geben eine Antwort auf die Aufgaben, die uns durch unsere Umwelt gestellt werden."
Gerald Hartung beschrieb den Menschen als "Homo Ridens", als "lachenden Menschen", und versuchte, daran den Unterschied zwischen Mensch und Tier festzumachen. Das Lachen sei nämlich, wie der Heidelberger Philosoph ausführte, ein "Grenzgänger zwischen Natur und Kultur". Es könne ein bloßer Reflex sein, doch ebenso gebe es, zum Beispiel bei Nietzsche, das Lachen des Übermenschen angesichts der Grund- und Sinnlosigkeit der Welt.
"Es hat eine Naturseite, die man am Vorgang des Kitzelns sehen kann, und es hat eine Kulturseite. Die Naturseite des Lachens ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt lachen können. Also wenn unser Organismus nicht reizbar wäre, und wenn es auch nicht die physiologischen Voraussetzungen für dieses Lachen gäbe, würden wir nicht lachen. Aber wenn wir uns selbst betrachten, müssen wir feststellen, dass es eine einheitliche menschliche Natur, also die Vorstellung, dass es eine beschreibbare Menge von Gründen gibt, aufgrund deren Menschen zum Lachen gebracht werden können, nicht gibt."
Der Begriff der "Kultur", den Gerald Hartung hier der menschlichen "Natur" gegenüberstellt, spielt allerdings zunehmend auch eine Rolle innerhalb der Biologie. Evolutionäre Entwicklungsschritte des Menschen - wie auch von anderen hoch entwickelten Lebewesen - werden durch kulturelle Einflüsse maßgeblich geprägt. Sie sind nicht einfach nur genetisch vorprogrammiert. Prof. Wolfgang Walkowiak, Zoologe und Hirnforscher an der Universität Köln:
"Zunächst mal ist der Mensch ein Produkt der Evolution. Da führt kein Weg daran vorbei. Wir wissen aber, dass kulturelle Einflüsse eine sehr starke Bedeutung auch für die Evolution des Gehirns haben. Man kann im Tierexperiment zeigen, dass durch einen Tutor, durch einen Trainer, im Tierexperiment Leistungen hervorgerufen werden, die deutlich über das hinausgehen, was die Tiere in der freien Wildbahn zeigen würden. Bei den Tieren, die man dressiert hat, konnte man Veränderungen im Gehirn feststellen, das heißt also, es gibt einen Einfluss der Kultur auch auf die biologische Evolution. Wenn ein Mensch Sprache lernt, ist das eine gewisse kulturelle Leistung, und hier sieht man natürlich die Interaktion zwischen Gesellschaft und Individuum. Das heißt, der Mensch nur aufgrund seiner biologischen Wurzeln ist nicht in der Lage, kulturelle Leistungen zu erbringen. Das hängt mit der Gemeinschaft zusammen. Und von daher geht Kultur über das Biologische hinaus."
Allerdings vollzieht sich für den Naturwissenschaftler Wolfgang Walkowiak die Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur in strengen Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen. Die Umwelteinflüsse prägen sich sozusagen in die biochemische Natur des Menschen ein, während dieser so geprägte Mensch dann wieder seine Umwelt beeinflusst. Anders gesagt: Platz für Freiheit, freien Willen, für einen menschlichen Geist, der unabhängig von seiner biochemischen Determiniertheit Entscheidungen trifft, sieht der Neurowissenschaftler nicht. Als Naturwissenschaftler, so Wolfgang Walkowiak, könne er mit solchen Begriffen nichts anfangen:
"Als Naturwissenschaftler versucht man immer, analytisch vorzugehen. Und man würde versuchen, den Begriff zu definieren und auf seine einzelnen Faktoren zurückzuführen. Das ist bei dem Begriff Geist und Seele sehr schwierig. Wir beginnen gerade erst, auch über den Begriff des Bewusstseins nachzudenken. Und der ist ein Begriff, der in der Philosophie eine große Rolle spielt, aber auch im alltäglichen Bereich. Also jemand ist bewusst, bewusstlos und so weiter. Und von daher versucht man, den Begriff Bewusstsein naturwissenschaftlich einzukreisen. Und mit dem Begriff Seele und Geist ist es noch schwieriger."
