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Fällt ein Satellit vom Himmel…

Raumfahrt. - Der deutsche Röntgensatellit Rosat stürzt unkontrolliert in Richtung Erde. Seit 1999 ist der Flugkörper nicht mehr in Betrieb, jetzt ereilt ihn die Wirkung der Schwerkraft. Wo die Trümmer niedergehen werden, kann nicht annähernd gesagt werden.

Von Dirk Lorenzen |
    Der Röntgensatellit ROSAT sinkt unaufhaltsam seinem Ende entgegen: Derzeit nimmt die Bahnhöhe um mehr als fünf Kilometer pro Tag ab. Irgendwo unterhalb von 150 Kilometern trifft der nicht mehr steuerbare Satellit auf die dichteren Schichten der Atmosphäre. Dann geht alles ganz schnell, erklärt Roland Gräve, der beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR für die astronomischen Projekte zuständig ist:

    "Die leichteren Teile des Satelliten fangen an zu glühen und werden – soweit es brennbares Material ist – abbrennen. Es wird dazu kommen, dass von einigen Subsystemen, also zum Beispiel dem Hitzeschutzschild, der außen angebracht ist, sich die Verbindungen lockern und diese Teile abbrechen können und dann getrennt weiterfliegen und der Hitzeschutzschild beispielsweise etwas früher verglüht, weil er relativ leicht ist und daher etwas stärker in der Atmosphäre abgebremst wird."

    Rosat ist etwa so groß wie ein Reisebus und wiegt zweieinhalb Tonnen. Beim Wiedereintritt wird der Satellit nicht komplett verglühen. Modellrechnungen zeigen, dass etwa dreißig Stücke den Sturz durch die Atmosphäre überstehen könnten, vor allem der massive und hitzebeständige Röntgenspiegel. Das größte Stück könnte eineinhalb Tonnen wiegen und mit mehr als 400 Kilometern pro Stunde auf der Erde aufschlagen. Doch selbst wenige Stunden vor dem Absturz wird niemand genau sagen können, wann und wo Rosat niedergeht. Gräve:

    "Die Unwägbarkeiten sind einfach zu groß. Man kann zum Beispiel nicht voraussagen, ob der Satellit anfängt zu taumeln oder in welcher Art er anfängt zu taumeln. Man kann auch nicht genau vorhersagen, wann welche Teile sich vielleicht vom Satelliten lösen und dann getrennt wieder eintreten. Infolgedessen ist so eine Prognose natürlich sehr, sehr schwer – eigentlich unmöglich."

    Der Satellit kann jeden Ort zwischen 53 Grad nördlicher und südlicher Breite treffen. In Mitteleuropa sind somit alle Bereiche südlich einer Linie Emden-Lüneburg-Stettin potentiell betroffen. Beim Absturz gehen die Trümmer in einem gut fünfhundert Kilometer langen und achtzig Kilometer breiten Streifen nieder. Vorsorgliche Evakuierungen wären sinnlos. Grund zur Panik besteht ohnehin nicht: Das Risiko, dass Satellitenteile in Deutschland aufschlagen, liegt bei etwa 1:600. Für eine einzelne Person ist die Chance auf den Lottojackpot hunderttausendmal größer als die Wahrscheinlichkeit, von einem ROSAT-Teil getroffen zu werden. Sollte der Satellit aber doch Schäden anrichten, so wäre die Rechtslage eindeutig, erklärt Bernhard Schmidt-Tedd, Jurist beim DLR-Raumfahrtmanagement.

    "Das UN-Weltraumrecht hat einen Schutz für unbeteiligte Dritte geschaffen. Wenn es tatsächlich zu einem Schadensereignis kommen sollte, kann sich der Geschädigte über seinen Staat an die so genannten Startstaaten wenden, also die Staaten, die das Weltraumobjekt gestartet haben, beziehungsweise die Nutzlast haben starten lassen. Hier haben wir drei Partner: USA, Deutschland und Großbritannien mit unterschiedlich großen Beiträgen, aber alle zusammen sind Gesamtschuldner dieser Mission."

