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F.I. N.D.!

Menschen der Bibel- und Buchkultur scheinen immer auf der Suche im Wort, im Text, um etwas Neues zu finden. So könnten die Buchstaben der Abkürzung F.I.N.D. auch als Aufruf, Find!, verstanden werden, vom Suchen nicht abzulassen. Und so wurde bis Dienstag in der Berliner Schaubühne acht Tage lang gesucht und gefunden, was und wie Dramatiker aus aller Welt ihre Welt in Sprache kartieren. Es war das vierte Festival internationaler neuer Dramatik an der Schaubühne.

Von Eberhard Spreng | 27.01.2004
    Während man im Haupthaus der Schaubühne szenischen Lesungen folgen konnte, lief in einem kleinen Ladenraum im nebenan gelegenen zweiten Mendelssohn-Bau unter dem Titel "Bed-Piece" an fünf Tagen eine jeweils mindestens siebenstündige Performance ab: europäische Politiker, verkörpert durch Puppen oder Masken kuscheln auf einem Doppelbett mit George W. Bush. John Lennons und Yoko Onos im Mai 1969 veranstaltetes "Bed-in-for-Peace" ist natürlich, ironisch, Vorbild. Auf einer der Wände der alte Spruch: Eine andere Welt ist möglich. Ganze fünf Tage lang blieb diese Aussage und die ihr anhängende Performance eine obskure Randbemerkung, im Abseits der Aufmerksamkeiten, eine Endmoräne linker Theorie, das Bed-In ein Formzitat ohne Resonanz im Heute. Denn für die Überlebenskämpfe der "Generation Schaubühne" bleibt das Familiäre als das Theatralische in der Regel der bevorzugte Spielplatz. Für Marius von Meyenburg ist die neue Welt der imperialistischen Landnahmen, Kriege und Revolten im globalisierten Woanders nur historische Folie für einen hiesigen Krieg der Generationen, in denen die übermächtige reiche Mutter die Lebenschancen der Tochter und ihre familiären Pläne zerstört.

    Die 20 jährige Gerhild Steinbuch erfindet sich Familie als Rettung. In ihrem Stück "Kopftod" entfaltet sie die Phantasiewelt eines von ihrem Vater physisch und psychisch unterdrückten Mädchens. Bruder und Mutter sind Phantasien, ebenso wie ein märchenhafter Kreidekreis, der einen Schutzraum symbolisiert, ein Bild für die Sehnsucht nach Rettung, nach unverletzter Persönlichkeit.

    Geradezu eine Gegenposition nimmt Falk Richter in seinem Hörspiel "Krieg der Bilder" und der im Rahmen des Festivals gezeigten neuen Repertoire-Arbeit "Electronic City" ein: Hier hören die Menschen augenblicklich auf zu existieren, wenn sie sich eine Persönlichkeitssphäre erhalten, wenn sie sich unvernetzt fühlen, Zugangscodes vergessen haben, der Handy-Akku leer ist, sie beim Casting für Fernsehsoaps durchfallen, will sagen, für die Wahrnehmung der Anderen und Kommunikationen unerreichbar werden. Die Aufführung beginnt mit dem Einstöpseln der Handy-Netzteile und endet in einer grausamen Ahnung: Nur wer jetzt in dieser Welt die künstliche Rolle unendlich überzeugend spielen kann, hat vielleicht eine Chance auf die Rückkehr in eigenes wirkliches Leben. Grimmig schlagen die künstlichen Netzwerke, und das virtuelle Abbild zurück auf das Leben der real existierenden Menschen.

    In einem komfortableren Sicherheitsabstand zu der Verwirrung von Abbild und Wesen, Theater und Wirklichkeit haben Franz Xaver Kroetz, der Argentinier Rafael Spregelburd und David Gieselmann ihre Dramaturgien eingerichtet. Der erste lässt in seinem neuen Stück, "Trauerwütigen, Die" eine Gruppe von zerstreuten Bundesadlern darüber rätseln, wie eine treffliche Rede zur Einweihung des Denkmals für die ermordeten Juden in Europa" zu bewerkstelligen wäre. Aber Gegenwart, BSE, Globalisierung funken dazwischen; und so verrichten die Bundesadler ihre Trauerarbeit zwar pflichtbewusst aber zerstreut und verstrickt in Verwechslungen von Gegenwart und Vergangenheit.

    Eine völlig andere, theatralisch äußerst wirkungsvolle Neu-Definition des Dreiecks Autor-Schauspieler-Zuschauer kam aus Frankreich: Gewissermaßen sein in Avignon 1999 mit "Paroles d'Acteurs - Confessions" erfundenes "Theater der intimen Geständnisse" fortsetzend, hat Michel Didym 20 Autoren um kurze Monologe gebeten, Berichte von therapiebedürftigen Menschen, Dokumente ihrer Neurosen und Zwänge, gestörte Biografien. Wie ein Therapeut folgt jeweils ein Zuschauer den Ausführungen von jeweils einem Schauspieler, der sich vor ihm auf eine Couch legt, für fünf Minuten, bevor der nächste Patient an seine Stelle tritt:

    Nur weil das chorische Gemurmel der anderen 19 Monologe an den gemeinschaftsstiftenden Charakter des Theaters erinnert, ist die tabuisierte Nähe und Privatheit der einzelnen Begegnung überhaupt möglich. Didyms Aufführung rückt den literarischen Text ganz nah in die Begegnung von zwei Menschen und erschließt ihn als Dokument des Persönlichen fürs Theater völlig neu. Wo in diesen individuellen Geständnissen die Bosheit der Welt nur hinein irrlichtert, stellt sie der in Spanien arbeitende Argentinier Rodrigo Garcia in seiner Performance "La historia de Ronald" als eine das Selbst zersetzende Materie in die Mitte des Bühnengeschehens. Fast-Food regnet auf drei Akteure nieder, in Tütenmilch wälzen und rutschen die wehrlosen Körper, Markenlogos zeichnen sie auf ihre nackten Leiber. Zum simplen Anhang eines von den großen Konsummarken diktieren Stoffwechsels verkommen die Konsumenten. Garcia setzt Geschmacklosigkeiten dagegen, einen ins Groteske und Provozierende umschlagenden Protest gegen die zumal amerikanische Macht über Mägen und Gehirne. Und so ist, zum Abschluss von F.I.N.D. 4 der bösen Welt dann doch noch einmal der wütende Protest der wehrlosen Kreatur entgegengesetzt worden.