Den naturwissenschaftlichen Anspruch auf genaues analytisches Vorgehen und auf präzise Berechenbarkeit stellte der Physiker und Philosoph Prof. Jan C. Schmidt von der TU Darmstadt allerdings gerade infrage. Die "großmetaphysischen Einheitskonzepte" der Naturwissenschaften würden nämlich durch die Erkenntnisse der "nachmodernen" Physik relativiert. Neuere mathematisch-physikalische Forschungen, wie zum Beispiel die Chaostheorie, hätten deutlich gemacht, dass die Welt doch nicht so berechenbar und experimentell reproduzierbar sei, wie üblicherweise angenommen. Vielmehr müsse man ebenso von der Erfahrung der "Instabilität" ausgehen, von der Tatsache, dass auch kleinste Ereignisse oftmals große, nicht berechenbare Wirkungen haben: dass die Welt teilweise unbeherrschbar sei. Und eine solche "Instabilität" stehe auch im Zentrum der Evolutionsbiologie, die ja die biologische Weiterentwicklung des Lebens als Folge zufälliger Genmutationen beschreibt.
"Instabilität ist der Kern und die Quelle der Selbstorganisationstheorien. Ohne Instabilität passiert nichts auf der Welt, kein Wachsen und kein Werden. Instabilität ist eine Situation, wie wir sie auch kennen. Es steht etwas auf des Messers Schneide. Instabil heißt, wir müssen durch einen Tunnel der Instabilität hindurch, um etwas Neues erfahren zu können. Das kennt jeder aus seiner Lebenssituation, dass viele Bereiche sehr stabil und geordnet sind. Und möchte ich etwa verändern, sind Punkte der Instabilität da. Genauso hat es die Natur eingerichtet: Mutationsprozesse sind Prozesse, wo ein instabilitätsbasierter Zufall dazu führt, dass neue Komplexitäten entstehen können."
Über den Begriff der "Instabilität", die Erfahrung also einer Unberechen- und Unvorhersehbarkeit natürlicher Vorgänge, öffnet sich für Jan C. Schmidt ein Raum für -Transzendenz. Zumindest sei der Mensch vor ein Rätsel gestellt, das er nicht lösen könne, erfahre ein fragendes Staunen, über das der Religionswissenschaftler Paul Tillich einmal sagte: "Nennen Sie es Gott oder das Leben."
"Ich verfolge da zwei Richtungen. Eine Richtung geht eigentlich eher vom Staunen, vom Wunderbaren in der Natur aus. Die andere ist, dass die Physik zeigt, dass sie selbst Grenzen hat. Wir finden im Bereich der nachmodernen Physik, der Selbstorganisation immanente Grenzen im Bereich der Berechenbarkeit, der Reproduzierbarkeit, der Testbarkeit und so weiter. Das heißt, die Physik führt ihren eigenen Geltungsanspruch zurück. Und das eröffnet Anknüpfungspunkte auch im Dialog mit der Theologie."
Wie allerdings oft bei Tagungen, wo Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen miteinander ins Gespräch kommen sollen, scheint das Interesse am interdisziplinären Dialog vor allem aufseiten der Geisteswissenschaftler zu liegen. Es scheint, dass diese durch die Erfolge der Naturwissenschaften zunehmend in die Defensive geraten und ihre eigenen Ideen an den buchstäblich "seelenlosen" Analysen von Biologie oder Neurowissenschaften messen wollen. Professor Wolfgang Walkowiak, Zoologe an der Universität Köln:
"In der Tat ist es so, dass von den Geisteswissenschaften und insbesondere von der Theologie solche Diskussionen gesucht werden. Gerade die professionellen Theologen sind sehr offen, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass die auf der Suche sind. Es ist über Jahrtausende in der Philosophie, bis zur Neuzeit, der Seelenbegriff und der des Geistes zwar immer modifiziert, aber nicht prinzipiell in Frage gestellt worden, aber auch nie richtig definiert worden - zumindest aus naturwissenschaftlicher Sicht."