    Der Jurist bleibt gelassen – aus gutem Grund. Zwar mögen die beiden Satellitenabstürze innerhalb weniger Wochen für Aufsehen sorgen. Tatsächlich aber stürzt nahezu täglich Weltraumschrott auf die Erde, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. Etwa siebzig Tonnen Material treten jedes Jahr in die Atmosphäre ein – mehr als ein Drittel davon dürfte am Boden ankommen. Doch Schäden sind bisher nicht belegt. Gemessen an den fast zweitausend Tonnen Meteoriten, die pro Jahr die Erde treffen, spielt der Satellitenbeschuss ohnehin kaum eine Rolle. Während man Meteoriten im Garten aber behalten darf, sähe das bei Rosat-Trümmern anders aus. Schmidt-Tedd:

    "Das Verfrachten von Weltraumgegenständen in den hoheitsfreien Bereich – also in den Weltraum – führt nicht dazu, dass das Eigentum verlustig geht. Also: Der Spiegel gehört auch nach Rückkehr demjenigen, der ihn losgeschickt hat, also hier dem Ministerium beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland. Insofern ist das keine herrenlose Sache, die man sich aneignen könnte."

    Auch wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Rosat-Absturz nichts passieren wird, so missbilligen Roland Gräve und seine Kollegen das laxe Verhalten bei der Planung des Satelliten in den 80er Jahren.

    "Das war eine Zeit, da hat man über solche Dinge noch nicht wirklich nachgedacht. Man hat es einfach nicht berücksichtigt. Das hat sich Gott sei Dank jetzt geändert. So etwas würde jetzt natürlich nicht mehr passieren."

    Heute werden viele Satelliten so gebaut, dass sie nach Missionsende gezielt im Südpazifik versenkt werden. Zudem überlegt man beim DLR, wie sich nicht mehr steuerbare Satelliten einfangen und vom Himmel holen lassen. Bei Rosat können die Experten nur abwarten und zusehen. Doch selbst mit den gut zwei Dutzend Stationen des US-Weltraumüberwachungsnetzes und der Radaranlage Tira bei Bonn lässt sich nicht die gesamte Umlaufbahn verfolgen, erklärt Roland Gräve:

    "Unser Tira allein hätte die Möglichkeit, bis zu fünf Überflüge nacheinander zu beobachten, hätte dann aber eine Lücke von 18 Stunden, bevor dann die nächsten drei bis fünf Überflüge kommen. Aber mit den amerikanischen Stationen, die nicht nur auf dem nordamerikanischen Kontinent sind, haben wir natürlich schon eine ganz gute Abdeckung. Also größere Lücken als drei bis fünf Stunden sind da nicht zu erwarten."

    In drei bis fünf Stunden rast der Satellit zwei- bis dreimal um die Erde herum. Vor vier Wochen war auch der Nasa-Satellit UARS beim Absturz durch die großen Lücken im Radarnetz geschlüpft – man kann nur vermuten, dass er irgendwo auf dem Grund des Pazifiks liegt. Vermutlich wird man auch bei Rosat hinterher nicht genau wissen, wo seine Trümmer niedergegangen sind.

    Bei aller Anspannung wegen des bevorstehenden Absturzes macht sich bei den Astronomen auch etwas Wehmut breit. Doch sie tröstet, dass Rosat auch nach dem Verglühen in seinen Daten weiterleben wird. Roland Gräve:

    "Es ist sicher einer der erfolgreichsten deutschen Satelliten überhaupt. Die erste Aufgabe des Rosat war eine Ganzhimmelsdurchmusterung zu machen. Dabei wurde der gesamte Röntgenhimmel gemessen. Da wurden Hunderttausende von Quellen gefunden. Es ist nach wie vor so, dass die folgenden Röntgenmissionen wie XMM-Newton oder Chandra oder andere, die jetzt noch kommen werden, sich noch immer auf den Katalog von Röntgenquellen abstützen, den der Rosat erbracht hat."