Dienstag, 30. April 2024

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Fricke: Bundestagswahl war ein "Tiefschlag"

Die Abwahl der FDP bei der Bundestagswahl hat Otto Fricke nicht verwundert, so der Beisitzer im FDP-Bundesvorstand im DLF. Nun müsse überlegt werden, wie die Inhalte der Partei wieder so nach vorne gebracht werden könnten, dass es in vier Jahren wieder klappe.

Otto Fricke im Gespräch mit Christiane Kaess | 31.12.2013
    Christiane Kaess: Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Deutschen eine Partei aus dem Bundestag gewählt haben. Und wenn man an den Abenden danach in Talkshows FDP-Politiker sah, so hatte man den Eindruck, sie könnten es selbst noch nicht richtig glauben, was da passiert war, obwohl es sich schon länger andeutete. Die ständigen Personalquerelen, die offenen Anfeindungen gegenüber dem damaligen Parteichef Philipp Rösler, und nicht zuletzt Umfragen ließen vermuten, für die Liberalen könnte es nicht mehr reichen, noch einmal in den Bundestag zu kommen. Jetzt will sich die Partei neu aufstellen unter dem neuen Vorsitzenden Christian Lindner. "Nach vorne blicken" heißt jetzt die Devise. Am Telefon ist Otto Fricke, Beisitzer im Bundesvorstand seiner Partei. Er war ihr Bundesschatzmeister und einer der Parlamentarischen Geschäftsführer. Guten Morgen!
    Otto Fricke: Einen besinnlichen Silvestermorgen!
    Kaess: Herr Fricke, wie haben Sie denn den 22. September, also den Tag der Bundestagswahl erlebt?
    Fricke: Ja, trotz aller Vorahnungen schon als einen Tiefschlag, den man dann auch noch über Wochen spürt, und wo man immer noch, selbst nach Monaten, das Gefühl hat, irgendwas ist da passiert, was so nicht hätte sein sollen, was man aber als Demokrat schlicht so akzeptieren muss.
    Kaess: Wo waren Sie und mit wem waren Sie zusammen?
    Fricke: Ich war an dem Morgen, weiß ich noch, mit meinen Kindern unterwegs, weil ein Hockeyspiel mal wieder anstand, bin dann nach Berlin geflogen, wo meine Frau schon war, und war dann sowohl mit den Freunden aus dem Präsidium als auch mit anderen Parteifreunden unterwegs; hatte dann – man kriegt ja als Politiker schon so gegen 16 Uhr die ersten Linien, die es gibt, so wie Sie als Journalisten ja auch –, und wusste schon, wo die Richtung hingeht. Ich hatte dann noch die Aufgabe, live eine halbe Stunde im niederländischen Fernsehen das zu kommentieren, was zur Verarbeitung ganz gut war, aber was auch dazu geführt hat, dass man natürlich über den Abend Stück für Stück erst realisierte, was das nun alles bedeuten würde.
    Kaess: Sie haben es schon angesprochen, das Ergebnis hat sich abgezeichnet. Hat es Sie dennoch verwundert?
    Fricke: Nein. Das mag jetzt komisch klingen, und jeder wird sagen, ja klar, dass der Fricke das jetzt sagt – nein, es war eine gewisse Entwicklung, wobei man dann eben immer fragen muss, wenn so etwas kommt, weniger, wer ist daran schuld, sondern eher die Frage zu stellen, was hab ich falsch gemacht, und sich die Frage zu stellen, wie kann man so etwas in Zukunft verhindern. Denn Demokratie heißt ja nicht, dass man "dauerhaft abgewählt" ist, sondern heißt, für vier Jahre in dem Fall ist man nicht im parlamentarischen Spiel dabei und muss jetzt genau gucken, wie man die Inhalte, die übrigens weniger kritisiert worden sind als das Verhalten und manchmal das Personal, so nach vorne bringt, dass es wieder klappt. Und das ist die Aufgabe der neuen Führung, der ich als Bundesvorstandsmitglied dann eben auch angehöre.
    Kaess: Dann frage ich Sie jetzt also nicht nach der Schuld, sondern eher: Auf wen waren oder sind Sie sauer?
    "Suche nicht nach dem Schuldigen, sondern löse das Problem"
    Fricke: Gar nicht. Also, das mag komisch klingen, aber ich finde, und das ist auch mein Lebensmotto, suche nicht nach dem Schuldigen, sondern löse das Problem.
    Kaess: Aber das heißt doch, keiner hat Fehler gemacht, Herr Fricke?
