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Familien-Verfall

In einer kalten, gradlinigen Architektur mit viel Glas hat Thomas Ostermeier in den letzten Jahren moderne Familienkriege inszeniert: Die Emanzipationsdramen von Nora und Hedda Gabler, und die Generationskämpfe der Kinder mit ihren Eltern, für die in der Regel Hausautor Marius von Mayenburg die dramatische Vorlage lieferte.

Von Eberhard Spreng |
    Oft ging es dabei um Geld, viel Geld. Und die Schaubühne wurde ihrem Ruf als zeitgenössischem Theater eben auch deshalb gerecht, weil diese Kriege auch des Theaterrepertoires in der luxuriösen Erstarrung zeitgenössischer Inneneinrichtungen stattfanden, in die sich zumal die Figuren eines Henrik Ibsen völlig reibungslos eingewöhnen konnten.

    Auch der Beginn der Inszenierung von Tennessee Williams "Die Katze auf dem heißen Blechdach" wirkt wie eine logische Folge der Auseinandersetzung mit Frauen in frustrierenden Verhältnissen. Nun ist Jule Böwe als die Ehefrau des verkappt schwulen ehemaligen Baseballspielers Brick in den Ehekampf eingetreten. Leitmotivisch erklärt sie ihrem auf Krücken angewiesenen und alkoholabhängigen Ehemann, dass sie heute ihren Eisprung hat und deshalb am liebsten mit ihm in Bett ginge. Tatsächlich wären dann fast alle Probleme gelöst. Sie wäre den Spott der extrem gebärfreudigen Mae los, die mit Bricks spießigen und berechnenden Bruder Cooper bereits 5 Kinder in die Welt gesetzt hat.

    Das sind Leute, die sehr scharf sind auf Big Daddys Multimillionenerbe. Aber mit Ostermeiers Margaret, die allegorisch die Katze auf dem heißen Blechdach einer zutiefst verlogenen Familie ist und 1958 im Film immerhin einmal von Elizabeth Taylor oscarpreisverdächtig verkörpert wurde, ist in der kindlich quengelnden und milde defätistischen Jule Böwe keine Zentralperspektive im Dschungel des familiären Lügengestrüpps möglich. Die Vermutung vom Anfang, Ostermeier könne Tennessee Williams Margaret nach Nora und Hedda als eine weitere Heroine etablieren, führt schnell in die Irre und zum Totalverlust des ersten und zum Teilverlust des dritten Aktes. Wenn Josef Bierbichler in der Rolle des Plantagenbesitzers Big Daddy die Bühne betritt und die unterkühlten Szenen einer toten Ehe beendet, findet eine theatralische Kulturrevolution statt, die Rückkehr in eine andere Zeit, die besser passt zu Tennessee Williams.

    Ein großes Schwadronieren über die verschissenen Verhältnisse beginnt, die Josef Bierbichler ab libitum mit Tagesaktualität, den Fall Murat Kurnaz zum Beispiel unterfüttert und das in den offenen Schlagabtausch mit seinem geliebten aber durch seinen Alkoholmissbrauch als Erbe diskreditierten zweitgeborene Sohn Brick endet. Kraftmeiernd hält der Vater dem Sohn Lebensverweigerung vor und dass dieser am Selbstmord des von ihm vergötterten Freundes Skipper Schuld trägt, nach dessen Tod sich Brick in die Alkoholabhängigkeit gestürzt hatte. Wir begreifen, die verdrängte Homosexualität von Sohn und Vater ist Motor für ihre mörderische Affinität. Wenn Brick seinerseits dem Vater offenbart, dass man ihm den nahen Krebstod verschweigt, verlässt Joseph Bierbichler geschlagen die Bühne - wie nach einem völlig missratenem Comeback. Ostermeier folgt in so fern der Ur-Fassung des Stücks, indem er ihn nun nicht mehr auftreten lässt.

    Eine dritte Aufführung beginnt, ein Nachspiel, ein Vaudeville der aufs Erbe lauernden Folgegeneration, die ihren Höhepunkt darin findet, dass die Familienmutter Mae der Kinderlosen Margaret Big Daddys Geburtstagstorte ins Gesicht schleudert. Wie auch immer sehenswert die eine oder andere spielerische Passage gelingt, eine zusammenhängende, Inszenierung der "Katze auf dem heißen Blechdach" kommt dabei nicht heraus. Und deshalb geht der Blick immer wieder zu dem leibhaftigen Raubvogel, der in einer gewaltigen Voliere, die das vergaste Bühnenbild überragt, zweieinhalb Stunden fast regungslos auf einem gewaltigen Ast ausharrt, wie eine etwas enigmatische Paraphrase für das Tier auf dem Dach. Irgendwie kann in dem tristen Dekor mit seinen zwei moderne Sofas auf dunkelgrauem Teppichboden für keinen mehr eine Welt untergehen, schon gar nicht eine riesige Baumwollplantage in viktorianischem Stil. Die Dekadenz, die Tennessee Williams mit seinem Südstaatenstück meinte, scheint geschichtlich irgendwie überwunden. Und auch die Lieblosigkeit seiner Figuren bildet zu der der heutigen Generationenkämpfe keine theaterwirksamen Resonanzen. Vielleicht ist Verlogenheit, Homosexualität, Erbschleicherei und sexuelle Verweigerung heute so normal, dass sich aus einem Gebräu solcher Zutaten auf dem Theater kein Drama mehr machen lässt.