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FDP-Chef Lindner zum Tode Kohls
"Auftrag an die jüngere Generation, das politische Erbe anzunehmen"

Helmut Kohl habe eine ganze Generation geprägt, sagte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner im Dlf. Seine Politik habe dazu geführt, dass wir in einem Europa leben, das ein Raum der Freiheit sei, ohne Grenzen. "Und wir müssen genau das bewahren." Europa sei keine Selbstverständlichkeit.

Christian Lindner im Gespräch mit Stefanie Rohde |
    Christian Lindner (FDP)
    Christian Lindner (FDP): "Helmut Kohl hat eine ganze Generation geprägt." (picture alliance / dpa )
    Stefanie Rohde: Helmut Kohl wird als Kanzler der Einheit in die Geschichtsbücher eingehen. Sein Vermächtnis bleibt aber auch das konsequente Eintreten für die europäische Einigung. Das wurde ja oft betont, seit gestern Abend bekannt geworden ist, dass Helmut Kohl im Alter von 87 Jahren gestorben ist.
    16 Jahre lang war Helmut Kohl Bundeskanzler, in einer Koalition mit der FDP, auch dank der FDP. Manchmal hat es zwischen ihm und den Liberalen gekracht, oft haben sich die Liberalen auf Kosten der Union profilieren können, so hat es der Altkanzler in seinen Memoiren festgehalten. Aber Kohl wusste, was er an den Liberalen hatte, bis zum bitteren Ende 1998 blieben die CDU/CSU und der kleinere Partner treu zusammen. Wie hat Helmut Kohl die FDP geprägt? Darüber habe ich gestern am späten Abend mit Christian Lindner gesprochen, dem Vorsitzenden der Liberalen.
    Christian Lindner: Hallo, Frau Rohde, ich grüße Sie.
    Rohde: Sie sind ja noch gar nicht so alt. Was ist denn Ihre eindrücklichste Erinnerung an Helmut Kohl?
    "Europa ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Auftrag"
    Lindner: Natürlich die persönliche Begegnung. Die letzte war vor, ich glaube, drei Jahren, als ich ihn in seinem Haus besucht habe. Und ich erinnere in der Tat einen leidenschaftlichen Europäer, der voller Sorge nach Großbritannien geschaut hat und an diesem Nachmittag prognostiziert hat, dass die Briten ausscheiden würden. Und das sind die Gedanken, die ich jetzt habe. Mit Helmut Kohl und vor Jahresfrist etwa Hans-Dietrich Genscher sind zwei unserer leidenschaftlichen Europäer in Deutschland gegangen. Und das ist gleichzeitig ein Auftrag an eine jüngere Generation, dieses politische Erbe anzunehmen, Europa nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Auftrag zu begreifen.
    Rohde: Als Sie in die Politik gekommen sind, welche Rolle hat Helmut Kohl da gespielt, wie haben Sie ihn da wahrgenommen?
    Lindner: Helmut Kohl hat eine ganze Generation geprägt. Ich bin Jahrgang 1979, und wer Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre geboren worden ist, der hat bis man das Wahlrecht das erste Mal ausüben konnte, keinen anderen Kanzler erlebt. Das prägt natürlich das politische Bewusstsein. Die einen haben ihn verehrt, die anderen haben sich an Birne, wie damals Satirezeitschriften geschrieben haben oder auch der politische Gegner gesagt hat, gerieben. Ich war eher bei denen, die beeindruckt waren von der im wahrsten Sinne des Wortes Statur dieses Kanzlers, wenngleich für meine politischen Grundüberzeugungen die andere, die liberale Partei wichtiger war.
    Rohde: Die FDP ist ja aus einer sozialliberalen Koalition übergegangen, hat Helmut Kohl ins Amt geholfen. Und in den folgenden Jahren wurde die FDP ja als Anhängsel Kohls wahrgenommen. Wie haben Sie die FDP da erlebt, also in diesem Verhältnis von Koch und Kellner, wenn man so möchte?
    "Meine Partei hat sich in den 1990er-Jahren im Regierungshandeln konzeptionell erschöpft"
    Lindner: Na, das war ja durchaus eine Entwicklung. Zunächst mal war die FDP kein Anhängsel, sondern durch die Bonner Wende wurde die Kanzlerschaft von Helmut Kohl überhaupt erst ermöglicht. Helmut Schmidt hatte in seiner SPD die Unterstützung in der Sicherheitspolitik, Stichwort NATO-Doppelbeschluss, verloren und er war nicht mehr in der Lage, eine Wirtschafts- und Haushaltspolitik zu machen, die die Wirtschaftskrise am Anfang der 80er-Jahre überwinden konnte. Beides war dann durch die Bonner Wende möglich und in den 80er-Jahren haben beide Partner ja auch sehr erfolgreich regiert. 1990 wäre der Haushalt ausgeglichen gewesen, in den 80er-Jahren gab es eine tiefgreifende Steuerreform, die Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts ist erreicht worden und eben die Deutsche Einheit. Nur, meine Partei hat sich dann in den 1990er-Jahren im Regierungshandeln konzeptionell erschöpft. Mitte der 1990er-Jahre stellte sich dann die Frage danach, warum es überhaupt eine FDP noch gibt. Insofern war das eine Entwicklung, aus der man lernen muss für die Zukunft, dass man partnerschaftlich zusammenarbeiten muss. Dafür stand Helmut Kohl, er war immer ein Anhänger der Idee, dass auch ein kleinerer Koalitionspartner Raum für das eigene Profil braucht. Aber man muss eben die Eigenständigkeit über diese partnerschaftliche Zusammenarbeit pflegen.
