Kein Vorspiel auf dem Theater, kein Prolog im Himmel. Theaterdirektor, Dichter und lustige Person sind gestrichen, es wird nicht über die hehren Motive der Theaterkunst gestritten. Auf die Bühne tritt lediglich der neue Intendant des Stuttgarter Schauspiels und wünscht sich und dem Publikum alles Gute. Danach kommt von hinten, als Macbeth-Zitat, eine feiste alte Hexe in Negligé und durchsichtiger Gummischürze, spricht ein paar Prolog-Sätze und fegt andeutungsweise die Bühne aus.
Es wird ausgemistet am Stuttgarter Staatstheater. Keine höheren Ziele mehr, sondern Verwaltung der trüben Realität. Sparzwang allerorten. Ein Großteil des Goethe-Texts ist gestrichen, dafür haben wir anfangs drei Fäuste, von denen sich zwei alsbald in ein Mephistopheles-Zwillingspaar verwandeln. Solche theatralen Zellteilungen haben weniger damit zu tun, dass zwei Seelen, ach, in Faustens Brust schlagen, sondern dass wir im Zeitalter des Job-Sharing leben. Bitte nicht zu viel Gefühl: wenn man einen Text im Chor spricht, kann Rührseligkeit erst gar nicht aufkommen.
Und so ist Faust auch kein abgedrehter Obskurantist, kein von Selbstzweifeln angenagter Größenwahnsinniger und Sinnsucher, sondern, zumindest am Anfang, ein völlig vergesellschaftetes Wesen: er tritt uns nur als marxologisches Kollektiv, als Kader entgegen - Faust, das sind drei offenbar abgewickelte DDR-Intellektuelle, dem Anschein nach eher Angehörige einer begrenzt phantasiefähigen technischen Intelligenz, die in staubgrauen Lederjacken Text vortragen, vorlesen, deklamieren, an der Rampe sprechen.
Das kann ja heiter werden - braves altes DDR-Theater, das in die Globalisierung gefallen ist. Drei faustische Arbeitslose in einer leeren, demontierten Fabrikhalle, von der die Farbe blättert, Milchglasfenster, Rost und Dreck. Drei leptosome Menschlein, die alsbald chorisch herumzuhüpfen beginnen wie ein enthemmtes Managerseminar bei dubiosen Psycho-Übungen.
Aber so schlimm wird es dann gar nicht. Zwar ist auch der Wagner nur ein netter Hausmeister, Auerbachs Keller ist gestrichen, es gibt keine wirkliche Walpurgisnacht, die Magie taucht als fernseh-tauglicher Zauber-Trick, als Mätzchen auf, indem die Mephisti den Faust über dem Boden schweben lassen, Marthe Schwerdtlein ist eine dralle Witwe im Jeansrock, die kreischend durch die Betten taumelt - aber all das wird aufgefangen durch den Faust des Sebastian Röhrle, der ganz vorsichtig, forschend, wie ein Zuschauer durch den Text geht.
Röhrle ist ein Anti-Mime, auf sehr angenehme Weise: von der Regie-Assistenz zur Schauspielerei gekommen, ist ihm jedes Virtuosentum fremd. Er denkt die Rolle, er sucht. Er misst sie aus.
Zwar muss das so genannte Geistige des Stücks bei Hasko Weber immer mit Dosenbier abgelöscht werden, ein Programm der Profanierung heiliger Texte, ein DDR-graues Requiem, aber das Stück behauptet sich gegen alle Vordergründigkeiten, auch wenn ein sozial deklassiertes Gretchen im Aldi-Thermomantel gleich Apfel-knabbernd die Bühne betritt.
