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Fachleute, bitte eintreten!

Am 27. März 2001 war ich um drei Uhr nachts am Kölner Bahnhof, ich bin mit dem Bus hierher gekommen, da war es windig und regnerisch und auch meine Laune war nicht so happy, alles war zu. Und ich habe einfach gewartet.

Von Andrea Lueg |
    Die lange Reise von Bulgarien nach Deutschland hatte AssenTodorov mit einer Greencard in der Tasche angetreten. Sein neuer Arbeitgeber war ein Kölner Medienunternehmen mit gut fünfzig Mitarbeitern. Im Jahr 2000 war die Onvista AG an die Börse gegangen und Ende 2000 suchte sie dringend nach IT-Fachkräften. Der deutsche Arbeitsmarkt war wie leergefegt, schon lange drängte die IT-Branche die Regierung eine Lösung zu schaffen, damit man den eklatanten Mangel aus dem Ausland befriedigen könne. Im August 2000 kam dann endlich die Greencard-Regelung. Sie umfasste ein Kontingent von 20.000 Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen für IT-Fachkräfte aus dem nicht-EU-Ausland, die jeweils auf fünf Jahre begrenzt waren. Für die Onvista AG eine neue Chance, erinnert sich Natalie Hewener:

    Eigentlich ist es so entstanden, dass wir mal hier im Unternehmen, ich glaub das war in der Mittagspause, diskutiert oder gesagt haben, Mensch wir haben Bedarf und was können wir denn tun? Die Frau eines Mitarbeiters ist aus Bulgarien und arbeitet auch in einer Personalberatung als freie Beraterin. Da hat ihr Mann dann gesagt, lasst uns sie doch mal fragen, vielleicht können wir ja in Bulgarien was machen. So ist das dann zustande gekommen.

    Kurz darauf trafen sich zwei Personaler des Unternehmens in Sofia mit Bewerbern aus Bulgarien. Einer davon war Assen Todorov. Er hatte Informatik studiert und drei Jahre in einem Unternehmen in Bulgarien gearbeitet, das 2000 Pleite ging. Da hatte er sich entschieden, sein Glück im Ausland zu suchen. Nicht nur in Deutschland hatte er sich beworben, auch in den USA, in Norwegen und England. Mit dem deutschen Unternehmen kam er ins Geschäft. Nach dem wenig einladenden Start am Kölner Hauptbahnhof ging es rasch bergauf.

    Am Anfang war mein Deutsch nicht das beste, aber eigentlich hatte ich fast keine Probleme.

    Die Firma half bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einem Sprachkurs und beim Einarbeiten und Einleben in der neuen Umgebung – und lernte den neuen Mitarbeiter zu schätzen.

    Wenn man anfängt, scheinen fünf Jahre ist erstmal lange. Aber wenn man drin ist, dann merkt man, wie schnell die Zeit vergeht und wie wertvoll auch der Mitarbeiter wird, richtig wertvoll, dass man ihn wirklich nicht mehr gehen lassen möchte.

    Immerhin hat man ja auch in den Greencardler investiert. Die zeitlich befristete Greencard-Regelung sollte irgendwann in ein neues Zuwanderungsgesetz übergehen, um das Regierung und Opposition aber zunächst mal jahrelang erbittert rangen. Trotzdem hoffte die Onvista AG, ihren neuen Mitarbeiter mithilfe einer neuen gesetzlichen Regelung auf Dauer behalten zu können.

    Assen Todorov ist ein ziemlich typischer Greencard-Holder in Deutschland, denn anders als ursprünglich geplant, kamen nicht vor allem Inder, sondern Osteuropäer. Und das aus gutem Grund, meint Professor Thomas Bauer vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, der sich seit fünfzehn Jahren mit dem Thema Arbeitsmigration beschäftigt.

