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Familienministerin schweigt zur Finanzierung von mehr Krippenplätzen

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen will eine öffentliche Debatte über die Finanzierung von mehr Krippenplätzen vor dem Sommer vermeiden. "Denn sonst ist mir das Risiko zu groß, dass wir das alles zerreden vorher", sagte die CDU-Politikerin. Zunächst werde sie allein mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) darüber sprechen.

Moderation: Jacqueline Boysen |
    Jacqueline Boysen: Frau Ministerin, schaut man sich an, welche Politikerin am häufigsten in Deutschland zitiert wird, dann sind Sie das. nach der Kanzlerin, versteht sich. Hätten Sie zu Beginn der Legislaturperiode, also vor gut anderthalb Jahren geglaubt, dass Sie in Deutschland mit der Frage der Kindererziehung, Kinderbetreuung so viel würden bewegen und das Land auch so spalten?

    Ursula von der Leyen: Nein, das habe ich am Anfang, als wir in die Regierung gekommen sind, überhaupt nicht geahnt. Aber was ich von vorneherein wusste und gespürt habe ist, dass das Thema so unendlich wichtig ist. Aber ich hatte immer das Gefühl, wir diskutieren das nicht genügend. Da sind Probleme sozusagen unter der Oberfläche, die müssen durchbrechen. Und ich habe das Gefühl, das findet jetzt statt.

    Boysen: Erkennen Sie Ihre Politik wieder in diesem Begriff, der jetzt kursiert, vom konservativen Feminismus?

    von der Leyen: Ach, ich mache immer nicht so gerne diese Verkürzung, also, wenn man versucht, eine Schablone zu nehmen, und da muss dann alles reingesteckt werden, oder eine Schublade, in die das alles passt. Ich möchte eine Politik machen, die danach fragt, was brauchen junge Menschen, damit sie die Kinder haben können, die sie sich wünschen? Aber ein zweiter Teil ist mir auch so wichtig, die Frage eigentlich, wie wollen wir in Zukunft lebe? Auch der Zusammenhalt der Generationen ist mir wichtig. Und daran muss sich eigentlich immer nur die Politik messen, meines Erachtens.

    Boysen: Sie waren von Beginn an ganz harscher Kritik ausgesetzt. Das Bündnis für Erziehung, dass Sie zunächst einmal mit den Kirchen schlossen, erregte viel Unmut in der säkularen Gesellschaft. Dann kam das Elterngeld. Da war der konservative Flügel Ihrer Partei provoziert. Und Sie verteidigen aber diese Politik, die sich von alten Zöpfen lossagt. Sie haben das persönlich vorgemacht, was das eigentlich heißt. Auf jeden Fall lassen Sie sich bei den vielen Vorstößen, die Sie machen und die in Ihrer eigenen Partei so kontrovers aufgenommen werden und auf so viel Ablehnung stoßen, nicht ablenken. Da geht es ja immer auch um den Vorwurf, dass Sie Alleingänge wagen, dass das Alleingänge der Ministerin sind. Stimmt das?

    von der Leyen: Nun, natürlich spielt bei mir wie bei jedem Menschen die persönliche Lebenserfahrung eine Rolle, nämlich einfach, wie man es erlebt, in Deutschland mit Kindern und mit einer guten Ausbildung, die man liebt, den Arztberuf, gelebt zu haben lange, aber auch im Ausland gelebt zu haben. Es kommt aber eine zweite Komponente hinzu, denn es darf ja nicht nur aus dem Bauch heraus gewissermaßen Politik gemacht werden. Ich habe im Familienministerium inzwischen sehr systematisch aufgebaut, dass wir in unsere Nachbarländer auch schauen, die alle das Problem des demografischen Wandels haben, die aber früher, schneller und erfolgreicher darauf reagiert haben. Und wir fragen uns: Was machen die anders? Da sind viele kleine Facetten Aber entscheidend ist bei den Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Skandinavien, auch die USA und Island, dass diese Länder eine entspanntere Haltung haben zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die sagen einfach, junge Menschen müssen arbeiten können und gute Zeit für ihre Kinder haben können, dann kriegen sie Kinder. Und tatsächlich zeigt sich, dass dann mehr Kinder in dieser modernen Welt geboren werden. Und es zeigt sich auch, dass die Kinderarmut sinkt. Und das sind beides Kriterien, nach denen ich dann versuche zu sagen, was können wir hier tun, damit wir auch diesen Schritt schaffen.