Allerdings grenzten sich die Theologen auf der Bonner Tagung klar ab von jenen konfliktträchtigen Diskussionen, wie sie im Streit um "Evolution oder Intelligent Design?" geführt werden. Dabei wenden sich die Vertreter des "Intelligent Design" gegen den Ansatz der Biologie, die die hoch komplexen Phänomene des Lebens allein durch Zufall erklärt. Stattdessen sei die Annahme eines "intelligenten Designers", einer göttlichen Schöpfung, wahrscheinlicher - ja nahezu zwingend.
Hinter solchen Argumentationen steht die bis in die Antike zurückweisende Idee, dass Gott letztlich die Ursache für alle natürlichen Vorgänge in der Welt ist. Wie wurde aus Nichts Etwas? Durch einen ersten Beweger, sagte die Philosophie; durch einen Schöpfer, die Theologie. Und beide versuchten so, das Rätsel der Entstehung von Welt und Leben zu lösen. Doch letztlich wurde Gott damit zum "Lückenbüßer" für Phänomene, die naturwissenschaftlich - noch - nicht erklärbar waren. Prof. Jürgen Hübner, Theologe am evangelischen Institut für interdisziplinäre Forschung in Heidelberg:
"Das ist ein philosophisches Konzept, wenn man denkerisch versucht, den Anfang der Welt zu rekonstruieren; und anhand des Kausalschemas vorzudringen versucht, dann kommt man natürlich zu so einem Begriff wie die Prima Causa. Und das ist ja auch die Naturerfahrung und das Nachdenken der Naturerfahrung in der antiken Kultur. Aristoteles, das Kausalschema - ist ja ein zentraler Bestandteil der aristotelischen Philosophie. Und innerhalb der christlichen Tradition ist dann der biblische Schöpfungsglaube mit der griechischen Kosmologie verbunden worden und Schöpfung ist dann im griechischen Sinne im Rahmen des Kausalschemas bedacht worden."
Die Vertreter des Intelligent Design, so meint Jürgen Hübner, hängen dieser Idee eines "Lückenbüßergottes" weiterhin an; mit dem fatalen Resultat, dass mit dem Fortschreiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse Gott immer weiter aus dem Leben herausgedrängt wurde.
Für die Theologen auf der Bonner Tagung kann es deshalb nicht mehr darum gehen, mit den Naturwissenschaften um die beste Erklärung für die Entstehung von Welt und Leben zu konkurrieren. Andere Gottesbilder seien erforderlich, Bilder eines dynamischen Gottes, der in allem werde und wirke und nicht aus dem Jenseits sozusagen Naturgesetze anstoße oder außer Kraft setze, Gewitter erzeuge oder Arten schaffe.
Die moderne Schöpfungstheologie, meint Jürgen Hübner, frage nach dem Sinn des Ganzen; danach, ob ich für das Leben dankbar sein - oder mich seiner blinden Zufälligkeit überlassen muss.
"Da wird nicht nach der Entstehung des Universums gefragt, sondern: Wie komme ich im Leben zurecht. Und da gibt die biblische Tradition hilfreiche Antworten - und die Suche nach diesen Antworten setzt theologisch einen anderen wissenschaftstheoretischen Zugang voraus, als die Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaft basiert weitgehend auf den aristotelischen Wurzeln, während die Fragen nach dem Sinn, dem Wert des Lebens - diese existenzielle Fragerichtung, wem verdanke ich mein Leben, wie kann ich mich des Lebens freuen -, diese Fragen müssen im Sinne der biblischen Tradition anders beantwortet werden, als mit Kausalanalyse. Schöpfung muss einerseits von dieser Dankbarkeit, dem Geschenkcharakter dieser Welt ausgehen, andererseits davon, dass ich diese Dankbarkeit nur erfahren kann, wenn ich Gott gehört habe, wenn ich die Erfahrung mit Gottes Wort gemacht habe. Letztlich ist es Glaube."