Goethes Schwäche für das Geld ist von dem Germanisten Jochen Hörisch ausführlich erforscht worden, und auch Hasko Webers Faust ist angeblich vom Mammon fasziniert: das Geld sei der wirkliche Geist der Dinge, behauptet die Inszenierung. Als Gewährsmann zitiert das Programmheft den russischen Mathematiker Boris Beresowski, der als Autofabrikant und Fernsehtycoon erfuhr, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Allein: den Faust des Sebastian Röhrle scheint anderes zu bewegen. Der steht flackernden Blicks da und muss bis zur Hüfte ins Kneipp-Bad, um seinen Trieb abzukühlen. Und wenn er seinen sophistischen Slalom fährt bei der Frage, wie er’s denn mit der Religion halte, hat er gerade mal ein Kissen vor dem nackten Geschlecht.
Das Gretchen der erstaunlichen Mandy Rudski beginnt lustlos, spielt dann das Mädchenhaft-Naive der Figur schön aus und springt in einem verzweifelten Finale immer wieder vom Waschbecken, um auf diese üble Art ihr Kind abzutreiben. Vertikal-Dramaturgie: Faust wird per Zaubertrick erhoben, Gretchen fällt.
Der intellektuelle Zweikampf Faust-Mephisto findet nicht statt - das ist der Preis, den der Regisseur für die Doppelbesetzung der Mephisto-Rolle zahlt. Bernhard Conrad und Bijan Zamani kommen nie über die pure Textproduktion hinaus, auch wenn die beiden russische Einkaufstüten bei sich haben, per Reggae-Musik alte Voodoo-Kulte herbeiassoziieren oder sich zeitweise wie eine mafiöse Gang gerieren, die Gretchen die Brillanten im Geldkoffer herbeischafft.
Hasko Weber hat sich nicht entscheiden können, was er nun erzählen will: Faust als proletarisierten Mafia-Thriller, als Mannschafts-Sport in der Globalisierung, oder Faust als Intellektuellen-Tragödie? Faust als graues DDR-Märchen der Post-Wende-Zeit, oder Faust als Liebesdrama eines gehemmten Homo faber?
Hasko Weber inszeniert von allem ein bisschen, und er lässt auch geographisch alles offen: Cary Gaylers schmutzige Fabrikhalle könnte in den hitzestarrenden amerikanischen Südstaaten ebenso stehen wie im kalten Ostblock. So hinterlässt der Abend einen durchaus goethischen Nachgeschmack: den der Ambivalenz. Zum Beginn einer Intendanz ist das nicht falsch: hier stehen viele Wege offen.
Es wird ausgemistet am Stuttgarter Staatstheater. Keine höheren Ziele mehr, sondern Verwaltung der trüben Realität. Sparzwang allerorten. Ein Großteil des Goethe-Texts ist gestrichen, dafür haben wir anfangs drei Fäuste, von denen sich zwei alsbald in ein Mephistopheles-Zwillingspaar verwandeln. Solche theatralen Zellteilungen haben weniger damit zu tun, dass zwei Seelen, ach, in Faustens Brust schlagen, sondern dass wir im Zeitalter des Job-Sharing leben. Bitte nicht zu viel Gefühl: wenn man einen Text im Chor spricht, kann Rührseligkeit erst gar nicht aufkommen.
Und so ist Faust auch kein abgedrehter Obskurantist, kein von Selbstzweifeln angenagter Größenwahnsinniger und Sinnsucher, sondern, zumindest am Anfang, ein völlig vergesellschaftetes Wesen: er tritt uns nur als marxologisches Kollektiv, als Kader entgegen - Faust, das sind drei offenbar abgewickelte DDR-Intellektuelle, dem Anschein nach eher Angehörige einer begrenzt phantasiefähigen technischen Intelligenz, die in staubgrauen Lederjacken Text vortragen, vorlesen, deklamieren, an der Rampe sprechen.
Das kann ja heiter werden - braves altes DDR-Theater, das in die Globalisierung gefallen ist. Drei faustische Arbeitslose in einer leeren, demontierten Fabrikhalle, von der die Farbe blättert, Milchglasfenster, Rost und Dreck. Drei leptosome Menschlein, die alsbald chorisch herumzuhüpfen beginnen wie ein enthemmtes Managerseminar bei dubiosen Psycho-Übungen.