    Boysen: Noch mal: Von wem haben Sie da Rückendeckung?

    von der Leyen: Wenn Sie jetzt direkt auf das Thema Partei fragen, dann habe ich zunehmend Unterstützung innerhalb der eigenen Reihen, weil wir alle auch spüren, die Fragen sind neu, die können nicht die alten Antworten aus den vergangenen Jahrzehnten haben. Und was mir fast am meisten hilft, ist die Tatsache, dass viele Abgeordnete inzwischen ältere Söhne und Töchter haben, die jetzt in ein Alter kommen, wo man sich Kinder wünscht. Und plötzlich merken sie, wie schwer das alles unter einen Hut zu kriegen ist im ganz normalen Alltag. Dann werden sie offener für diese Antworten, die ich gebe.

    Boysen: Ihnen weht ein harscher Wind ins Gesicht, gerade in der Frage der Familienpolitik in den eigenen Reihen. Ich verstehe noch nicht, wieso Sie sagen, Sie spüren da so viel Rückendeckung.

    von der Leyen: Nun, ich spüre, dass ich mehr und mehr überzeuge in der Frage, lasst uns doch nicht immer nur das Trennende betonen und zurückzublicken, sondern lasst uns mal gemeinsam nach vorne blicken und diese ganz einfache Frage stellen, was können wir dafür tun, dass sich Familien besser unterstützt fühlen, und zwar in der Welt, wie sie heute ist, nicht in der Welt, wie wir sie uns wünschen oder wie sie mal war? Und wenn ich zurückschaue, vor anderthalb Jahren war das noch schwieriger, heute geht es besser.

    Boysen: Ich würde gerne von Ihnen wissen, was diese momentanen Debatten über die Union und ihre Verfasstheit aussagen. Sie sind Präsidiumsmitglied, die CDU ist angesichts des Familienthemas erschüttert, mehr Unterstützung hin oder her. Und dann, just in diesem Augenblick, kommt die verheerende Exkulpierung Hans Filbingers in der Trauerrede des amtierenden baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger. Und nun legt auch noch der sächsische Fraktionschef Hähle nach und sagt, es gebe hier "eine Art Gesinnungsterror", wenn man eine eigene Meinung hat. Sie runzeln die Stirn?

    von der Leyen: Ja, ich würde aber davor warnen, zu viel in einen Topf zu schmeißen. Also, ich fühle mich jetzt auch überfordert, wenn man jetzt Analysen machen soll von der Familienpolitik bis hin zu den Dingen, die Sie eben schilderten. Die Familienpolitik ist ja im übergeordneten Sinn auch eine gesellschaftspolitische Debatte. Und ich möchte, dass wir es schaffen - nicht nur als Union, sondern auch als Gesellschaft, und da ist die Union immer ein Spiegel eines Teils der Gesellschaft -, dass es uns gelingt, wie zum Beispiel in Frankreich oder Skandinavien, dass wir Familienpolitik nicht als ein parteipolitisches Thema sozusagen nur sehen, sondern dass sich ein Konsens herausbildet in der Gesellschaft, unabhängig von Parteien, wie man junge Familien unterstützen kann, wie man die älteren zum Zusammenhalt der Generationen gewinnen kann. Das ist das Geheimnis auch des Erfolges anderer Länder gewesen, dass die nicht mit jedem Regierungswechsel immer wieder alles umgeschmissen haben. Da Kontinuität reinzukriegen, da eine nachhaltige Familienpolitik zu entwickeln, die von allen getragen wird, nicht nur von Politik, auch von Wirtschaft und insbesondere von der Gesellschaft, das ist eigentlich meine langfristige Aufgabe.