Letztlich ist es Glaube. Der "religiös Unmusikalische" wird zweifelnd feststellen, dass das Gottesbild stark von der jeweiligen Zeit geprägt wird; und dass die naturwissenschaftliche Welterklärung Gott tatsächlich weitgehend überflüssig gemacht hat. Er wird fragen, ob Gott am Ende eine Erfindung des Menschen ist?
Und dennoch bleibt ein Rätsel. "Die Physik hat die Geheimnisse der Natur nicht eliminiert, sondern sie hat in tieferliegende Geheimnisse geführt," schrieb der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker. Und selbst der Hirnforscher Wolf Singer, der einen freien Willen des Menschen entschieden ablehnt, sagte einmal in einem Interview, dass das, was sich uns erschließt, Teil von etwas Größerem, nicht Erfassbarem sei.
Doch während die Kirche dieses Unbekannte mit Geschichten ausmale, könne er daraus allenfalls die Bescheidenheit ableiten, dass wir alle nur über begrenzte Einsichten verfügen. Für den Ungläubigen heißt "Beyond Darwin" deshalb vielleicht, dass hinter den Erklärungen der Naturwissenschaften ein untilgbares Staunen bleibt, das zwar vielleicht keine göttliche, aber immerhin eine wunder-bare Welt offenbart. Der Zoologe und Neurowissenschaftler Prof. Wolfgang Walkowiak:
"Das erscheint einem schon wie ein Wunder und es ist so - das ist ja einer der Kritikpunkte, die ja immer an der Evolutionstheorie geäußert wird -, dass eine Abfolge von sehr vielen Zufällen nötig war, dass das Produkt - so wie wir es jetzt erkennen, oder es jetzt ist - dann vor uns haben. Aber selbst wenn wir als Naturwissenschaftler immer weiter in die Entstehung des Weltalls vordringen oder in die Entwicklung des Gehirns, dieses Gefühl der Wunderbaren verliert man tatsächlich nie, die Ehrfurcht auch vor dem, was man vielleicht als Schöpfung bezeichnen kann; auch wenn ich den Begriff der Schöpfung jetzt als Naturwissenschaftler nicht im theologischen Sinn verstehe."
Doktor Hubert Meisinger, Theologe und Mitveranstalter der Bonner Tagung, beschreibt die Frage, um die es seit Darwins Einsicht, dass alle Arten natürlich auseinander entstanden sind, immer wieder geht. Kann die Biologie die Entstehung des Lebens und des Menschen umfassend erklären? Ist der Mensch wirklich nur ein Sonderfall der Evolution? Mehr oder weniger ein Zufall, nicht viel anders als Käfer und Würmer? Sind seine Emotionen, seine geistigen Fähigkeiten, Kultur und Moral nur als "Selektionsvorteil" im Kampf ums Dasein zu verstehen?
Professor Wolfgang Walkowiak, Zoologe und Neurobiologe an der Universität Köln, erläutert, dass selbst die Entstehung von Religion evolutionsbiologisch erklärbar ist.
"Soziobiologen sagen, Religion hat sehr viel mit dem Handicapprinzip zu tun. Jemand, der religiös ist, zeigt eben, dass er in der Lage ist, Zeit zu investieren, auch materielle Opfer zu bringen - und damit wäre er auch als potenzieller Ernährer einer Familie wieder interessant. Zudem, das ist eine klassische Erklärung für Religionsstrukturen, dass eben das Ganze Machtstrukturen sind oder Strukturen sind, die das Sozialwesen zusammenhalten. Also von daher kann man sich gut erklären, dass Religion einen großen evolutiven Vorteil hat. Und Religion hat sicher sehr viel damit zu tun, den Begriff der Endlichkeit zu überwinden. Von daher also, was man so als Kontingenzbewältigung bezeichnet, hat Religion auch aus biologischer Sicht einen großen Vorteil."
