
"Nun geht es darum, den Bestand neu zu bewerten und einzuordnen", sagte der Experte der Graphischen Sammlungen zum Thema Goethe-Zeit, Christoph Orth. Das letzte grundlegende Werk - Gerhard Femmels zehnbändiges 'Corpus der Goethezeichnungen' - sei über 50 Jahre alt. "Seither gibt es viele neue Erkenntnisse, und es lässt sich noch immer Verborgenes finden." Orth nannte als ein Beispiel eine Untersuchung der Wasserzeichen auf den Bögen, die Rückschlüsse auf Goethes Papierbestellungen erlaubten.
Grafisches Werk für Goethe gleichberechtigt mit Dichtung
Nach den Worten hatte Goethe, obwohl er seinen Weltruhm als Schriftsteller erlangte, seinem grafischen Werk eine gleichberechtigte Bedeutung zugemessen. Rund 2.500 Zeichnungen, Illustrationen und Skizzen von ihm gehören zu den Sammlungen der Klassik Stiftung Weimar. Das sind etwa 90 Prozent des Gesamtbestands der Goethe-Zeichnungen.
Die Kunsthistorikerin Mira Claire Zadrozny, die derzeit die Zeichnungen von Goethes Schweiz-Reise von 1775 analysiert, sagte, auf den Rückseiten der Zeichnungen fänden sich exakte Datums- und Ortsangaben, die sich mit seinen Tagebüchern verbinden ließen. Goethe fertigte aber auch naturwissenschaftliche Studien, so etwa eine Skizze mit Schädeln eines Halbaffen, einer Katze und eines Hundes. Damit illustrierte Goethe seine Forschungen zum Zwischenkieferknochen. Kleine Einstichlöcher zeugen davon, dass er viele Zeichnungen an seinem Pult fixierte, während er etwa seine wissenschaftlichen Studien verfasste.
Auch wissenschaftliche Studien
Grundsätzlich sind Goethes zeichnerische Themen so vielfältig wie seine Interessen: Landschaften, Architektur, Porträts, Körperstudien und Rekonstruktionen antiker Bauten finden sich in seinem Nachlass. "Goethes Zeichnungen eröffnen uns heute einen unmittelbaren Blick in seine Gedanken- und Bilderwelt", sagt Forschungsleiter Orth.
Goethe zeichnete seit frühester Jugend. Aufgewachsen in einem kunstsinnigen Haushalt, erhielt er in Frankfurt Unterricht beim Zeichenmeister Johann Michael Eben (1716-1761). Später setzte er in Leipzig und Weimar die Ausbildung fort. Schon früh erkannte der spätere Dichter, dass ihm, um ein wirklich bedeutender Künstler zu werden, das Talent fehle. "Ich hatte von Kindheit auf zwischen Malern gelebt", schrieb er in Dichtung und Wahrheit, "und ich fing an auf die ungeschickteste Weise nach der Natur zu zeichnen. Es fehlte mir hierzu nichts weniger als alles." So vernichtend fällt das Urteil von Christoph Orth nicht aus. "Goethe war stilistisch vielseitig bewandert, seine technische Ausführung exakt und in der Komposition geschult." Das Forschungsprojekt läuft noch bis 2028.
Diese Nachricht wurde am 27.12.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.