    Boysen: Nichtsdestotrotz sind Sie in Ihrer Partei für diese Politik verantwortlich. Man hat schon den Eindruck, dass Ihre Partei in dieser Frage sehr klar gespalten ist. Wir erwarten im Sommer, dass Herr Pofalla ein Grundsatzprogramm vorstellt. Da werden diese Fragen erneut diskutiert werden. Und da wird dieser Graben auch noch immer deutlich werden zwischen denjenigen, die diesen Kurs eigentlich für zu progressiv halten und die festhalten, um ein Beispiel zu nennen, an der traditionellen Rolle der Mutter als nicht erwerbstätige Person. Wie gehen Sie damit um?

    von der Leyen: Mir ist wichtig, dass wir nicht den jungen Menschen vorschreiben durch Worte und durch Schuldzuweisung, wie sie zu leben haben, sondern dass wir umgekehrt sagen, uns interessiert, wenn ihr euch Kinder wünscht, dass ihr eure Lebensentwürfe so entfaltet, dass ihr selber entscheidet, wie ihr leben wollt. Und wenn eine Gesellschaft es nicht schafft ...

    Boysen: Frau von der Leyen, darf ich Sie unterbrechen? Ich spreche über die Partei!

    von der Leyen: Gut. Aber die Partei ist ja immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Und wenn ich das jetzt noch mal auf das Thema der Partei zuspitze, dann sehe ich auch die Aufgabe von dem, was ich eben gesagt habe, die Erweiterung einfach der Toleranz gegenüber Familie, in verschiedenen Formen zu leben, dass eine Partei ja davon lebt, dass man auch Themen weiterentwickelt. Und dazu braucht es Personen, die dieses tun. Sonst wäre eine Partei ja ein ganz starres Gebilde, die sich einmal ein Programm gibt, und da bleibt sie stehen. So ein Programm muss aber auch leben, nämlich eine Partei muss leben und sich weiterentwickeln. Und das ist wirklich fast wie in einer Familie, das geht nur über Diskussionen.

    Boysen: Wie kommt es zu diesem Spalt zwischen dem, was aus der Gesellschaft kommt an Wunsch, wenn man Umfragen anschaut, dass junge Eltern, die Betroffenen, also tatsächlich eine Fremdbetreuung ihrer Kinder nicht als brutalen Eingriff in ihr Privatleben sehen, sondern zu einem bemerkenswert hohen Teil ihn auch wünschen, und dem, was an Haltung bei Entscheidungsträgern da ist?

    von der Leyen: Manchmal denke ich, dass wir vielleicht durch die Wiedervereinigung so beschäftigt waren mit anderen Themen, die das überdeckt haben, dass dieses damals als weich angesehene Thema gar nicht zur Geltung kam und jetzt sich mit Verspätung, aber mit unglaublicher Macht auch Bahn bricht.

    Boysen: Sie sind dem Vorwurf ausgesetzt, Sie würden ihr eigenes Lebensmodell der Verbindung von Karriere und Kindern bevorteilen und gewissermaßen einen Zwang ausüben, was letztendlich den Effekt habe, dass die Ökonomisierung Familien zerstört. Ich möchte wirklich nicht auf die Anwürfe von Bischof Mixa zurückkommen und darauf herumreiten, zumal sich ja der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, auch versöhnlicher zeigt. Dennoch meine Frage: Wie viel ist eigentlich dran an diesem Vorwurf, dass Sie dieses Lebensmodell zu Lasten des anderen, der Mutter, die sich der Kinderbetreuung widmet, bis die Kinder in die Schule kommen beispielsweise, bevorteilen würden?

    von der Leyen: Das ist ein absurder Vorwurf, denn wenn ich zurückdenke, ich bin mit unseren Kindern sieben Jahre zu Hause gewesen. Das war eine unglaublich glückliche Zeit, ich will keinen Tag, keine Minute missen. Und dann hat es ganz viele Jahre gegeben, da habe ich das getan, was sich die Menschen eigentlich wünschen, nämlich in Teilzeit gearbeitet. Die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen, wir haben es jetzt ja auch in den Umfragen noch einmal deutlich gesehen, 80 Prozent sagen: Wir wollen Teilzeit mit Kindern, insbesondere wenn sie klein sind, arbeiten. Und das möglich zu machen, das ist mir wichtig. Es sagen nur zehn Prozent, sie wollen nur Vollzeitberuf, es sagen nur zehn Prozent, sie wollen nur zu Hause bleiben. Das heißt, die Übergänge sind das Entscheidende.