Gibt es trotzdem etwas, was die Evolutionsbiologie nicht erklärt? Oder anders gefragt: Kann der Mensch doch mehr, als zur biologischen Erhaltung seiner Art notwendig ist? "Beyond Darwin" - "Über Darwin hinaus" - nannte sich eine Tagung an der Evangelischen Akademie des Rheinlands in Bonn. Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen trafen sich dort, um über die Grenzen von Evolutionsbiologie und naturwissenschaftlicher Erkenntnis hinauszufragen: Welche Bedeutung können Begriffe wie Geist, Seele - oder gar Gott - heute noch haben? Der Heidelberger Philosoph Dr. Gerald Hartung nannte den Menschen ein "ambivalentes Wesen", das zwar in der Natur wurzelt, doch zugleich die Freiheit hat, diese Natur ein Stück weit hinter sich zu lassen.
"Der Begriff der Ambivalenz zeigt am deutlichsten, wie man die menschliche Lebensform beschreiben kann. Denn es bedeutet, dass der Mensch ein Wesen ist, das grundsätzlich nicht in eindeutig beantwortbaren Lebenszusammenhängen steht. Unser Verhalten ist nicht nur durch Triebe, Instinkte oder Umwelteinflüsse vorgegeben, auf die wir reagieren. Sondern wir reagieren nicht nur auf Umwelteinflüsse, sondern wir geben eine Antwort auf die Aufgaben, die uns durch unsere Umwelt gestellt werden."
Gerald Hartung beschrieb den Menschen als "Homo Ridens", als "lachenden Menschen", und versuchte, daran den Unterschied zwischen Mensch und Tier festzumachen. Das Lachen sei nämlich, wie der Heidelberger Philosoph ausführte, ein "Grenzgänger zwischen Natur und Kultur". Es könne ein bloßer Reflex sein, doch ebenso gebe es, zum Beispiel bei Nietzsche, das Lachen des Übermenschen angesichts der Grund- und Sinnlosigkeit der Welt.
"Es hat eine Naturseite, die man am Vorgang des Kitzelns sehen kann, und es hat eine Kulturseite. Die Naturseite des Lachens ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt lachen können. Also wenn unser Organismus nicht reizbar wäre, und wenn es auch nicht die physiologischen Voraussetzungen für dieses Lachen gäbe, würden wir nicht lachen. Aber wenn wir uns selbst betrachten, müssen wir feststellen, dass es eine einheitliche menschliche Natur, also die Vorstellung, dass es eine beschreibbare Menge von Gründen gibt, aufgrund deren Menschen zum Lachen gebracht werden können, nicht gibt."
Der Begriff der "Kultur", den Gerald Hartung hier der menschlichen "Natur" gegenüberstellt, spielt allerdings zunehmend auch eine Rolle innerhalb der Biologie. Evolutionäre Entwicklungsschritte des Menschen - wie auch von anderen hoch entwickelten Lebewesen - werden durch kulturelle Einflüsse maßgeblich geprägt. Sie sind nicht einfach nur genetisch vorprogrammiert. Prof. Wolfgang Walkowiak, Zoologe und Hirnforscher an der Universität Köln:
"Zunächst mal ist der Mensch ein Produkt der Evolution. Da führt kein Weg daran vorbei. Wir wissen aber, dass kulturelle Einflüsse eine sehr starke Bedeutung auch für die Evolution des Gehirns haben. Man kann im Tierexperiment zeigen, dass durch einen Tutor, durch einen Trainer, im Tierexperiment Leistungen hervorgerufen werden, die deutlich über das hinausgehen, was die Tiere in der freien Wildbahn zeigen würden. Bei den Tieren, die man dressiert hat, konnte man Veränderungen im Gehirn feststellen, das heißt also, es gibt einen Einfluss der Kultur auch auf die biologische Evolution. Wenn ein Mensch Sprache lernt, ist das eine gewisse kulturelle Leistung, und hier sieht man natürlich die Interaktion zwischen Gesellschaft und Individuum. Das heißt, der Mensch nur aufgrund seiner biologischen Wurzeln ist nicht in der Lage, kulturelle Leistungen zu erbringen. Das hängt mit der Gemeinschaft zusammen. Und von daher geht Kultur über das Biologische hinaus."
