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Feilschen um die Endlager-Kriterien

Der Bund und das Land Niedersachsen haben sich darauf geeinigt, Gorleben bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager nicht grundsätzlich auszuschließen. Damit sei die Endlagersuche erneut eine politische Entscheidung, kritisiert der Atomkraftgegner Jochen Stay.

Jochen Stay im Gespräch mit Friedbert Meurer | 25.03.2013
    Friedbert Meurer: Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben – drei Dörfer, drei Orte, die für die großen Auseinandersetzungen um die zivile Nutzung der Atomkraft in Deutschland stehen. Jahrelang wurden heftige Schlachten geschlagen zwischen Demonstranten und Polizei. Der Konflikt um die Atomkraft hat Deutschland lange Zeit erschüttert. Jetzt steigt Deutschland aus, der Konflikt dreht sich aber noch um die Frage, was wird aus dem strahlenden Erbe der Atomkraft, dem Atommüll. Bund und Niedersachsen, wo drei von vier Lagerstätten liegen, haben sich gestern auf ein sogenanntes Endlagersuchgesetz geeinigt. Noch vor der Sommerpause soll es verabschiedet werden.
    Was sagen die Gegner von Gorleben? Was sagen diejenigen, die jahrelang, jahrzehntelang demonstriert haben, um das Endlager in Gorleben zu verhindern? Jochen Stay ist der Sprecher der Anti-Atomkraft-Organisation "Ausgestrahlt". Guten Tag, Herr Stay.

    Jochen Stay: Guten Tag!

    Meurer: Hat es sich ausgestrahlt in Gorleben?

    Stay: Na ja, diese Entscheidung ist ja nun vertagt. Gorleben bleibt erst mal weiter im Topf, von daher haben Wenzel und Weil nicht gehalten, was sie versprochen haben. Und ich glaube, mit dem, was da gestern verabredet wurde, ist weiterhin alles möglich, weil es wird ja sozusagen parallel vorgegangen. Einerseits soll der Bundestag schon ein Gesetz beschließen, aber andererseits wird eine Kommission eingesetzt, die überhaupt erst festlegen soll die Antworten, die aber dieses Gesetz jetzt schon liefert, und das ist ein Widerspruch, der für mich noch keinen Sinn macht an der Stelle.

    Meurer: Herr Stay, ist wirklich alles noch möglich?

    Stay: Na ja, da sollen jetzt Kriterien in dieser Kommission entwickelt werden, und wir wissen aus der Vergangenheit, dass solange Gorleben im Topf ist, diese Kriteriendebatte natürlich immer so geführt wird, dass die einen wissen, wenn ich mit dem Kriterium mich durchsetze, dann ist Gorleben raus und mit dem Kriterium bleibt Gorleben drin. Von daher ist das kein guter Weg, um wirklich zu Regelungen zu kommen, die insgesamt für eine bundesweite neue Suche dann tauglich sind.

    Meurer: Andererseits: Wenn man jetzt Gorleben von vornherein ausgeschlossen hätte, dann wäre genau das eingetreten, was eben kurz von der Kollegin Budde gesagt wurde. Dann wäre aus politischen Gründen Gorleben vor 35 Jahren eingeführt worden und aus politischen Gründen wieder rausgenommen worden und nicht aus sachlichen Erwägungen.

    Stay: Das ist nicht richtig. Es gibt die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe, das sind die Experten in einer Bundesbehörde für Geologie in diesem Land, die haben bereits Mitte der 90er-Jahre Salzstöcke untersucht auf ihre Tauglichkeit für ein Atommüll-Endlager und haben dort Kriterien angewendet, die in der Fachwelt als die richtigen gelten, und nach diesen Kriterien würde Gorleben ausscheiden. Also das ist bereits untersucht und von daher gibt es da Ergebnisse, und wenn man die anwendet, dann ist es vorbei. Und dass Gorleben jetzt immer noch mit drin ist, ist ja jetzt wieder auch eine politische Entscheidung.

    Meurer: Was werden Ihre Leute jetzt tun, weiter demonstrieren?

    Stay: Ich glaube, wichtig ist schon diese Idee dieser Enquete-Kommission, bei der sozusagen Politik und Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft wirklich gemeinsam und vor allem öffentlich – bisher war ja alles sehr intransparent, die Verhandlungen –, also wirklich öffentlich gemeinsam versuchen, ein Verfahren zu entwickeln, Kriterien zu entwickeln. Das unterstützen wir sehr, das haben wir auch immer gefordert. Nur macht das wirklich dann erst Sinn, wenn nicht gleichzeitig schon das Gesetz beschlossen wird. Es wurde ja gestern gesagt, das Gesetz soll dann erst mal jahrelang gar nicht zur Anwendung kommen, sondern erst wenn die Kommission fertig ist. Aber es fehlt ja jede Zusage, dass die Ergebnisse dieser Kommission dann auch eine Verbindlichkeit haben, sondern der Bundestag könnte dann wieder sagen, nein, wir lassen einfach das Gesetz so, wie es ist.