    Und dann muss man natürlich auch einen zweiten Blick werfen, das kann ich verstehen, auf den Vorwurf, was tun wir für Familien, wo einer zu Hause ist? Wir haben, glaube ich, die Familienleistungen, die wir für diese Familien erbringen, zu sehr versteckt, so dass die es gar nicht spüren. Wir geben 30 Milliarden Euro im Jahr aus für das Ehegattensplitting, das zum überwiegenden Teil den Einverdienerfamilien zugute kommt und die kostenlose Versicherung in der Krankheit und in der Pflege. Das ist eine ganz große Summe, auf die sollten wir stolz sein, die sollten wir auch benennen. Man spürt sie nur nicht, wenn man zu Hause ist. Neben diesen 30 Milliarden stehen im Augenblick 10 Milliarden für Kinderbetreuung. Da geht es jetzt darum, die um 3 Milliarden zu erhöhen. Und ich glaube, da sind immer die Waagschalen noch ganz gut im Vergleich zueinander ausgeglichen, dass ...

    Boysen: Das heißt, wenn ich Sie da mal unterbrechen darf, die geforderte weitere Unterstützung für jene Mütter, die zu Haus bleiben, die würden Sie ablehnen?

    von der Leyen: Nun, ich glaube, man muss einfach sagen, wir müssten mal die Bilanz ziehen, wie viel der Staat dafür ausgibt, denn das kommt, glaube ich, nicht wirklich an. Das Problem liegt tiefer. Das Problem liegt darin, dass das Gefühl da ist, die Erziehungsleistung wird nicht anerkennt. So wird es ja oft in Worte gepackt. Aber die Anerkennung geht eben nicht nur über Geld, sondern sie geht auch über eine Grundhaltung einer Gesellschaft. Und ich denke, dass dadurch, dass wir so lange Erziehung ausschließlich als eine Frauensache gesehen haben, nur als eine Muttersache, und nicht sie erweitert haben auch als eine Sache, die auch Männer angeht, die Väterrolle, wie wichtig die ist. Das hat dazu geführt, dass Erziehung immer in den Sonntagsreden erwähnt wird, aber nicht wirklich ein gemeinsames Anliegen aller ist, nämlich der Männer und der Frauen.

    Boysen: Sie haben versucht, dieses Engagement der Väter zu erhöhen durch den Anreiz, den Sie setzen mit dem Elterngeld. Das Elterngeld wird seit dem 1. Januar ausgereicht. Können Sie ein vorläufiges Resümee ziehen, inwieweit das Elterngeld angenommen wird, nicht nur von Müttern, sondern auch von Vätern?

    von der Leyen: Wir haben natürlich, dazu ist die Zeit zu knapp, noch keine konkreten Zahlen. Das wird es nach sechs Monaten geben, also Mitte des Jahres. Wir haben ganz vorsichtige Trends, und die sind sehr ermutigend, nämlich in der Tat, dass die Väter deutlich mehr als vorher das Elterngeld annehmen und damit sich auch das Bedürfnis zeigt, Zeit zu haben für sein Kind.

    Boysen: Planen sie, Anreize zu setzen, dass auch Arbeitgeber Vorteile darin sehen, dass sie – in Anführungsstrichen – "glückliche Väter" haben, die, ohne Karriereeinbußen hinnehmen zu müssen, sich der Kinderbetreuung widmen können? Kann der Staat eigentlich da überhaupt eingreifen?

    von der Leyen: Politik kann nur sehr begrenzt dort steuern, aber das Instrument der Partnermonate im Elterngeld ist ein ausgesprochen kluges. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Betriebe sich ganz zügig pragmatisch darauf eingestellt haben, dass sie jetzt sagen, nicht eine junge Frau, die wir einstellen, da sagen wir: Upps, die könnte ja Elternzeit nehmen, es ist also ein Frauenproblem, das ist für uns schwierig, sondern wir sagen: Alle jungen Menschen, die wir einstellen, könnten Kinder kriegen und Vater- oder Mutterzeit nehmen. Also stellen wir uns drauf ein. Das heißt, es wandelt sich die Einstellung der Unternehmen von der Haltung "Kinder sind ein Problem" hin zu der Haltung "Kinder gehören mitten dazu., die sind einfach da, jetzt machen wir halt das Beste draus, und zwar gemeinsam". Natürlich muss das noch mehr werden, da reichen nicht nur die Partnermonate. Das Ziel ist, dass wir lernen, dass wir alle, die Gesellschaft, aber auch die Wirtschaft, einen Vorteil davon haben, wenn junge Eltern nicht zerrieben sind zwischen Beruf und Kindern, sondern wenn Kinder im Mittelpunkt auch der Arbeitswelt stehen und damit Zeit und Raum für die Kinder in der Arbeitswelt da ist.