Allerdings vollzieht sich für den Naturwissenschaftler Wolfgang Walkowiak die Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur in strengen Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen. Die Umwelteinflüsse prägen sich sozusagen in die biochemische Natur des Menschen ein, während dieser so geprägte Mensch dann wieder seine Umwelt beeinflusst. Anders gesagt: Platz für Freiheit, freien Willen, für einen menschlichen Geist, der unabhängig von seiner biochemischen Determiniertheit Entscheidungen trifft, sieht der Neurowissenschaftler nicht. Als Naturwissenschaftler, so Wolfgang Walkowiak, könne er mit solchen Begriffen nichts anfangen:
"Als Naturwissenschaftler versucht man immer, analytisch vorzugehen. Und man würde versuchen, den Begriff zu definieren und auf seine einzelnen Faktoren zurückzuführen. Das ist bei dem Begriff Geist und Seele sehr schwierig. Wir beginnen gerade erst, auch über den Begriff des Bewusstseins nachzudenken. Und der ist ein Begriff, der in der Philosophie eine große Rolle spielt, aber auch im alltäglichen Bereich. Also jemand ist bewusst, bewusstlos und so weiter. Und von daher versucht man, den Begriff Bewusstsein naturwissenschaftlich einzukreisen. Und mit dem Begriff Seele und Geist ist es noch schwieriger."
Den naturwissenschaftlichen Anspruch auf genaues analytisches Vorgehen und auf präzise Berechenbarkeit stellte der Physiker und Philosoph Prof. Jan C. Schmidt von der TU Darmstadt allerdings gerade infrage. Die "großmetaphysischen Einheitskonzepte" der Naturwissenschaften würden nämlich durch die Erkenntnisse der "nachmodernen" Physik relativiert. Neuere mathematisch-physikalische Forschungen, wie zum Beispiel die Chaostheorie, hätten deutlich gemacht, dass die Welt doch nicht so berechenbar und experimentell reproduzierbar sei, wie üblicherweise angenommen. Vielmehr müsse man ebenso von der Erfahrung der "Instabilität" ausgehen, von der Tatsache, dass auch kleinste Ereignisse oftmals große, nicht berechenbare Wirkungen haben: dass die Welt teilweise unbeherrschbar sei. Und eine solche "Instabilität" stehe auch im Zentrum der Evolutionsbiologie, die ja die biologische Weiterentwicklung des Lebens als Folge zufälliger Genmutationen beschreibt.
"Instabilität ist der Kern und die Quelle der Selbstorganisationstheorien. Ohne Instabilität passiert nichts auf der Welt, kein Wachsen und kein Werden. Instabilität ist eine Situation, wie wir sie auch kennen. Es steht etwas auf des Messers Schneide. Instabil heißt, wir müssen durch einen Tunnel der Instabilität hindurch, um etwas Neues erfahren zu können. Das kennt jeder aus seiner Lebenssituation, dass viele Bereiche sehr stabil und geordnet sind. Und möchte ich etwa verändern, sind Punkte der Instabilität da. Genauso hat es die Natur eingerichtet: Mutationsprozesse sind Prozesse, wo ein instabilitätsbasierter Zufall dazu führt, dass neue Komplexitäten entstehen können."
Über den Begriff der "Instabilität", die Erfahrung also einer Unberechen- und Unvorhersehbarkeit natürlicher Vorgänge, öffnet sich für Jan C. Schmidt ein Raum für -Transzendenz. Zumindest sei der Mensch vor ein Rätsel gestellt, das er nicht lösen könne, erfahre ein fragendes Staunen, über das der Religionswissenschaftler Paul Tillich einmal sagte: "Nennen Sie es Gott oder das Leben."
