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Explosive Mischung

Dieser Spagat ist schon klassisch für das älteste Filmfestival der Welt. Hollywood und amerikanische Superstars, dann die üblichen Verdächtigen des anspruchsvollen Kunstfilms mit dessen eingeführten Autoren von Manoel de Oliveira bis Phillip Garrel. Schließlich die bekanntesten Regisseure des seit Jahren auf einen erneuten Durchbruch wartenden italienischen Kinos.

Von Josef Schnelle |
    Doch diese Mischung ist explosiv. Das weiß auch Marco Müller und bricht vorsichtshalber eine Lanze für die unerwarteten Entdeckungen - mit denen das Festival außerdem noch aufwarten will.

    "Natürlich werden wir uns immer nach der klassischen Kino-Erfahrung zurücksehnen, nach dem Moment, in dem wir im Kino saßen und die Reaktionen der anderen mitbekamen und genau hier ist der Punkt, wo ein Festival wie Venedig viel für die Filme tun kann, denn wenn zum Beispiel 1000 Menschen einen Film sehen und eine bestimmte Reaktion haben, dann können wir die Verleiher erpressen einen Film in ihr Programm zu nehmen."

    Ein Film, auf den die Beschreibung von Marco Müller passt, lief gleich zu Beginn des Festivals und blieb bis heute der beste. "Good Night and Good Luck" heißt George Clooneys Hommage an den politischen Journalismus der frühen Fernsehjahre in Amerika. George Clooney – eigentlich Frauenschwarm und Superstar des Hollywoodkinos – fungiert in diesem Film als Regisseur. Das hat er schon einmal gemacht – 2002 bei dem Film "Confessions of a Dangerous Mind" – auch dies ein Film zur amerikanischen Mediengeschichte mit politisch korrekter liberaler Position. Diesmal spielt Clooney den besten Freund und Redakteur von Edward R. Murrow, der in den 50er Jahren auf dem Fernsehsender CBS unerschrocken Bürgerrechte einforderte und schließlich dazu beitrug, den für seine Hexenjagd auf vermeintliche Kommunisten berüchtigten Senator McCarthy zu Fall zu bringen.

    "Good Night and Good Luck" das war die rituelle Abschiedsformel des stets kettenrauchenden Fernsehmoderators, der für seine brillanten politischen Kommentare gefürchtet war. Im engen Studio tummelt sich eine andere Art "Rat-Pack", eine ebenso verschworene Gemeinschaft wie die Sängerfamilie um Frank Sinatra. Doch ihnen geht’s nicht um Entertainment sondern um die Wahrheit jeden Tag auf dem Sender. Journalisten in grauen Anzügen und mit Krawatte auf der Suche nach Wahrheit und Integrität. Ein leiser Abenteuerfilm in kargem Schwarz/Weiß, der die Fahne des unerschrockenen investigativen Journalismus hoch hält und mit einer Philippika gegen das am Horizont herauf dämmernde Unterhaltungsfernsehen endet. Die Sache scheint Spaß gemacht zu haben und auch George Clooney, dessen Vater ein engagierter Liberaler Journalist war, bekennt sich dazu ebenso wie zu seinen Unterhaltungsfilmen.

    "Ich bin kein Snob. Ich mache gerne unterhaltsame Filme. Mit Ocean 11 ist alles in Ordnung. Das ist purer Spaß. Aber die anderen Filme wie "Drei Könige" oder dieser Film jetzt, machen auch Spaß, weil sie eine Debatte eröffnen."

    Auch der Japanische Regisseur Takeshi Kitano hatte Spaß. Er strahlte geradezu vor Vergnügen. Sein Coup war gelungen. Als Film Sorpresa – dem nur wenige Stunden vor der ersten Vorführung bekannt gegebenen Überraschungsfilm hatte er fast die ganze Aufmerksamkeit des Tages auf sich gezogen – mit "Takeshis'" – einer filmischen Bestandsaufnahme seiner Arbeit als Filmemacher. Ganz so groß war die Überraschung allerdings auch nicht, denn Kitano gehört zu den regelmäßigen Gästen des Festivals und konnte auch schon einmal einen goldenen Löwen mit nach Hause nehmen. Takeshi Kitano beschreibt in seinem Film mit surrealem Witz seine gespaltene Persönlichkeit. Als Regisseur von knallharten Yakuza-Ganster-Filmen bekannt geworden, zugleich beliebter Komiker im japanischen Fernsehen, hatte er sich immer mehr zum Kinokünstler mit einer sehr eigentümlichen poetischen Bildsprache entwickelt. In seinem neuen Film, der gleich schon als preisverdächtig gehandelt wurde, spielt er zweimal sich selbst - den erfolgreichen Starschauspieler und ein erfolgloses komödiantisches Alter Ego. Kitano zitiert sich munter durch sein filmisches Universum und bringt nebenher in immer neuen Ballerorgien immer wieder die Yakusas zur Strecke. Alles nur Illusion und Kasperletheater ruft er uns zu und kündigt an, diese spezielle Variante des Gewaltkinos ein für allemal hinter sich zu lassen. Für die einst von Kitano so virtuos inszenierten Schießereien hat er nur noch Spott übrig. Geballert wird, das ist doch sowieso die Faustregel, wenn der Regisseur nicht mehr weiter weiß.