"Erst einmal denke ich, generell ist es wichtig, sich mit Feindbildern auseinanderzusetzen, weil Feindbilder die 'Nomaden' sind. Die wandern durch die Systeme durch. Sie werden manchmal nur geringfügig verändert und sie bezeichnen einen neuen Feind. Und dann ist es ja ganz gut, mal zu erkennen, woher sie kommen."
Für die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Inge Marszolek sind politische Feindbilder erstaunlich anpassungsfähig. Ihre Strukturen gehen oft auf ältere Konflikte und Konstellationen zurück, die gewissermaßen die Blaupausen für aktuelle Feindkonstruktionen liefern.
"Die Hoffnung war ja, dass mit dem Ende des Kalten Krieges die Feindbilder verschwinden würden, und natürlich ist jetzt die 'rote Gefahr' - in Anführungszeichen - nicht mehr da. Aber sehr schnell kann man dann die rote Gefahr durch die gelbe Gefahr oder die arabische Gefahr ersetzen oder die Taliban oder sonst etwas."
An der Universität Bremen spürte nun eine Tagung den "Feindkonstruktionen im Kalten Krieg" nach. Historikerinnen, Sozial- und Kulturwissenschaftler warfen mithilfe der unterschiedlichen Methodiken ihrer Disziplinen einen Blick auf die "brisante zeithistorische Phase" zwischen 1945 und 1989. Dabei standen die frühen Jahre bis etwa 1968 deutlich im Vordergrund.
Das Funktionieren von Feindbildern im politischen Diskurs ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Inge Marszolek spricht von einem "schnellen Schuss ins Gehirn".
"Es muss ein Bild gefunden werden, was mit anderen Teilen kombiniert wird, was emotional aufgeladen ist, was ganz schnell in die Gehirne eindringt, und das kann es nur, wenn es Bilder hervorruft und provoziert, die wir aus den Lebenswelten kennen. Also auch, wenn es vielleicht Hinweise auf ältere Feinde gibt."
Feindbilder, Freundbilder - das wurde auf der Tagung ganz wörtlich genommen und gezielt Bildmedien - etwa Plakate, Fotos, Karikaturen und Filme - untersucht. Bilder brennen sich nämlich oft wirksamer und nachhaltiger in die Köpfe ein als verbale Zuschreibungen.
Aber welche Bilder sind geeignet, Freunde und Feinde zu identifizieren? Bisweilen wird die als ideal angesehene Bildikone einer politisch-militärischen Zuspitzung erst im Nachhinein gefunden, wie das Beispiel der Berlinblockade zeigt. Im Sommer 1948 sperrte die Sowjetunion die Transitwege nach Westberlin. Elf Monate lang versorgten daraufhin die Westalliierten ihre Sektoren über eine Luftbrücke.
In Schulbüchern und Geschichtswerken wird die Berlinblockade heute fast immer mit demselben Foto illustriert: Berliner, auf einem Schuttberg stehend, begrüßen freudig einen ankommenden amerikanischen "Rosinenbomber". Damals jedoch wurde dieses Foto nicht breit veröffentlicht. Stattdessen prangte auf der Titelseite der von den Amerikanern herausgegebenen Zeitung "Heute" das Foto einer junge Frau im Bikini beim Sonnenbad. Die Kulturwissenschaftlerin Silke Betscher:
"Bilder wie diese dienten dazu, einerseits die Bevölkerung zu beruhigen, eine Form von Normalität herzustellen über den visuellen Diskurs und eben zu zeigen: Okay, wir als amerikanische Besatzungsmacht, wir sind da, wir sorgen für Sicherheit, und in dieser Sicherheit könnt ihr ganz normalen sommerlichen Aktivitäten nachgehen."
Die Gegenseite blieb nicht untätig. Erstens veröffentlichten sowjetische und ostdeutsche Zeitungen serienweise Fotos von Binnenschiffen, die über Flüsse und Kanäle von Brandenburg aus den Ostsektor versorgten.