    Fricke: Doch. Doch, das heißt im Zweifel, dass – nein, nein, nein, nein. Demokratie ist ein Zuspiel, das ist wie beim Fußball. Die Behauptung, wenn du den Trainer rausschmeißt, dann ist alles wieder gut, ist genau so falsch wie die Behauptung, die jetzt viele gemacht habe, na ja, wenn es der Spitzenkandidat nicht mehr ist, dann ist alles klar, oder wenn es der Parteivorsitzende ist, dann ist alles klar. Das ist mir zu einfach. Sondern man muss sich fragen, an welcher Stelle hätten wir – und das ist die Konsequenz, die ich für mich persönlich jetzt über die Monate gezogen habe – klarer Position beziehen, öfters auch mal sagen müssen, nein, mit uns nicht – denn auch das muss man im Umgang mit der CDU/CSU klar sagen. Da wird so lange gedrückt, bis man entweder "im Kompromiss nachgibt" oder aber man muss an der Stelle seine eigene Position finden.
    Und das andere ist, und das sieht man deutlich, wir leben in einer Zeit, die immer komplexer und komplizierter wird, und dann ist es für viele Bürger und Wähler sehr, sehr wichtig, Vertrauen zu haben. Und Vertrauen habe ich nicht in Institutionen, auch nicht übrigens so sehr in Parteien, sondern in Personen, in Menschen. Vertrauen ist ein zwischenmenschliches Gefühl. Und das sind für mich die beiden Punkte, sowohl die Frage einer klaren Zuverlässigkeit als auch die Frage eines persönlichen menschlichen Vertrauens, die für die Zukunft, nicht nur für meine Partei, aber auch für andere Parteien sehr wichtig sind. Die CDU/CSU profitiert in der Person der Kanzlerin davon im Moment besonders stark.
    Kaess: Aber also, es hat bei der FDP doch an den Personen gelegen.
    Fricke: Ja, natürlich auch. Ich meine, nur noch mal: Da einen dann rauszupicken, ist falsch. Da bleib ich bei dem Fußballbeispiel. Da muss ich mich auch als Präsidiumsmitglied, als Geschäftsführer, als haushaltspolitischer Sprecher, ehemaliger, fragen: Was hast du falsch gemacht? Hättest du härter sein müssen?
    Kaess: Herr Fricke, hat es auch am Umgang miteinander gelegen?
    Fricke: Na, das ist so eine Frage, wie die Außen- und die Innensicht an der Stelle ist. Ich glaube, ja, man hat – an bestimmten Stellen hätte man immer einen besseren Umgang pflegen können. Nur, Sie finden diese Art des Umgangs in Anführungszeichen in allen Parteien. Ich erinnere daran, wie ein Kanzleramtsminister zu einem Ausschussvorsitzenden des Innenausschusses gesagt hat, dass er ein bestimmtes Körperteil von ihm nicht mehr sehen kann. Das ist eine Frage aber, wie man miteinander umgeht in der Frage des Erreichens von Zielen, und wie man es nach außen im Übrigen auch darstellt. Diskussion und manchmal auch Streit gehört dazu, aber die Fähigkeit, dann sich zu einigen, zu vertragen und gemeinsam "loszuschlagen", das ist die Kunst. Und da hat es dann wahrscheinlich gehapert.
    Kaess: Jetzt sind Sie sogenannter Liquidator der Fraktion, also einer, der die Fraktion –
    Fricke: Toller Name!
    Kaess: Ja. Also so einer, der die Fraktion abwickelt. Wie erleben Sie diese Position?
    Fricke: Also, die tut – na ja, sie tut sehr, sehr weh. Ich glaube, ich hab in meinem Leben noch nie so viele erwachsene Menschen weinen sehen wie in den ersten zwei, drei, vier Wochen nach der Wahl. Es ist auch weiterhin so, dass –
    Kaess: Was sagen Sie denen?
    Fricke: Na ja, man muss dann eben gucken. Ich glaube nicht an diese schnellen Dinge nach dem Motto, och, es wird schon alles gutgehen, aber was man dann eben tun kann, ist sich bemühen, so viel wie möglich mit Leuten zu sprechen, zu sagen, habt ihr nicht noch einen Job? Ich hab einen guten Mitarbeiter. Oder auch zu sagen, passt mal auf, Leute, wir haben da sehr gute, ich sag mal, Büroleiter, Büroleiterinnen, Sekretariatsmitarbeiter, die können das gut. Habt ihr für die einen Job, guckt doch mal. Die sind erfahren, die können das. Und dann dafür zu sorgen, dass Jobs vermittelt werden. Das ist mir mehrfach gelungen, und ich sag es mal so: Eines der schönsten Dinge um die Weihnachtszeit waren dann E-Mails von ehemaligen Mitarbeitern der Fraktion, also von Abgeordneten, die sich bedankt haben dafür, dass es geklappt hat in der Vermittlung. Wobei ich dann immer sage, es hat deswegen geklappt, weil die selber so gut waren.