    Boysen: Sie sagen, Kinder gehören dazu. Inwieweit sollte sich dieses "Kinder gehören dazu" auch fiskalisch niederschlagen? Ich würde gerne mit Ihnen über das Familiensplitting sprechen. Lassen Sie uns kurz das erklären, das heißt, die steuerliche Einbeziehung der Kinderzahl in die steuerliche Veranlagung. Sie haben vom Vorbild anderer europäischer Staaten gesprochen. In Frankreich haben wir ein ähnliches Modell, die Steuer wird berechnet nicht nur anhand des Einkommens von Mutter und Vater, sondern sie wird gewissermaßen geteilt durch die Zahl der Kinder. Halten Sie das für eine Regelung, von der man etwas lernen kann?

    von der Leyen: Ja, im Augenblick ist das so, dass wir im Familienministerium auch berechnen, wie kann man das heutige Ehegattensplitting, das ein wichtiger Schutz der Ehe ist, aber nicht die Frage stellt nach Kindern, erweitern um eine Kinderkomponente, nämlich sagen, es ist auch wichtig, in einer Gesellschaft ganz konkret Kindererziehung, und zwar nicht nur allgemein, sondern mit der steigenden Zahl der Kinder auch zu fördern? Steuerlich fördern, das muss man auch noch sagen, heißt, den Menschen von ihrem selbstverdienten Einkommen weniger wegnehmen. Also ist es nicht ein Almosen oder Geld, was oben drauf gegeben wird, sondern von dem, was sie selber verdienen, behalten sie mehr. Und das finde ich absolut ein richtiges Ziel, dass Menschen mit Kindern von dem, was sie verdient haben, bitte auch mehr behalten sollen, um es in die Familie auch zu stecken

    Boysen: Das sehen nicht alle so. Insbesondere der Koalitionspartner hat weiterhin die Vorstellung, das Ehegattensplitting zu kappen und das Kindergeld einzufrieren. Wie ist Ihre Position?

    von der Leyen: Ja, ich warne davor, das Ehegattensplitting zu kappen, wie die Pläne der SPD sind. Das hieße nämlich, dass Familien, Ehen, die mehr als 35.000 Euro verdienen, eine Steuererhöhung bekommen, und zwar unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Und das kann nicht der Sinn der Sache sein. Es kann nicht der Sinn der Sache sein, dass wir Familien zum Beispiel mit Kindern, die über einem bestimmten Einkommen sind, die Steuern erhöhen, damit wir dann andere Dinge davon finanzieren. Der umgekehrte Weg ist richtig. Der Fokus, der Blick muss auf die Kindererziehung sein. Und diesen Menschen müssen wir es leichter machen, denn sie sind relativ wenige in unserer Gesellschaft.

    Boysen: Ursprünglich war ja daran gedacht, die Entlastung, die den Kommunen durch die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe entstehen würde, in die Kinderbetreuung fließen zu lassen. Das steht so im Koalitionsvertrag. Nun wollen Sie ihn übererfüllen in Bezug auf den Ausbau von Krippenplätzen. Wir wollen den Streit über die Summe hier nicht aufwärmen, aber eben doch fragen, wie die Chancen stehen für eine Einigung mit den Sozialdemokraten, namentlich mit dem Bundesfinanzminister. Der sagt zwar, die Konjunktur ist gut, so gut, dass ihm schwindelig werde, aber er sträubt sich dennoch, die Mehraufwendung für die Kinderbetreuung aus dem Steueraufkommen zu bezahlen und appelliert an Ihre Sparsamkeit. Sehen Sie einen Kompromiss am Horizont aufscheinen?

    von der Leyen: Wir haben eine einmalige Situation erreicht, nämlich dass zum ersten Mal der Bund, die Länder und die Kommunen gemeinsam gesagt haben, nach all den Daten, die uns vorliegen, ist es richtig, Kinderbetreuung so auszubauen, dass ein Drittel der Eltern ein Angebot bekommt. Heute hat in Westdeutschland gerade mal ein Zehntel der Eltern ein Angebot. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt gewesen, denn es heißt für uns alle drei, Bund, Länder und Kommunen, wir alle drei müssen gemeinsam diesen Schritt tun, das heißt auch, Geld in die Hand nehmen.