"Ich verfolge da zwei Richtungen. Eine Richtung geht eigentlich eher vom Staunen, vom Wunderbaren in der Natur aus. Die andere ist, dass die Physik zeigt, dass sie selbst Grenzen hat. Wir finden im Bereich der nachmodernen Physik, der Selbstorganisation immanente Grenzen im Bereich der Berechenbarkeit, der Reproduzierbarkeit, der Testbarkeit und so weiter. Das heißt, die Physik führt ihren eigenen Geltungsanspruch zurück. Und das eröffnet Anknüpfungspunkte auch im Dialog mit der Theologie."
Wie allerdings oft bei Tagungen, wo Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen miteinander ins Gespräch kommen sollen, scheint das Interesse am interdisziplinären Dialog vor allem aufseiten der Geisteswissenschaftler zu liegen. Es scheint, dass diese durch die Erfolge der Naturwissenschaften zunehmend in die Defensive geraten und ihre eigenen Ideen an den buchstäblich "seelenlosen" Analysen von Biologie oder Neurowissenschaften messen wollen. Professor Wolfgang Walkowiak, Zoologe an der Universität Köln:
"In der Tat ist es so, dass von den Geisteswissenschaften und insbesondere von der Theologie solche Diskussionen gesucht werden. Gerade die professionellen Theologen sind sehr offen, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass die auf der Suche sind. Es ist über Jahrtausende in der Philosophie, bis zur Neuzeit, der Seelenbegriff und der des Geistes zwar immer modifiziert, aber nicht prinzipiell in Frage gestellt worden, aber auch nie richtig definiert worden - zumindest aus naturwissenschaftlicher Sicht."
Allerdings grenzten sich die Theologen auf der Bonner Tagung klar ab von jenen konfliktträchtigen Diskussionen, wie sie im Streit um "Evolution oder Intelligent Design?" geführt werden. Dabei wenden sich die Vertreter des "Intelligent Design" gegen den Ansatz der Biologie, die die hoch komplexen Phänomene des Lebens allein durch Zufall erklärt. Stattdessen sei die Annahme eines "intelligenten Designers", einer göttlichen Schöpfung, wahrscheinlicher - ja nahezu zwingend.
Hinter solchen Argumentationen steht die bis in die Antike zurückweisende Idee, dass Gott letztlich die Ursache für alle natürlichen Vorgänge in der Welt ist. Wie wurde aus Nichts Etwas? Durch einen ersten Beweger, sagte die Philosophie; durch einen Schöpfer, die Theologie. Und beide versuchten so, das Rätsel der Entstehung von Welt und Leben zu lösen. Doch letztlich wurde Gott damit zum "Lückenbüßer" für Phänomene, die naturwissenschaftlich - noch - nicht erklärbar waren. Prof. Jürgen Hübner, Theologe am evangelischen Institut für interdisziplinäre Forschung in Heidelberg:
"Das ist ein philosophisches Konzept, wenn man denkerisch versucht, den Anfang der Welt zu rekonstruieren; und anhand des Kausalschemas vorzudringen versucht, dann kommt man natürlich zu so einem Begriff wie die Prima Causa. Und das ist ja auch die Naturerfahrung und das Nachdenken der Naturerfahrung in der antiken Kultur. Aristoteles, das Kausalschema - ist ja ein zentraler Bestandteil der aristotelischen Philosophie. Und innerhalb der christlichen Tradition ist dann der biblische Schöpfungsglaube mit der griechischen Kosmologie verbunden worden und Schöpfung ist dann im griechischen Sinne im Rahmen des Kausalschemas bedacht worden."
Die Vertreter des Intelligent Design, so meint Jürgen Hübner, hängen dieser Idee eines "Lückenbüßergottes" weiterhin an; mit dem fatalen Resultat, dass mit dem Fortschreiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse Gott immer weiter aus dem Leben herausgedrängt wurde.