    Meurer: Ist das plausibel, diese Erwartung?

    Stay: Na ja, es könnte an der Stelle passieren, dass diese Enquete-Kommission nur eingerichtet wurde, damit Niedersachsen jetzt Ja sagt, aber am Ende bleibt es dann doch bei dem aus unserer Sicht sehr mangelhaften Gesetz, was jetzt dann beschlossen werden soll.

    Meurer: Nur, Herr Stay, können Sie sich vorstellen, wenn diese Enquete-Kommission zu dem Ergebnis kommt, Salzstöcke sind prinzipiell ungeeignet, dass dann der Bundestag sagt, Gorleben bleibt aber eine Option?

    Stay: Na ja, wir kommen ja so ein bisschen an eine demokratietheoretische Frage an der Stelle, dass ja immer Abgeordnete, die ihren Wahlkreis weit weg von Gorleben haben, natürlich immer eher für Gorleben sind, damit das Zeug nicht zu ihnen kommt. Und wir haben jetzt ja in den letzten Monaten in dieser Debatte erlebt, dass am Ende doch eher parteitaktische Überlegungen eine größere Rolle spielen als wirklich wissenschaftliche Fragen. Und wenn man nun schon so eine Kommission einrichtet und sagt, man will wirklich einen gesellschaftlichen Konsens, dann sollte man diese Kommission auch ernst nehmen und nicht gleichzeitig schon ein Gesetz beschließen. Was spricht denn dagegen, die Ergebnisse abzuwarten und dann wirklich gemeinsam eine Regelung so umzusetzen, was diese Kommission, in der die Politik ja mit drinsitzt., die Bundesregierung, Landesregierung, die Parteien, was diese Kommission im Konsens beschlossen hat. Das ist unsere klare Forderung jetzt an der Stelle, nicht ein falsches Gesetz zu beschließen, sondern abzuwarten, was hier das Ergebnis der Kommission ist.

    Meurer: Also Herr Stay, Sie glauben, alle anderen in Deutschland werden sozusagen mauern, Mauern hochziehen und sagen, bei uns nicht?

    Stay: Ja, das haben wir immer wieder erlebt an der Stelle und von daher ist das Vertrauen nicht besonders groß, und diese Kommission ist die Möglichkeit, das zu überwinden, weil man hier wirklich mit allen, die verschiedene Interessen haben, versucht, einen Ausgleich zu finden. Aber wenn man es sozusagen wieder rein dem Spiel der Parteien überlässt, ich glaube, dann wird das nicht gelingen.

    Meurer: Nun muss der Atommüll ja irgendwo hin. Würden Sie damit einverstanden sein, wenn der Atommüll in Deutschland eingelagert wird, endgelagert wird an einer Stelle, die von der Enquete-Kommission für sicher erachtet wird?

    Stay: Am Ende muss das so sein. Das wird kein sicherer Platz sein, sondern das wird der am wenigsten unsichere Platz sein, und ich glaube, da wird auch verkannt, dass wir inzwischen als Anti-Atom-Initiativen eine ganz andere Rolle haben in dieser Debatte. Wir sind nicht die, die das verhindern wollen, sondern wir sind die, die gerade sehr darauf drängen, ein Verfahren zu finden, was wirklich zu einer Lösung führt und was wirklich diesen Konflikt überwindet. Deswegen ist diese Kommission eine tolle Idee. Aber dann muss man ihr auch die Verbindlichkeit zugestehen, dass das wirklich dann ein tragfähiger Konsens wird, und nicht jetzt gleichzeitig schon dieses Gesetz, was wirklich eine ganze Reihe Mängel hat, trotzdem in Kraft setzen. Das macht aus unserer Sicht keinen Sinn.

    Meurer: Jochen Stay, der Sprecher der Anti-Atom-Bewegung "Ausgestrahlt", zur Einigung zwischen Bundesregierung und Niedersachsen, wie es jetzt mit Gorleben und der Endlagerfrage weitergehen soll. Herr Stay, schönen Dank nach Hannover und auf Wiederhören.

    Stay: Danke auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.