    Jetzt ist meine Aufgabe, innerhalb der Bundesregierung dafür zu werben, dass der Bund sich beteiligt. Und ich bin fest entschlossen, auch konsequent hier zu sein, wenn ich dieses Ziel erreichen will, dass ich erst mit dem Finanzminister mein Finanzierungskonzept bespreche. Denn sonst ist mir das Risiko zu groß, dass wir das alles zerreden vorher. Der entscheidende Mann in der Tat im Augenblick ist der Finanzminister. Er muss dieses, die Frage Kinderbetreuung, mit mir gemeinsam in den Haushalt einflechten. Dann stellen wir das dem Bundeskabinett vor und dann dem Parlament. Das alles spielt sich ab bis zum Sommer. Ich denke, die Geduld können wir haben bis zum Sommer, bei diesem wichtigen Ziel. Und deshalb bin ich auch so eisern, dass ich sage, der einzige, mit dem ich über dieses Thema rede, ist jetzt der Finanzminister.

    Boysen: Es haben ja eine Reihe von Bundesländern angekündigt, sie wollen, obwohl es diese Einigung zwischen Ihnen und dem Finanzminister noch nicht gibt und obwohl nicht klar ist, wie viel Unterstützung eigentlich vom Bund zu erwarten ist, trotzdem die Kinderbetreuung für die Kleinen, die jünger sind als drei Jahre, ausbauen. Heißt das, der Bund ist gar nicht gefordert?

    von der Leyen: In der Tat müssen insbesondere die westlichen Bundesländer, die Angebote für ein Zehntel der Eltern haben, noch gewaltig ausbauen. Und die sind sich darüber im Klaren. Und in einer Phase, wo wir einen Konjunkturaufschwung erleben, wo wir einen Fachkräftemangel anfangen entstehen zu sehen, wo die Nachfrage nach jungen Menschen am Arbeitsmarkt steigt, ist entscheidend, dass eine Gesellschaft es schafft, das Thema Kinderbetreuung zur Zufriedenheit der jungen Menschen auch zu regeln, damit sie auch ihre privaten Lebensträume nach Kindern erfüllen und nicht anfangen zu sagen, dann verzichte ich auf Kinder. Und deshalb ist es jetzt so wichtig, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam diesen großen Schritt, größer als bisher geplant, gehen.

    Boysen: Frau von der Leyen, wir reden bei dem Ausbau der Kinderbetreuung über die Quantität. Wir müssen auch über die Qualität reden. Die Elementarpädagogik bei uns ist geprägt noch immer von der Idee des spielerischen Lernens. Und wir pflegen eigentlich immer noch eine Abgrenzung zwischen dem Kindergarten, um einmal den alten Begriff zu nehmen, und der Grundschule. Mehr und mehr erwarten Eltern aber, dass die Kinder auch vor der Schule schon tatsächlich strukturiertes Lernen lernen. Chinesisch und Violine für Vierjährige ist vielleicht das Extrembeispiel, aber wie kann und will die Bundesregierung diesen Bedürfnissen gerecht werden, insbesondere wenn wir die Ausbildungssituation betrachten bei denen, die in der Kinderbetreuung arbeiten. In vielen europäischen Ländern sind es akademisch gebildete Pädagogen, bei uns ist diese Ausbildung eine Fachhochschulausbildung. Befürworten Sie da eine Veränderung, eine stärkere Akademisierung?