    Rohde: Sie haben gesagt, dass die FDP konzeptionell verbraucht war, in dem Sinne. Wenn man jetzt mal auf die 90er-Jahre schaut, also zum Ende der Koalition 1998, wie war da die Stimmung in der FDP? Also, war da wirklich so was zu spüren von einer Erleichterung, dass es jetzt möglicherweise einen Neuanfang gibt und die Partei sich neu erfinden kann, selbstständiger werden kann?
    "Für beide Parteien war es keine leichte Zeit, in die Opposition zu gehen"
    Lindner: Nein, das würde ich so nicht sagen. Der Neuanfang war schon in der FDP vorher gemacht und übrigens auch in der damaligen schwarz-gelben Regierung Kohl-Kinkel. Ab 1996 ist dort ja eine ganz andere Politik verfolgt worden nach so einer Phase eben der Erschöpfung. Mitte der 90er-Jahre gab es dann noch mal einen Reformimpuls, wenngleich diese Reformen nicht mehr haben umgesetzt werden können durch die Blockade des Bundesrates. Der SPD-Vorsitzende hieß damals Lafontaine und im Grunde gab es nach 1996 bis 98 überhaupt keine Bewegung mehr, weil der Bundesrat blockiert hat. Übrigens auch eine große Steuerreform. Die gab es dann erst unter Rot-Grün mit einem Finanzminister Eichel nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine von den Ämtern des Parteivorsitzenden der SPD und des Bundesfinanzministers. Also, es gab keine Erleichterung sozusagen, wir können aus der Verantwortung ausscheiden und müssen nicht mehr mit Helmut Kohl regieren, so erinnere ich das nicht. Eher vorher war die Katerstimmung. Für beide Parteien war es keine leichte Zeit, in die Opposition zu gehen. Wir wissen, wie der Lauf der Geschichte dann weiterging, es gab Aufs und Abs bei beiden Parteien.
    Rohde: Was verdankt die FDP heute denn noch Helmut Kohl?
    "Kohl ist der Wegbereiter der europäischen Integration"
    Lindner: Helmut Kohl hat partnerschaftlich mit uns zusammengearbeitet. Mir hat Hans-Dietrich Genscher erzählt, dass es immer in der Zusammenarbeit eine Bereitschaft bei ihm gab, der FDP Punkte zu geben, also Dinge, wo sie auch ihren Gestaltungsanspruch zeigen kann. Und im Umkehrschluss konnte man sagen: Gut, wir haben Respekt davor, dass natürlich eine Partei wie die CDU dann auch in der Sache ihre roten Linien hat und ihre Profilpunkte machen muss. Anders funktioniert nach meinem Eindruck eine Koalition auch nicht. Wenn versucht wird, den einen unterzubuttern, oder versucht wird, den anderen zu erpressen, dann ist das keine Regierung, die stabil ist und die bei den Menschen Vertrauen wecken kann.
    Rohde: Wenn wir noch mal kurz über die FDP hinausschauen, was würden Sie sagen, was sind die großen Errungenschaften von Kohl, die bleiben?
    Lindner: Helmut Kohl ist der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl ist der Wegbereiter der europäischen Integration. Unvergessen sind die Bilder von ihm und François Mitterrand, von ihm und auch Ronald Reagan im transatlantischen Verhältnis, seine Freundschaft zu Michail Gorbatschow. All das hat dazu geführt, dass wir heute in einem Europa leben, in dem wir leben, einem Raum der Freiheit, ohne Grenzen. Und wir müssen genau das bewahren und über Europa hinaus bewahren, dass wir ein transatlantisches Verhältnis erhalten müssen, das nicht gegen Russland gerichtet ist, sondern das eher Züge einer kollektiven Sicherheit trägt. Das ist dieses Vermächtnis der Generation Kohl-Genscher-Schmidt, und das nimmt uns alle heute in die Verantwortung.
    Rohde: Das sagt Christian Lindner, Vorsitzender der FDP. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben für das Gespräch!
    Lindner: Ich danke Ihnen, Frau Rohde!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.