Für die Theologen auf der Bonner Tagung kann es deshalb nicht mehr darum gehen, mit den Naturwissenschaften um die beste Erklärung für die Entstehung von Welt und Leben zu konkurrieren. Andere Gottesbilder seien erforderlich, Bilder eines dynamischen Gottes, der in allem werde und wirke und nicht aus dem Jenseits sozusagen Naturgesetze anstoße oder außer Kraft setze, Gewitter erzeuge oder Arten schaffe.
Die moderne Schöpfungstheologie, meint Jürgen Hübner, frage nach dem Sinn des Ganzen; danach, ob ich für das Leben dankbar sein - oder mich seiner blinden Zufälligkeit überlassen muss.
"Da wird nicht nach der Entstehung des Universums gefragt, sondern: Wie komme ich im Leben zurecht. Und da gibt die biblische Tradition hilfreiche Antworten - und die Suche nach diesen Antworten setzt theologisch einen anderen wissenschaftstheoretischen Zugang voraus, als die Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaft basiert weitgehend auf den aristotelischen Wurzeln, während die Fragen nach dem Sinn, dem Wert des Lebens - diese existenzielle Fragerichtung, wem verdanke ich mein Leben, wie kann ich mich des Lebens freuen -, diese Fragen müssen im Sinne der biblischen Tradition anders beantwortet werden, als mit Kausalanalyse. Schöpfung muss einerseits von dieser Dankbarkeit, dem Geschenkcharakter dieser Welt ausgehen, andererseits davon, dass ich diese Dankbarkeit nur erfahren kann, wenn ich Gott gehört habe, wenn ich die Erfahrung mit Gottes Wort gemacht habe. Letztlich ist es Glaube."
Letztlich ist es Glaube. Der "religiös Unmusikalische" wird zweifelnd feststellen, dass das Gottesbild stark von der jeweiligen Zeit geprägt wird; und dass die naturwissenschaftliche Welterklärung Gott tatsächlich weitgehend überflüssig gemacht hat. Er wird fragen, ob Gott am Ende eine Erfindung des Menschen ist?
Und dennoch bleibt ein Rätsel. "Die Physik hat die Geheimnisse der Natur nicht eliminiert, sondern sie hat in tieferliegende Geheimnisse geführt," schrieb der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker. Und selbst der Hirnforscher Wolf Singer, der einen freien Willen des Menschen entschieden ablehnt, sagte einmal in einem Interview, dass das, was sich uns erschließt, Teil von etwas Größerem, nicht Erfassbarem sei.
Doch während die Kirche dieses Unbekannte mit Geschichten ausmale, könne er daraus allenfalls die Bescheidenheit ableiten, dass wir alle nur über begrenzte Einsichten verfügen. Für den Ungläubigen heißt "Beyond Darwin" deshalb vielleicht, dass hinter den Erklärungen der Naturwissenschaften ein untilgbares Staunen bleibt, das zwar vielleicht keine göttliche, aber immerhin eine wunder-bare Welt offenbart. Der Zoologe und Neurowissenschaftler Prof. Wolfgang Walkowiak:
"Das erscheint einem schon wie ein Wunder und es ist so - das ist ja einer der Kritikpunkte, die ja immer an der Evolutionstheorie geäußert wird -, dass eine Abfolge von sehr vielen Zufällen nötig war, dass das Produkt - so wie wir es jetzt erkennen, oder es jetzt ist - dann vor uns haben. Aber selbst wenn wir als Naturwissenschaftler immer weiter in die Entstehung des Weltalls vordringen oder in die Entwicklung des Gehirns, dieses Gefühl der Wunderbaren verliert man tatsächlich nie, die Ehrfurcht auch vor dem, was man vielleicht als Schöpfung bezeichnen kann; auch wenn ich den Begriff der Schöpfung jetzt als Naturwissenschaftler nicht im theologischen Sinn verstehe."