    Wir denken immer, da draußen im Ausland sind wahnsinnig viele junge Leute, die nichts lieber würden, als nach Deutschland zu wandern. Dies ist insbesondere bei qualifizierten Arbeitskräften nicht der Fall. Ich kann mich noch an die unsägliche Diskussion "Kinder statt Inder" erinnern, man muss sich einfach mal in so eine indische IT-Fachkraft versetzen. Wo wird sie als allererstes hinwandern? In die USA. Da gibt es viele andere Inder, sie verdienen mehr dort als in Deutschland, sie können wirklich ihr Essen essen, das sie gewöhnt sind, das werden sie in Deutschland nicht bekommen, sie können in ihrer Heimatsprache sprechen, sie können ihre Kultur ausleben, da viele andere Inder dort sind. Und wenn sie nicht in die USA können, aus welchen Gründen auch immer, werden sie nach England gehen. Auch hier verdienen sie relativ mehr als in Deutschland und sie haben sehr viele Leute aus Indien um sich, können ihre Kultur leben. Nur wenn sie nicht in die USA und nach England kommen, kommen sie nach Deutschland.

    Der Wettbewerb um die besten Köpfe weltweit, darum geht es bei der Frage, wie man in Deutschland mit ausländischen Fachkräften umgehen will.

    Hier ist ein bisschen der Abstand Deutschlands im Wettbewerb um diese hochqualifizierten Migranten zu sehen. Hier haben andere Länder wie die nordamerikanischen Länder, Kanada und die USA aber auch Australien einen erheblichen Vorsprung, weil sie schon sehr lange eine Zuwanderungspolitik fahren und damit auch ethnische Netzwerke haben, die Deutschland nicht aufweisen kann.

    Es sei denn für Migranten aus Osteuropa. Da ist Deutschland ganz gut aufgestellt.

    Hier kann Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten einen gewissen Vorteil aufweisen, der natürlich aber durch die relativ geringeren Löhne in vielen Fällen aufgehoben wird. Also viele Russen gehen erst gar nicht nach Deutschland, sondern gehen direkt in die USA.

    Mit der Greencard gab es zum ersten mal ein Signal an ausländische Fachkräfte: Deutschland öffnet sich! Wenn auch nur für einen befristeten Zeitraum. Doch kaum war die Regelung eingeführt, geriet die IT-Branche 2001/2002 in eine schwere Krise. Viele Unternehmen mussten entlassen, eine ganze Reihe scheiterte komplett. Und statt der anfangs eintausend bis eintausendfünfhundert Greencardler, die monatlich ins Land kamen, tröpfelten nach dem Zusammenbruch der Branche nur noch 160 bis 190 nach. Insgesamt kamen in den gut vier Jahren der Regelung 17.000 Fachkräfte nach Deutschland, statt der ursprünglich geplanten 20.000. Zum Teil wurde die Greencard daher als Misserfolg gewertet. Stefan Pfisterer vom Branchenverband BITKOM sieht das anders.

    Eine Bilanz für die Greencard fällt aus unserer Sicht sehr positiv aus, wir haben mit der Greencard erstmals die Möglichkeit gehabt, einen Wirtschaftszweig von der ja sehr restriktiven Anwerbestoppausnahmeverordnung, ein Wortungetüm aus den 70er Jahren, leider noch heute in Teilen in Kraft, durchzusetzen und das eben für einen besonders dynamischen, besonders innovativen Bereich der deutschen Volkswirtschaft. Die ITK Branche hatte 1999/2000 den Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Dynamik mit zweistelligen Wachstumsraten, mit einem sehr großen Fachkräftebedarf, allein im Jahr 2000 kamen 75.000 Personen neu in die Branche, das ist nahezu einmalig, und da haben wir die Notwendigkeit gehabt, den Arbeitsmarkt zu öffnen, damit internationalen Trends quasi zu öffnen, junge qualifizierte, sehr motivierte Fachkräfte ins Land zu holen und damit insgesamt auch zusätzliche Beschäftigung zu schaffen und das ist auch gelungen.

    Doch auch die motivierten Fachkräfte aus dem Ausland mussten in der Krise zum Teil in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Nach Schätzungen betraf das etwa sieben Prozent. Obwohl auf dem deutschen Arbeitsmarkt grundsätzlich weiter vermittelbar, hatten sie ein Problem. In einem Stempel in ihrem Pass heißt es nämlich: "Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Tätigkeit als Softwareentwickler bei der Firma XY und erlischt mit der Beendigung dieser Tätigkeit." Die meisten Ausländerbehörden gaben arbeitslosen Greencard-Holdern drei bis sechs Monate Zeit, wieder einen Job zu finden. Doch manche schickten sie auch innerhalb von 72 Stunden zurück in ihre Heimat.