    Kaess: Das hört sich nach ziemlich guten Kontakten untereinander an. Ist das auch so mit den ehemaligen Spitzenleuten Philipp Rösler und Rainer Brüderle?
    Fricke: Für mich persönlich ja. Jeder muss da selber wissen – und die Behauptung, dass alle in einer Partei und in einer Fraktion, alle miteinander Freunde sind, die ist falsch. Aber man hat viele Freunde da. Und das sag ich für mich persönlich, das gilt für mich für sowohl Philipp Rösler als auch Rainer Brüderle. Das sind beides Menschen, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet habe, deren Macken ich kennengelernt habe, die meine Macken kennengelernt haben, und da bleibt man dann auch im Kontakt, aber nicht so nach dem Motto, pass mal auf, ich ruf dich jetzt jeden Tag an und frag dich, wie es dir geht. Das ist, glaube ich, nicht richtig, sondern man muss gucken, wie geht es weiter, und gerade in der Funktion des Liquidators immer wieder zu gucken, wie schaffen wir das jetzt, das ordentlich abzuwickeln, wie schaffen wir es, das, was an gesetzlichen Anforderungen an uns rankommt, hinzukriegen. Und da kann man es auch nicht immer jedem recht machen, und da ist dann noch einiges an Kommunikation nötig.
    Kaess: Seit Monaten wird Deutschland vom NSA-Abhörskandal erschüttert. Warum ist es der FDP als Partei der Bürgerrechte nicht gelungen, daraus massiv Kapital zu schlagen?
    Fricke: Na ja, es ist, wenn man ja mal genauer guckt, keiner Partei richtig gelungen. Die Grünen, die von sich sagen …
    Kaess: Aber das wäre doch Ihr Thema gewesen!
    "Ich habe noch nie so viele erwachsene Menschen weinen sehen wie in den ersten Wochen nach der Wahl"
    Fricke: Ja. Ja, ist richtig, es wäre unser Thema gewesen, die Piraten [Anmerkung der Redaktion: Wort nicht verständlich]. Wir haben bei der Frage NSA und insbesondere beim Datenschutz das riesige Problem, dass a) viele in einer sozusagen Habachtstellung sind, die sagen, es passiert doch eh, wir können doch eh nichts machen. Und das Zweite ist, und da stimme ich dem Datenschutzbeauftragten ausdrücklich zu: Die Lösungen, die wir da finden werden, werden wir national nicht mehr finden, insbesondere, wenn wir sehen, wie in den USA, man schaue sich nur das neueste Urteil zur NSA an, die Meinung ist, dass man im Ausland machen könne, was man wolle. Und hier das Thema, so wichtig es ist, nach oben zu bringen, war eben sehr, sehr schwer, und ich sag mal so, schauen Sie sich im Archiv des Deutschlandfunks an, wie oft dieses Thema Thema war, und wenn, dann die Frage war, was kann man machen …
    Kaess: Man hätte doch, abgesehen von den Fakten, sich zumindest als FDP von der Union distanzieren können. Es gab ja wirklich ein schlechtes Management. Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat im Sommer schon den Fall für erledigt erklärt. Da kam kaum was von der FDP.
    Fricke: Stimme ich Ihnen vollkommen zu. Wobei, dieser Vorwurf kommt immer wieder, den kriege ich auch in Mails und in anderen Anfragen, und wenn ich dann mit zwei, drei Links auf das verweise, was die Justizministerin in ihrer Funktion als Justizministerin am laufenden Band, täglich, wöchentlich zu diesem Thema rausgegeben hat, dann kann man sehen, nein, es ist nicht so gewesen, dass da nichts passierte. Dasselbe galt für den Fraktionsvorsitzenden, für den Parteivorsitz.
    Die Frage ist, und das ist ja die, die wir jetzt auch sehen: Jetzt haben wir drei Monate lang mehr oder weniger eine Zeit gehabt, wo ja auch schon was hätte passieren können, und die neue Koalition hätte ja auch schon konkrete Schritte ankündigen können. Sie merkt aber genauso, und wir sehen das an der aktuellen Diskussion, dass sie in der Frage, was sie machen kann, durch nationale Maßnahmen relativ hilflos ist. Und ich bin sehr gespannt, was da rauskommt.
    Kaess: Sagt der FDP-Politiker Otto Fricke, heute Morgen bei uns live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Fricke!
    Fricke: Ich danke und wünsche ein gutes Jahr 2014!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.