"Die zweite Strategie war, ganz stark die Bilder der Flugzeuge wieder zurückzubinden an ihre Bedeutung als Zeichen für den Krieg. Das wurde ganz direkt gemacht, indem eben gesagt wurde: Das ist jetzt die zweite Luftbrücke, die wir haben, und wir erinnern euch an die erste, sprich: an die Bombardierung Deutschlands durch die Amerikaner."
In einer ostdeutschen Zeitung wurde die Botschaft so zugespitzt: "Gestern Phosphor, heute Rosinen, morgen Atombomben." Aber der Holzhammer ist keineswegs die wirksamste Propagandawaffe, und der gefährlichste Feind wird von den Regierungen ohnehin im eigenen Land vermutet. Ihn zu erkennen, ist nicht einfach. Gleich zu Beginn des Kalten Krieges gerieten US-amerikanische Oppositionelle ins Visier von Kommunistenjägern wie Senator McCarthy und des "Komitees für unamerikanische Umtriebe".
"Die Zeiten waren vorbei, in denen es eine scheinbar klare Beziehung zwischen Subversivität und Fremdheit gab. Die amerikanischen Kommunisten waren eben nicht mehr im Ausland geboren, sie waren nicht mehr eindeutig zu identifizieren als die 'anderen'. Sie waren jetzt amerikanische Staatsbürger, die so aussahen wie man selbst, und diese scheinbare Maske der Normalität, hinter der sie sich zu verstecken schienen, die galt es eben herunterzureißen und zu entlarven."
Der Münsteraner Historiker Olaf Stieglitz erläuterte dies am Beispiel des 1950 wegen Spionage für die Sowjetunion verfolgten hohen amerikanischen Beamten Alger Hiss. Die Motive des inneren Feindes werden vulgärpsychologisch ausgedeutet und über die Medien verbreitet. Auch Hollywood beteiligte sich daran. Der Protagonist des Spielfilms "My Son John" von 1952 ist ein verwöhnter Sohn aus "gutem Hause", dessen Brüder tapfer in Korea kämpfen. John aber, der "Unamerikaner", ist "anders", ein verweichlichtes Muttersöhnchen ... und schwul. Warum das?
"Um die Gefährlichkeit noch einmal zu unterstreichen; und eben als Indiz für diese hochgradige Nähe zwischen politischer Devianz und vergeschlechteter, sexualisierter Devianz. Die Sprache dieser Zeit war so nah beieinander, dass es kaum noch möglich war, das wirklich klar voneinander zu unterscheiden. Und das bringt dieser Film wie kein zweiter ganz eindrucksvoll zum Ausdruck."
Nah dran an den zu "Feinden" erklärten Dissidenten diesseits und jenseits des "Eisernen Vorhangs" ist die Biografieforscherin Martina Schiebel. Die Soziologin hat 60 Männer und Frauen interviewt, die in der alten Bundesrepublik oder in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert waren. Wie haben diese Menschen Verfolgung und Inhaftierung, ihre Stigmatisierung als Feinde, verarbeitet? Für Kommunisten in der alten Bundesrepublik resümiert Schiebel:
"Es gibt eine sich abzeichnende Gemeinsamkeit, die darin besteht, dass sie sich als nicht so sehr wahrgenommen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit der Gegenwart verstehen, und sich eher als Opfer des Kalten Krieges wahrnehmen. Das ist ein ganz zentrales Muster."
Anders dagegen die in der DDR Verfolgten und Inhaftierten. Erstens siedelten viele, solange das noch möglich war, in den Westen über und fanden dort durchaus Gehör für ihre Erlebnisse.
"Zum Zweiten: Diejenigen, die nach der Inhaftierung einfach biografische Re-Interpretationsprozesse vollzogen haben und sich im Horizont der DDR dann orientiert haben, mit den entsprechenden antifaschistischen Leitbildern, Karrieren gemacht haben, und sich politisch umorientiert haben. Und die dritte Gruppe, die versucht hat, möglichst nicht aufzufallen, sich durchzuwursteln und im Prinzip versucht haben, in dem System zu funktionieren."