    von der Leyen: Hier kann nicht alleine die Bundesregierung handeln, denn dieses ist ganz stark in Länderkompetenz. Aber, und das ist die Chance dieses Themas, wenn wir uns jetzt einig sind, dass wir nicht mehr die Frage stellen, ob wir die Kinderbetreuung ausbauen, dann muss als nächstes jetzt die Frage kommen, wie wir das machen, nämlich wie die innere Qualität ist. Und da sind Themen wie Tagesmütterqualifikation. Da kann ich helfen als Bundesfamilienministerin, indem ich die Qualifikation von Tagesmüttern, und das beginnt ab Herbst, fördere. Gleiches gilt für Diskussionen, die wir haben werden über Themen, wie ist die Gruppengröße? Altersgemischte Gruppen finde ich unendlich wichtig. Ich verstehe nicht, warum ein Zweijähriges nicht mit einem Dreijährigen im Kindergarten spielen kann. Macht doch die Gruppen auch auf. Gerade das Thema Lernen, auch da, glaube ich, haben wir Nachholbedarf. Die Fachwelt ist sich längst darüber im Klaren, dass sie sagt, man kann gar nicht Kinder vom Lernen abhalten. Die lernen von der ersten Minute an, wenn sie auf der Welt sind. Die sind hungrig und durstig nach Wissen und nach Entdecken und Erforschen dieser Welt. Das ist eine hochspannende Aufgabe. Ich finde, das ist eines der faszinierenden Themen eigentlich für eine Gesellschaft, sich damit zu befassen und nicht die Frage zu stellen oder diese Haltung zu haben, vor der Schule Spielraum und Schonraum, du darfst nicht lesen lernen und schreiben lernen, sonst langweilst du dich später in der Schule, das ist falsch. Kinder machen keinen Unterschied, ob sie jetzt im Kindergarten sind oder in der Schule sind. Die sind von Anfang an wissensdurstig. Und wenn man sie früh weckt, diese Lust am Lernen, dann hält sie auch später in der Schule länger an.

    Boysen: Nun klingt es fast so, als seien Sie in der turbulenten Welt des Kindergartens zu Hause. Kommen wir zurück zur turbulenten Welt am Koalitionstisch zurück. Sie haben sich ein Thema zu eigen gemacht, das traditionell eher eines ist, mit dem der Koalitionspartner, die SPD, Punkte macht. Was bedeutet es für die Koalitionsarithmetik, dass dieses Thema auf einmal ein ganz brisantes Unionsthema geworden ist?

    von der Leyen: Es ist ein Lernprozess für uns alle, aber ich denke, wenn wir es gut machen, dann lernen wir daraus und stehen auch ganz fest dahinter, dass wir sagen, wir sind eine Regierung, und die ist nicht in erster Linie Partei, sondern die ist in erster Linie dazu da, Veränderungen im positiven Sinne für die Menschen zu schaffen.

    Boysen: Parteien müssen aber gewählt werden.

    von der Leyen: Das ist richtig. Aber keine Partei wird dafür gewählt, dass sie das Thema Familie blockiert, dass sich da nichts bewegt. Keine der beiden Parteien innerhalb der Regierung wird davon profitieren, wenn die Menschen enttäuscht sind von Politik, enttäuscht sind von dieser Regierung. Das heißt, die Regierung insgesamt wird daran gemessen, ob sie handeln kann. Und natürlich profitieren beide Parteien davon, und es wird sich zeigen wie in den Nuancen, wenn beide Parteien auch um die besten Ideen und um die besten Handlungskonzepte ringen, in Familienpolitik voranzukommen. Und das finde ich einen ganz fruchtbaren Wettbewerb, den ich auch lebendig halten möchte.

    Boysen: Frau von der Leyen, Sie stammen selbst aus einer kinderreichen Familie und Sie stammen aus einer Politikerfamilie. Können Sie von den Erfahrungen Ihres Vaters Ernst Albrecht, des einstigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, profitieren? Was haben Sie von ihm für Ihre Arbeit heute gelernt?

    von der Leyen: Ich habe am Anfang viel profitiert, dass ich keine Berührungsängste mit der Politik hatte. Ich habe als Kind sicherlich etwas rosarot den Eindruck mitbekommen, dass Politik ein Feld ist, in dem man ganz viel auch gestalten kann und was ganz positiv besetzt war in meinem Kopf. Also der Weg in die Politik ist sicherlich vorgebahnt gewesen durch die Erfahrung im Elternhaus. Jetzt bin ich doch so weit, dass ich auch merke, dass Politik heute auch etwas anderes ist als in den 90er Jahren. Das heißt, ich muss schon meine eigenen Erfahrungen machen und meine eigenen Schlüsse ziehen, und das ist ein spannendes Feld für mich.
    Ein Vater wickelt seinen zweijährigen Sohn Michel auf einer Wiese in Erfurt.
    Ein Vater wickelt seinen zweijährigen Sohn Michel auf einer Wiese in Erfurt. (AP)
    Bundesfinanzminister Peer Steinbrück berichtet auf einer Pressekonferenz über den Abschluss des Bundeshaushaltes 2006.
    Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. (AP)