    Natürlich gab es keinen Sonderstatus für Greencard-Inhaber, da wo Unternehmer möglicherweise sogar Insolvenz anmelden mussten, wo Aktivitäten in bestimmten Bereichen reduziert wurden, hat es auch Greencard-Inhaber getroffen. Aber es handelt sich ja nachweislich um Personen, die eine sehr hohe Qualifikation mitgebracht haben und um Personen, die natürlich auch eine hohe Mobilität mitbringen, und deshalb ist es gerade für Greencard-Inhaber, sofern sie über deutsche Sprachkenntnisse verfügen, was leider nicht bei allen der Fall war, leichtgefallen einen Anschlussjob zu bekommen. Manche haben sich auch völlig neu orientiert, sind möglicherweise in die USA weitergewandert oder in andere Länder, aber es gibt keine Massenarbeitslosigkeit unter Greencard-Inhabern.

    Die zeitliche Befristung der Greencard wurde von vielen Experten als großes Manko eingeschätzt, auch von Professor Thomas Bauer vom RWI:

    Man muss hier immer sehr stark unterscheiden zwischen temporärer Zuwanderung, also zeitlich befristet und permanenter Zuwanderung. Was wir bei der Greencard gesehen haben, ist eine temporäre Zuwanderung, es gab einen Mangel an IT-Fachkräften und wir haben uns temporär welche aus dem Auland geholt. Hier muss man sehr, sehr vorsichtig sein, was nämlich tendenziell natürlich passiert, ist dass Einheimischen, dadurch das wir Zuwanderer holen, der Anreiz genommen wird, das beispielweise auch zu studieren, weil die Löhne nicht so stark steigen, wie sie sonst steigen würden und da muss man sehr aufpassen, dass man durch diese temporäre Zuwanderung nicht den Einheimischen den Anreiz nimmt, diese Qualifikation zu erwerben. Drum ist es auch sehr schwer, dies genau zu steuern.

    Das liegt auch daran, dass die Politik kaum verlässliche Indikatoren dafür hat, wo wieviele Arbeitskräfte für welchen Zeitraum fehlen.

    Das Informationsdefizit liegt darin, dass ich sehr schwer bestimmen kann, wo jetzt ein Mangel wirklich herrscht. Ist es ein Mangel oder klagen die Arbeitgeber nur, weil die Lohnsteigerungen zu hoch sind, man weiß das nie so genau, die Statistiken sagen uns das auch nicht so genau, das heißt, solche Entscheidungen für eine solche temporäre Zuwanderungspolitik kommt häufig zu spät. Wie es auch bei der IT-Greencard der Fall war, die Öffnung für IT-Fachkräfte aus dem Ausland kam zu spät und dann kam der Einbruch dieser Branche, der temporäre Einbruch zumindest, damit wurden nicht mehr soviele IT-Fachkräfte nach Deutschland geholt, wie man vielleicht ein oder zwei Jahre vorher nach Deutschland geholt hätte, von daher kam diese Regelung zu spät. Also dies zu steuern ist sehr schwer, insbesondere anhand irgendwelcher Statistiken, statistischer Indikatoren.

    Aber auch auf die Menschen, die eben nur befristet nach Deutschland kommen dürfen, hat diese Einschränkung negative Effekte - und damit wieder schlechte Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft.

