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Falschberatung an der Tagesordnung

Für viele Anleger ist die Finanzkrise mit herben Verlusten verbunden, manche wussten gar nicht, wie riskant ihre Geldanlagen waren. Zum Beispiel Käufer von Zertifikaten der zusammengebrochenen US-Bank Lehman Brothers - viele von ihnen glaubten, eine sichere und solide Geldanlage erworben zu haben. Auf die Gerichte rollt eine Prozesswelle zu, denn Falschberatung kann zu Schadensersatzansprüchen führen.

Von Axel Schröder | 27.03.2009
    "Kurz zum Ablauf: Ich werde eine kurze Einführung geben zur Entwicklung des Zertifikatemarktes. Dann, im Zweiten: Was sind Zertifikate? Sie werden sehen: Es gibt unzählige, mannigfaltige Möglichkeiten, wie Zertifikate kombiniert werden können."

    Ein Sitzungsraum in Hafennähe. Vierzig Gäste, die meisten im Rentenalter, lauschen Kai- Axel Faulmüller. Er ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Hamburger Kanzlei "Hahn Rechtsanwälte Partnerschaft", erklärt seinen Zuhörern all das, was ihre Bankberater oft verschwiegen haben. Nämlich: Welches Risiko ein Kauf von Lehman-Zertifikaten bedeutet hat. Sein Publikum macht sich Notizen, ab und zu schütteln einige die Köpfe ob der komplexen Materie, des hohen Risikos. Ein Zuhörer:

    "Ich wusste, dass es eine große amerikanische Investitionsbank ist. Aber welche Art Risiken der Kauf dieses Papiers ausgemacht hat, wusste ich natürlich nicht."

    Und so ging es den meisten im Saal. Kein einziger bekam je das ausführliche Prospekt zum Zertifikatekauf. Jeder verließ sich auf seinen Bankberater. - "Nicht-Anleger-gerechte" Beratung, oder: "Falschberatung" nennt dieses Gebaren Anwalt Faulmüller. Sein Kompagnon Peter Hahn verweist darauf, dass eine Falschberatung auch dann gegeben sei, wenn das hohe Risiko der Lehman-Zertifikate nicht zur individuellen Lebensplanung des Bankkunden gepasst hat:

    "Sagen wir mal: 85 Jahre alt. Und sie wollte regelmäßige Einkünfte. Und denn wird so ein Zertifikat empfohlen. Das ist natürlich ein Extrembeispiel. Aber die Frage der Erfahrung, die Frage der vorherigen Kapitalanlagen: Oft waren es dann Festgeldanlagen, die dann verkauft wurden auf Empfehlung der Bank. Das sind gewisse Indizien."

    Alle Betroffenen, so der Jurist, sollten versuchen, sich genau an die Beratung zu erinnern: Wie lange hat sie gedauert, was wurde ihnen ausgehändigt, waren Zeugen dabei? Liegt eine Falschberatung vor, verbessern sich die Aussichten deutlich: für eine außergerichtliche Einigung mit der Hausbank oder einen Prozess. Besonders gute Chancen verspricht Anwalt Peter Hahn, wenn den Banken nachträgliche Manipulationen nachgewiesen werden können. Kein Einzelfall, gerade bei Lehman-Zertifikaten:

    "Das ist uns auch schon untergekommen. Und zum Teil wusste die Bank dann nicht, dass der Anleger eine entsprechende Durchschrift bekommen hatte, sodass er dann nachweisen konnte: Da sind offenbar hinterher die Kreuze verändert oder an anderer Stelle gesetzt worden. Das ist natürlich schon ein sehr dreister Vorgang","

    so der Jurist. Allein auf die Anwälte zu setzen - das hält der Gastredner beim gestrigen Informationsabend für kurzsichtig: Marek Brückner ist Initiator der ersten Selbsthilfe-Gruppe für Lehman-Opfer, er selbst hat sein gesamtes Vermögen bei der Bankenpleite verloren, weit über 200.000 Euro:

    ""Ein Anwalt reicht nicht. Ein Anwalt in Deutschland ist der Mensch, der das, was sie haben, benutzt, um sie zu verteidigen. Der aber nicht - wie im amerikanischen System - für sie sucht."

    Und genau das versucht der Unternehmer Brückner durch seine Initiative, die Lehman-Stammtische, zu erreichen. Ganz gezielt, so vermutet er, wurde die Beratung über die Papiere nur bruchstückhaft organisiert. Verstehen, so Brückner, sollten die Kunden das System gar nicht.

    "Ich rate Betroffenen zwei Dinge: Informieren sie sich mit Hilfe der Stammtische, mit Hilfe der Verbraucherzentralen erst einmal erfahrene Kapitalrechtsfachanwälte und - noch viel mehr: Engagieren sie sich an den Stammtischen."

    Nur durch das Sammeln und Zusammenfassen der Erfahrung vieler Lehman-Opfer können gerichtsfeste Beweise für gezielte Falschberatungen aufgedeckt werden. Zu allererst aber gilt es, die Verjährungsfrist einzuhalten. Die beträgt drei Jahre und beginnt nicht etwa mit dem Zusammenbruch der Lehman Brother Incorporated im vergangenen September, sondern mit dem Kauf der Zertifikate. In manchen Fällen ist Eile geboten.