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Familiengespräch Brustkrebs

Die Chancen auf Heilung bei Brustkrebs sind bei frühzeitiger Diagnose groß. Bemängelt wird jedoch immer noch die psychosoziale Begleitung der Patientinnen. Bei einer Befragung gaben 60 Prozent der Brustkrebspatientinnen an, nie etwas von psychologischer Betreuung gehört zu haben. Wie positiv ausführliche und einfühlsame Gespräche auf den Krankheitsverlauf und die familiäre Situation wirken, lässt sich am Beispiel einer Familie aus Baden-Württemberg darstellen. Während die Mutter bei ihrer Erkrankung die vielen und langwierigen medizinischen Maßnahmen ohne psychologischen Beistand durchstehen musste, hat die Tochter – zwei Jahrzehnte später – durch Familiengespräche Unterstützung erfahren.

Von Margrit Braszus |
    Wie vom Donner gerührt war sie, erinnert sich Brigitte Boll, als der Arzt ihr den Befund mitteilte: Brustkrebs. Sie war gerade 31. Zeit, darüber nachzudenken, was nun geschehen sollte hatte sie kaum: Zuhause waren drei kleine Kinder zu versorgen. Sie hoffte auf die Hilfe der Ärzte:

    "Es war schon ein Schlag, ich wusste auch nicht wie es weitergeht, aber die drei kleinen Kinder haben mich gar nicht groß überlegen lassen. Es musste weitergehen, ich wurde noch gebraucht, ich habe einfach auf die Ärzte vertraut. Natürlich, die Ängste waren schon vorhanden. "

    Beide Brüste mussten entfernt werden, Brigitte Boll bekam Chemotherapie und Bestrahlungen. 20 Jahre sind seither vergangen, der Krebs bei der inzwischen 52-jährigen gilt als besiegt. Ein einsamer Kampf, den in ähnlicher Form viele Frauen auch heute so erleben. Viele Patientinnen fühlen sich mit ihrer Krankheit allein gelassen, und werden durch gut gemeinte Ratschläge von Familienangehörigen und Freunden eher noch verwirrt:

    "Üblicherweise läuft es so, dass jeder der Angehörigen unterschiedlich informiert wird. Der Ehemann führt das Gespräch mit dem Chefarzt, dann kommen die Kinder, zufällig, die erwischen die Stationsärztin oder die Stationsschwester, eine Schwester der Frau kommt angereist, hat wieder eine andere Information, und so ist nach kurzer Zeit ein Durcheinander unterschiedlicher Informationen in der Familie, das führt zu einer Beunruhigung. "

    Der Bad Säckinger Gynäkologe und Psychotherapeut Prof. Dr. Dietmar Richter behandelt und betreut Patientinnen am Brustkrebszentrum im badischen Rheinfelden. Eine seiner ersten Maßnahmen unmittelbar nach der Operation besteht darin, die komplette Familie der Patientin zu einem einstündigen Gespräch zu versammeln. Denn die wenigsten Angehörigen wissen, ob und wie sie mit der Mutter, der Partnerin über die Krankheit sprechen sollen, sie wissen nicht, was sie tun sollen. In mehreren Familiengesprächen werden - für alle verständlich - die weiteren medizinischen Schritte offen gelegt, gemeinsam wird überlegt, wie der Alltag für die Familie neu geregelt werden kann. Als die 27-jährige Corinna Boll - wie ihre Mutter- an Brustkrebs erkrankte, hat ihr das Familiengespräch am Brustkrebszentrum Rheinfelden die nötige Sicherheit gegeben.

    "Ein paar Tage nach der Diagnose hat ein Familiengespräch stattgefunden, wo meine
    Eltern dabei waren und die Zwillingsschwester, wo das ganze Medizinische noch mal geklärt worden ist, wie es weitergeht, dass jeder Bescheid weiß, dass jeder die gleiche Information hat, dass jeder weiß, was kommt. Jeder trägt die Entscheidung und alles ein Stück mit, man steht nicht alleine da, jeder ist für einen da und jeder weiß genau Bescheid. "

    Wenn die ganze Familie am Krankheitsgeschehen beteiligt ist, hilft das den Frauen emotional, es beeinflusst den Heilungsprozess positiv und fördert das seelische Gleichgewicht, was die Überlebenszeit beträchtlich verlängern kann.

    " Es geht darum das System Familie neu zu ordnen, nach der Erkrankung. Man sieht sehr schnell wo sind die Ressourcen in der Familie, wer könnte die Frau unterstützen, ist das der Ehemann oder er am wenigsten, weil er beruflich im Stress ist, oder vielleicht die älteste Tochter, also sehr schnell ordnet sich für uns das System Familie und die Hilfsmöglichkeiten, die dann in der nächsten Zukunft bestehen für die Betroffene. Daher ist uns ein solches Familiengespräch wichtig. "

    Doch hilfreiche Gespräche finden zu selten statt: Bei einer bundesweiten Internetumfrage von 460 Brustkrebspatientinnen wünschte sich jede zweite "mehr Zeit mit dem Arzt"; eine Studie der Universitätsklinik Hamburg belegt, wie stark die mangelhafte Kommunikation mit dem Arzt die Krebspatientinnen belastet. Hinzukommt, dass die wenigsten Gynäkologen gelernt haben, Gespräche zu führen. Viel zu oft bleibt daher die Beratung der krebserkrankten Frauen und ihrer Partner im Umgang miteinander, - gerade auch in sexueller Hinsicht - auf der Strecke, Prof. Dietmar Richter:

    "Nun stellen wir fest, dass eine Frau, der die Brust abgenommen wurde, sich automatisch zurückzieht, weil sie denkt, ich bin für meinen Partner sexuell nicht mehr attraktiv. Der Partner seinerseits merkt den Rückzug und denkt: "Ich kann meine Frau nicht mit meinen sexuellen Wünschen überfallen", und zieht sich auch zurück, und so haben wir einen unglücklichen Rückzug von beiden. Doch eine Frau braucht gerade in dieser Zeit Zärtlichkeit, Körperkontakt, und das vermitteln wir dem Paar im Zweiergespräch. "