    Die Leute wissen von der Regelung hier, dass sie nur temporär in Deutschland bleiben dürfen. Das hat zwei Effekte und wir sehen das auch in der Gastarbeiterpopulation in Deutschland. Wenn ein Migrant nur temporär in einem Land aufgenommen wird, dann wird er keine Investition in, was wir in unserer Wissenschaft bezeichnen, in das landesspezifische Humankapital tätigen. Er wird also nicht unbedingt versuchen, die Sprache zu lernen, er wird nicht unbedingt versuchen, sich mit den Institutionen vertraut zu machen, er wird nicht unbedingt versuchen, einen Freundeskreis aus den Einheimischen zu bilden, diese Investitionen wird jemand nicht tätigen, wenn er weiß, er ist nur drei bis maximal fünf Jahre hier. Dies Ganze wird dadurch erschwert, dass natürlich auch die Firmen geringere Anreize haben, in das Wissen dieses nur temporär beschäftigten Gastarbeiters zu investieren. Von daher gesehen wird hier sehr viel Zeit verschwendet in die Assimilation dieser Leute in unsere Gesellschaft. Wenn man von vornherein gesagt hätte, wenn ihr euch assimiliert gleich, dann könnt ihr auch permanent bleiben, eure Familie holen, dann hätten wir natürlich diese hochqualifizierten Fachkräfte, bei denen die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit nahezu vernachlässigenswert klein ist, die positive fiskalische Beiträge liefern und für die Innovationsfähigkeit Deutschlands liefern, hätte man die vielleicht permanent halten können und wären vielleicht von Anfang an diese wichtigen Investitionen gemacht worden.

    Es kann durchaus Fälle geben, wo eine temporäre Zuwanderung Sinn macht. Dessen ungeachtet braucht Deutschland auch dauerhafte Zuwanderung. Zum einen aufgrund der demographischen Entwicklung. Zum anderen aber auch, weil in der Wirtschaft ein Strukturwandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft und hin zu sehr qualifizierten Tätigkeiten stattfindet. Hier ist permanente Zuwanderung in einem bestimmten Ausmaß notwendig, aber:

    Diese Zuwanderung muss derart gesteuert werden, dass überwiegend Hochqualifizierte ins Land kommen. Sie integrieren und assimilieren sich sehr schnell, sie haben hohe positive Beiträge zu unserer Wirtschaft, nicht nur fiskalische Beiträge, sondern auch zur Innovationsfähigkeit.

    Das sieht auch Stefan Pfisterer vom Verband BITKOM so. Selbst die gebeutelte IT-Branche braucht weiterhin Fachkräfte aus dem Ausland, und bei einem derzeitigen Wachstum von gut zwei Prozent in Zukunft sogar noch mehr.

    Wir leben in einer Branche, die wie kaum eine andere von internationalen technologischen Trends, von internationalen Entwicklungen lebt und um an diesen Entwicklungen partizipieren zu können, benötigen wir auch Personen, die aus diesem internationalen Umfeld stammen, die auch mal eine andere Ausbildung und Sozialisierung genossen haben, als es in Deutschland überhaupt möglich ist, insofern ist das gar kein Vorwurf an deutsche Hochschulen, dass sie quasi falsch ausbilden würden, sondern wir sehen einfach, dass wir heute eine sehr starke Verflechtung in internationalen Kontexten haben, das ist nicht nur eine Frage von Absatzmärkten, sondern ist auch eine Frage von Entwicklungsmöglichkeiten im Softwarebereich, aber selbst im Hardwarebereich, und hier brauchen wir einfach den internationalen Austausch.

    Doch nicht nur die IT-Branche braucht die Kenntnisse aus dem Ausland. Derzeit herrscht etwa ein starker Fachkräftemangel in bestimmten Bereichen des Ingenieurwesens. Und davon abgesehen haben Firmen ganz unterschiedlicher Branchen enge Kooperationen mit Unternehmen etwa in Indien, in China oder auch in den USA. Um solche Kooperationen zum Erfolg führen zu können, werden häufig Menschen gebraucht, die nicht nur beide Sprachen sprechen, sondern auch die kulturelle Basis haben für Unternehmens- und Kundengespräche.