Aber so schlimm wird es dann gar nicht. Zwar ist auch der Wagner nur ein netter Hausmeister, Auerbachs Keller ist gestrichen, es gibt keine wirkliche Walpurgisnacht, die Magie taucht als fernseh-tauglicher Zauber-Trick, als Mätzchen auf, indem die Mephisti den Faust über dem Boden schweben lassen, Marthe Schwerdtlein ist eine dralle Witwe im Jeansrock, die kreischend durch die Betten taumelt - aber all das wird aufgefangen durch den Faust des Sebastian Röhrle, der ganz vorsichtig, forschend, wie ein Zuschauer durch den Text geht.
Röhrle ist ein Anti-Mime, auf sehr angenehme Weise: von der Regie-Assistenz zur Schauspielerei gekommen, ist ihm jedes Virtuosentum fremd. Er denkt die Rolle, er sucht. Er misst sie aus.
Zwar muss das so genannte Geistige des Stücks bei Hasko Weber immer mit Dosenbier abgelöscht werden, ein Programm der Profanierung heiliger Texte, ein DDR-graues Requiem, aber das Stück behauptet sich gegen alle Vordergründigkeiten, auch wenn ein sozial deklassiertes Gretchen im Aldi-Thermomantel gleich Apfel-knabbernd die Bühne betritt.
Goethes Schwäche für das Geld ist von dem Germanisten Jochen Hörisch ausführlich erforscht worden, und auch Hasko Webers Faust ist angeblich vom Mammon fasziniert: das Geld sei der wirkliche Geist der Dinge, behauptet die Inszenierung. Als Gewährsmann zitiert das Programmheft den russischen Mathematiker Boris Beresowski, der als Autofabrikant und Fernsehtycoon erfuhr, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Allein: den Faust des Sebastian Röhrle scheint anderes zu bewegen. Der steht flackernden Blicks da und muss bis zur Hüfte ins Kneipp-Bad, um seinen Trieb abzukühlen. Und wenn er seinen sophistischen Slalom fährt bei der Frage, wie er’s denn mit der Religion halte, hat er gerade mal ein Kissen vor dem nackten Geschlecht.
Das Gretchen der erstaunlichen Mandy Rudski beginnt lustlos, spielt dann das Mädchenhaft-Naive der Figur schön aus und springt in einem verzweifelten Finale immer wieder vom Waschbecken, um auf diese üble Art ihr Kind abzutreiben. Vertikal-Dramaturgie: Faust wird per Zaubertrick erhoben, Gretchen fällt.
Der intellektuelle Zweikampf Faust-Mephisto findet nicht statt - das ist der Preis, den der Regisseur für die Doppelbesetzung der Mephisto-Rolle zahlt. Bernhard Conrad und Bijan Zamani kommen nie über die pure Textproduktion hinaus, auch wenn die beiden russische Einkaufstüten bei sich haben, per Reggae-Musik alte Voodoo-Kulte herbeiassoziieren oder sich zeitweise wie eine mafiöse Gang gerieren, die Gretchen die Brillanten im Geldkoffer herbeischafft.
Hasko Weber hat sich nicht entscheiden können, was er nun erzählen will: Faust als proletarisierten Mafia-Thriller, als Mannschafts-Sport in der Globalisierung, oder Faust als Intellektuellen-Tragödie? Faust als graues DDR-Märchen der Post-Wende-Zeit, oder Faust als Liebesdrama eines gehemmten Homo faber?
Hasko Weber inszeniert von allem ein bisschen, und er lässt auch geographisch alles offen: Cary Gaylers schmutzige Fabrikhalle könnte in den hitzestarrenden amerikanischen Südstaaten ebenso stehen wie im kalten Ostblock. So hinterlässt der Abend einen durchaus goethischen Nachgeschmack: den der Ambivalenz. Zum Beginn einer Intendanz ist das nicht falsch: hier stehen viele Wege offen.