"Feindkonstruktionen im Kalten Krieg" war eine Tagung, die dank Interdisziplinarität neue Aspekte, zudem die europäische Dimension der Blockkonfrontation, mit einbezog. Eine Frage allerdings blieb offen: Wer waren die Fabrikanten von Feindbildern, und was ist aus ihnen geworden?
Für die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Inge Marszolek sind politische Feindbilder erstaunlich anpassungsfähig. Ihre Strukturen gehen oft auf ältere Konflikte und Konstellationen zurück, die gewissermaßen die Blaupausen für aktuelle Feindkonstruktionen liefern.
"Die Hoffnung war ja, dass mit dem Ende des Kalten Krieges die Feindbilder verschwinden würden, und natürlich ist jetzt die 'rote Gefahr' - in Anführungszeichen - nicht mehr da. Aber sehr schnell kann man dann die rote Gefahr durch die gelbe Gefahr oder die arabische Gefahr ersetzen oder die Taliban oder sonst etwas."
An der Universität Bremen spürte nun eine Tagung den "Feindkonstruktionen im Kalten Krieg" nach. Historikerinnen, Sozial- und Kulturwissenschaftler warfen mithilfe der unterschiedlichen Methodiken ihrer Disziplinen einen Blick auf die "brisante zeithistorische Phase" zwischen 1945 und 1989. Dabei standen die frühen Jahre bis etwa 1968 deutlich im Vordergrund.
Das Funktionieren von Feindbildern im politischen Diskurs ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Inge Marszolek spricht von einem "schnellen Schuss ins Gehirn".
"Es muss ein Bild gefunden werden, was mit anderen Teilen kombiniert wird, was emotional aufgeladen ist, was ganz schnell in die Gehirne eindringt, und das kann es nur, wenn es Bilder hervorruft und provoziert, die wir aus den Lebenswelten kennen. Also auch, wenn es vielleicht Hinweise auf ältere Feinde gibt."
Feindbilder, Freundbilder - das wurde auf der Tagung ganz wörtlich genommen und gezielt Bildmedien - etwa Plakate, Fotos, Karikaturen und Filme - untersucht. Bilder brennen sich nämlich oft wirksamer und nachhaltiger in die Köpfe ein als verbale Zuschreibungen.
Aber welche Bilder sind geeignet, Freunde und Feinde zu identifizieren? Bisweilen wird die als ideal angesehene Bildikone einer politisch-militärischen Zuspitzung erst im Nachhinein gefunden, wie das Beispiel der Berlinblockade zeigt. Im Sommer 1948 sperrte die Sowjetunion die Transitwege nach Westberlin. Elf Monate lang versorgten daraufhin die Westalliierten ihre Sektoren über eine Luftbrücke.
In Schulbüchern und Geschichtswerken wird die Berlinblockade heute fast immer mit demselben Foto illustriert: Berliner, auf einem Schuttberg stehend, begrüßen freudig einen ankommenden amerikanischen "Rosinenbomber". Damals jedoch wurde dieses Foto nicht breit veröffentlicht. Stattdessen prangte auf der Titelseite der von den Amerikanern herausgegebenen Zeitung "Heute" das Foto einer junge Frau im Bikini beim Sonnenbad. Die Kulturwissenschaftlerin Silke Betscher:
"Bilder wie diese dienten dazu, einerseits die Bevölkerung zu beruhigen, eine Form von Normalität herzustellen über den visuellen Diskurs und eben zu zeigen: Okay, wir als amerikanische Besatzungsmacht, wir sind da, wir sorgen für Sicherheit, und in dieser Sicherheit könnt ihr ganz normalen sommerlichen Aktivitäten nachgehen."
Die Gegenseite blieb nicht untätig. Erstens veröffentlichten sowjetische und ostdeutsche Zeitungen serienweise Fotos von Binnenschiffen, die über Flüsse und Kanäle von Brandenburg aus den Ostsektor versorgten.