    Wir müssen hier ganz klar sehen, im Moment wird eine sehr intensive Debatte über outsourcing geführt, wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in Deutschland soviele Projekte wie nur möglich bearbeitet und zum Erfolg gebracht werden können und dazu tragen eben diese ausländischen Arbeitskräfte ganz erheblich bei. Durchaus auch, indem sie erfolgreich Teilprojekte auch auslagern und managen können. Wichtig ist aber, dass die strategischen Funktionen hier in Deutschland bleiben, dass die kundennahen Funktionen hier besetzt werden können, damit nicht zuviel abwandert. Und insofern werden wir von diesen Arbeitskräften profitieren und wir haben auch in der Vergangenheit übrigens schon gesehen, Hochqualifizierte, die in Deutschland arbeiten, schaffen zusätzliche Beschäftigung. Das wurde gerade im ersten Jahr der Greencard durch Untersuchungen nachgewiesen, und das entspricht übrigens auch den Erfahrungen in anderen Wirtschaftsbereichen: Da wo kreative Köpfe zusammenkommen, wird sich nachher auch in der Abwicklung von Projekten, in den Kundenbeziehungen noch zusätzliche Beschäftigung angliedern.
    Ende dieses Jahres läuft die Greencard-Regelung aus. Und damit stieg in den letzten Jahren der Druck eine Lösung für die Zuwanderung von Fachkräften per Gesetz zu finden.

    Als in den 70er Jahren im Zuge der Ölkrise in Deutschland die Arbeitslosigkeit zunahm, wurde der sogenannte Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte verhängt. Die Zuwanderung endete damit nicht, denn es kamen weiterhin Familienangehörige, Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge und Aussiedler. Es konnten aber keine Fachkräfte mehr gezielt angeworben werden. Noch in den 50er Jahren hatte es eigene Büros des Arbeitsministeriums im Ausland gegeben, die nach dem Bedarf der Wirtschaft Arbeitskräfte suchten. Mit dem Ende des Anwerbestopps war keine Steuerung der Zuwanderung nach ökonomischen Kriterien mehr möglich. Die Greencard-Regelung war ein erster Schritt, dies zu ändern, wenn auch nur im IT-Bereich. Sie hatte vor allem Signal-Wirkung für die Diskussion über die Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland, meint Professor Thomas Bauer:

    Ohne die Greencard, glaube ich, hätten wir diese Diskussion in Deutschland auf keinen Fall gehabt.

    Im Jahr 2001 erarbeitete eine Kommission unter der Leitung von Rita Süßmuth einen detaillierten Plan für ein Zuwanderungsgesetz. Zum Kern dieses Planes gehörte ein Punktesystem, nach dem sich Ausländer für eine unbefristete Zuwanderung hätten bewerben können. Zu den Kriterien gehörten Alter, Qualifikation und Sprachkenntnisse. Das Punktesystem hätte nicht nur für Höchstqualifizierte gegolten, sondern auch normal Qualifizierten eine Zuwanderung ermöglicht. In der Wirtschaft wurde dies als gute Grundlage angesehen, Migration nach ökonomischen Interessen zu steuern. Doch dann begann ein jahrelanges politisches Hickhack zwischen Regierung und Opposition.

    CDU und CSU warfen Rot-Grün vor, sie wollten aus Deutschland ein multikulturelles Einwanderungsland machen. Der Zuzug von Ausländern würde durch das Gesetz deutlich erhöht und damit der Arbeitsmarkt belastet und die innenpolitische Stabilität bedroht. Zu einem unrühmlichen Höhepunkt in dem Streit kam es im März 2002 bei einer Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat. Während der brandenburgische Innenminister mit "Nein" gestimmt hatte, votierte der Ministerpräsident des Landes mit "Ja". Bundesratspräsident Klaus Wowereit, SPD, ließ das "Ja" gelten, der hessische Ministerpräsident Roland Koch, CDU, war empört.

    Weitere zwei Jahre rang man anschließend um einen Kompromiss, verabschiedet schließlich am 9. Juli 2004. Die Lösung bringt eine Reihe von Vorteilen: Ab dem 1. Januar 2005, wenn das Zuwanderungsgesetz inkraft tritt, können Hochqualifizierte aus dem Ausland sofort eine Niederlassungserlaubnis für einen Daueraufenthalt bekommen, wenn sie einen Arbeitsplatz in Deutschland nachweisen. Ihre Familienangehörigen dürfen in Deutschland arbeiten. Wer als Selbständiger eine Million Euro mitbringt und zehn Arbeitsplätze in Deutschland schafft, ist in der Regel ebenfalls willkommen. Und: Viele versprengte Einzelregelungen werden zusammengefasst.

