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Fantasie über die Sehnsucht nach Gewalt in einer Welt des sterilen Konsums

Einen Skandal provozierte diese Theaterpremiere in Magdeburg nicht. Das aufregendste an ihr war der Stücktitel: Baise moi . Doch gefickt wurde auf der offenen Bühne in Magdeburg nicht, sondern unentwegt geredet. Über Gefühle und Schwänze, über Aggressionen und Absichten. Uwe Bautz, Autor der Bühnenfassung und Kathka Schroth, Regisseurin der Magdeburger Uraufführung, scheint zum Glück von Anfang an klar gewesen zu sein, daß die sexuellen und Gewaltbilder des Romans und des Filmes auf der Bühne nicht möglich sind.

Von Hartmut Krug |
    Es ist ohnehin schon unfreiwillig komisch, wenn die Darsteller gelegentlich ihre Kleider ablegen und dann mit Stringtangas über grobem, fleischfarbenem Ganzkörpertrikot agieren. Die Inszenierung von Katka Schroth verheddert sich, obwohl sie sich äußerliche Regieeinfälle weitgehend verbietet, von Anfang mit ihren Versuchen, dennoch etwas Aktion und einige Haltungen zu zeigen, im weitgehend dialogischen Material von Uwe Bautz. Denn der hat seine Bühnenversion nach den Motiven von Virginie Despentes Vorlage konsequent als ein Denkspiel angelegt, als eine Redereise von zwei Frauen durch ihre Gedanken und Sehnsüchte.

    Keine Nackt- oder Derbheit, keine Blut- oder Gewaltorgien werden gezeigt, sondern alles wird weitgehend nur berichtet. Gelegentlich rubbeln sich die Figuren mit heftigem Stöhnen, was recht albern wirkt, an den verschiedenfarbigen, großen Penissen, die zwischen den Stützpfeilern im weiten, offenen Raum der ehemaligen Staatsbank aufgestellt wurden, der während der Renovierung der Freien Kammerspiele als Ausweichspielstätte dient werden. Das Publikum sitzt um die leere Spielfläche herum und ist den Darstellern, die sich auch immer mal wieder mit Fragen an einzelne Besucher wenden, ziemlich ausgeliefert.

    Vier Personen, drei Frauen und ein Mann, spielen die Geschichte nicht chronologisch vor, sondern durchmessen sie in Rück-, Seit- und Vorwärtsschritten. Das ist für den unvorbereiteten Zuschauer nicht immer einfach: weil der bewußte mörderische Amoklauf der beiden jungen Frauen Nadine und Manu, der ja schon bei Virginie Despentes keine klare Begründung erhält, in dieser Bühnenfassung ein ansatzloser, fast abstrakter Vorgang wird. Und weil das gedankenlos schlichte Bühnenbild und die bewußt zurückgenommene Spielweise die Denk-Voraussetzung dieser Bühnenfassung nicht klar vermitteln: nämlich die Frage, was tun in einer sterilen Welt des totalen Konsums, in der man unter dem Beton-Pflaster der Stadt vielleicht gar nie mehr einen Strand wird entdecken können.

    In Magdeburg, in der die Bühnenfassung deutlich spielt. sind Manu und Nadine auf der Suche nach Gefühlen, oder, wie es die kitschig-klischierte Bühnenversion nahelegt, zeigen die beiden Frauen, indem sie ihre sexuellen Gelüste, aggressiven Leidenschaften und bewußten Instinkte herauslassen und ausleben, als vielleicht einzige eine wirklich menschliche Haltung. Und wenn Tarek, der kleine Bruder der Putzfrau Fatima, bei der die beiden Frauen eine Zeitlang unterkriechen, seine Urgeschichte vom Wolf erzählt, dann scheitert die Fassung an der aufgesetzten Bildung und Bedeutsamkeit von Bautz.

    Denn natürlich meint der Film auch mit "Wölfe fangen" den Bezug auf urtümliche Haltungen. Doch wenn Bautz die beiden Frauen zu aktiven, Männer verspeisenden Gottesambeterinnen macht, und wenn Regisseurin Katka Schroth die Frauen am Beginn vor einem Bambi-Bild mit einem erlegten Hirsch auftreten lassen, aus dem sie sich das blutige Herz reißen, dann wird die Bühnenversion zu einer Art vergorenem Bedeutungskitsch. Und die Textpassagen, in denen Döblin oder Shakespeare zitiert oder paraphrasiert werden, präsentieren nur brave Moralismen.
    Das Problem von Stück und Aufführung ist aber vor allem: indem beiden äußere Reize fehlen und zugleich innere Begründungen bewußt ausgespart bleiben, indem außerdem die Texte von Uwe Bautz mehr redlich denn erregend sind, und indem die beiden jungen Darstellerinnen des mörderischen Freundinnenpaares schauspielerisch so auffällig wie zugleich kräftig daran arbeiten müssen, andere zu sein als die freundlich-frischen jungen Damen vom Theater, die sie in jedem mit lasziven Gesten angefüllten Augenblick stets bleiben, wirken Stück und Inszenierung wie nur wie ein braves und uneigentliches, aufgeregtes Behauptungstheater.

    Im weitgehend spannungslosen Text wird vom Toben zweier emotionaler Furien erzählt, auf der Bühne aber stehen nur zwei angestrengte, sympathische Schauspielerinnen, und dann noch neben sich. Was gezeigt werden soll, ist der emotionale Raum von zwei Frauen, denen körperlich und seelisch böse mitgespielt wurde und die nun tun, wozu ihnen Lust ist. Doch Bilder oder andere sinnliche Reize oder theatralische Effekte finden weder Uwe Bautz noch Katka Schroth für die Visualisierung des beredeten emotionalen Raumes. Die Lust ist bei Uwe Bautz etwas urtümlich kreatürliches. Ein vorzivilisatorisches Gefühl, nach dem die tötenden Frauen sich sehnen. Weshalb man ihnen nicht böse sein sollte. Tod ist Tod, für die Opfer, und die Sehnsucht der Frauen ist etwas Echtes, und gut für die Mörderinnen, das scheint das Erklärungsfutter, das Uwe Bautz dem auf der Bühne sich so müde dahinschleppenden gewalttätigen Geschehen unterlegt. Manchmal wirken Stück und Inszenierung wie eine hilflose Soap unter dem Titel "Wahre Liebe tut nur dem anderen weh, aber das macht nichts."

    Insgesamt deckt diese Bühnenfassung unfreiwillig die gedanklichen und dramaturgischen Schwächen der Geschichte von Virginie Despentes auf, der schon bei der Filmversion von Kritikern vorgehalten wurde, allein durch ihre schockhaften Effekte zu wirken. Weil die in Magdeburg fehlen und nichts neues, anderes hinzukommt, verbreitet die ziemlich langweilige nicht mehr als ein kräftiges dejá-vu-Gefühl.