    Was wir auch endlich abgeschafft haben mit dem neuen Zuwanderungsgesetz ist, dass wir beispielsweise ausländische Studenten mit sehr hohen Kosten an unseren Universitäten ausbilden und sobald sie ihr Diplom in der Hand haben, wieder nach Hause schicken. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen, die wirklich seinesgleichen sucht, diese Verschwendung wurde durch das Zuwanderungsgesetz endlich abgeschafft.

    In Zukunft können ausländische Absolventen ein Jahr lang einen Job suchen, bevor sie das Land wieder verlassen müssen.

    Dass der Kompromiss über das Zuwanderungsgesetz überhaupt zustande gekommen ist, werten die meisten Experten, trotz Kritik, als Erfolg. Ein wirkliches Bekenntnis zur Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte sei es aber nicht. Vor allem, dass das Punktesystem im politischen Hickhack auf der Strecke blieb, gilt vielen als größter Nachteil. Damit hätten dann auch Normalqualifizierte nach Deutschland kommen können. Das Ziel, Zuwanderung nach den Erfordernissen des Arbeitsmarktes zu steuern, sei damit aus den Augen verloren worden, ließ das Institut der deutschen Wirtschaft verlautbaren. Auch die bürokratischen Hürden seien zu hoch: Die Bundesagentur für Arbeit prüft nämlich in jedem einzelnen Fall, ob der Job statt durch einen Migranten nicht doch durch einen Einheimischen besetzt werden könnte. Die Kompromisslösung zeige, dass die Politik sich offenbar nicht von der in der Bevölkerung weit verbreiteten Meinung abkoppeln könne, Zuwanderung sei etwas Negatives, meint Professor Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs. Dem Wunsch der Wirtschaft an die Politik, die Punkteregelung weiter als Option zu verfolgen, räumt er kaum Chancen ein.

    Weil ich in der Tat fürchte, dass jetzt nach dieser Kraftanstrengung wenigstens noch ein Integrationsgesetz, was den Titel Zuwanderungsgesetz trägt, beschließen zu können, denke ich für viele Jahre die Luft draussen ist und Politiker auch nach dieser Erfahrung nicht unbedingt in diesem Bereich ein großes Profilierungspotential sehen. Das heißt, es wird auch politisch nicht attraktiv sein für irgendjemanden sich da in die Bresche zu werfen, zu sagen wir müssen mehr machen, weil wir ja gesehen haben, dass da die Ängste und Reflexe eher so sind, das man jetzt mal zufrieden wäre, wenn es so bleibt wie es ist. Und von daher gesehen wird dieses Thema für mehrere Jahre kein Thema mehr sein.

    Immerhin, auch Greencard-Inhaber wie Assen Todorov können ab dem nächsten Jahr eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis beantragen und bleiben ihren Arbeitgebern und dem deutschen Arbeitsmarkt damit erhalten. Für den Informatiker eine gute Nachricht, denn für ihn ist Deutschland inzwischen Heimat. Was das neue Zuwanderungsgesetz tatsächlich bringt und bedeutet, dazu gibt es keine Aufklärungskampagne der Regierung für die Bevölkerung. Ein Versäumnis findet Thomas Straubhaar.

    Wenn ich recht haben sollte in meiner Annahme, dass jetzt für mehrere Jahre im gesetzgeberischen Teil Stillstand herrschen wird, dann müssen wir jetzt diese Ruhephase des Gesetzgebungsprozesses nutzen, um die Leute in Deutschland besser aufzuklären und noch einmal um ihnen zu sagen, selbstverständlich Begrenzung gegenüber der Zuwanderung aus Drittländern ist unbestritten ein Grundrecht jeder Nation, es gibt kein Land der Welt, das auf dieses Grundrecht verzichten würde. Das muss auch Deutschland nicht tun, aber doch soviel Flexibilität ermöglichen, dass wir in einem gewissen Maße Zuwanderung erlauben können und nicht nur als Verwaltungsakt, sondern grundsätzlich erlauben können. Und drittens eben gegen außen das Signal geben, Deutschland ist eine offene Gesellschaft, ein offenes Land, Deutschland will Zuwanderung haben. Ich denke das ist unverzichtbar, weil nur offene Gesellschaften eine positive Zukunft in den nächsten Dekaden haben können.