"Die zweite Strategie war, ganz stark die Bilder der Flugzeuge wieder zurückzubinden an ihre Bedeutung als Zeichen für den Krieg. Das wurde ganz direkt gemacht, indem eben gesagt wurde: Das ist jetzt die zweite Luftbrücke, die wir haben, und wir erinnern euch an die erste, sprich: an die Bombardierung Deutschlands durch die Amerikaner."
In einer ostdeutschen Zeitung wurde die Botschaft so zugespitzt: "Gestern Phosphor, heute Rosinen, morgen Atombomben." Aber der Holzhammer ist keineswegs die wirksamste Propagandawaffe, und der gefährlichste Feind wird von den Regierungen ohnehin im eigenen Land vermutet. Ihn zu erkennen, ist nicht einfach. Gleich zu Beginn des Kalten Krieges gerieten US-amerikanische Oppositionelle ins Visier von Kommunistenjägern wie Senator McCarthy und des "Komitees für unamerikanische Umtriebe".
"Die Zeiten waren vorbei, in denen es eine scheinbar klare Beziehung zwischen Subversivität und Fremdheit gab. Die amerikanischen Kommunisten waren eben nicht mehr im Ausland geboren, sie waren nicht mehr eindeutig zu identifizieren als die 'anderen'. Sie waren jetzt amerikanische Staatsbürger, die so aussahen wie man selbst, und diese scheinbare Maske der Normalität, hinter der sie sich zu verstecken schienen, die galt es eben herunterzureißen und zu entlarven."
Der Münsteraner Historiker Olaf Stieglitz erläuterte dies am Beispiel des 1950 wegen Spionage für die Sowjetunion verfolgten hohen amerikanischen Beamten Alger Hiss. Die Motive des inneren Feindes werden vulgärpsychologisch ausgedeutet und über die Medien verbreitet. Auch Hollywood beteiligte sich daran. Der Protagonist des Spielfilms "My Son John" von 1952 ist ein verwöhnter Sohn aus "gutem Hause", dessen Brüder tapfer in Korea kämpfen. John aber, der "Unamerikaner", ist "anders", ein verweichlichtes Muttersöhnchen ... und schwul. Warum das?
"Um die Gefährlichkeit noch einmal zu unterstreichen; und eben als Indiz für diese hochgradige Nähe zwischen politischer Devianz und vergeschlechteter, sexualisierter Devianz. Die Sprache dieser Zeit war so nah beieinander, dass es kaum noch möglich war, das wirklich klar voneinander zu unterscheiden. Und das bringt dieser Film wie kein zweiter ganz eindrucksvoll zum Ausdruck."
Nah dran an den zu "Feinden" erklärten Dissidenten diesseits und jenseits des "Eisernen Vorhangs" ist die Biografieforscherin Martina Schiebel. Die Soziologin hat 60 Männer und Frauen interviewt, die in der alten Bundesrepublik oder in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert waren. Wie haben diese Menschen Verfolgung und Inhaftierung, ihre Stigmatisierung als Feinde, verarbeitet? Für Kommunisten in der alten Bundesrepublik resümiert Schiebel:
"Es gibt eine sich abzeichnende Gemeinsamkeit, die darin besteht, dass sie sich als nicht so sehr wahrgenommen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit der Gegenwart verstehen, und sich eher als Opfer des Kalten Krieges wahrnehmen. Das ist ein ganz zentrales Muster."
Anders dagegen die in der DDR Verfolgten und Inhaftierten. Erstens siedelten viele, solange das noch möglich war, in den Westen über und fanden dort durchaus Gehör für ihre Erlebnisse.
"Zum Zweiten: Diejenigen, die nach der Inhaftierung einfach biografische Re-Interpretationsprozesse vollzogen haben und sich im Horizont der DDR dann orientiert haben, mit den entsprechenden antifaschistischen Leitbildern, Karrieren gemacht haben, und sich politisch umorientiert haben. Und die dritte Gruppe, die versucht hat, möglichst nicht aufzufallen, sich durchzuwursteln und im Prinzip versucht haben, in dem System zu funktionieren."
"Feindkonstruktionen im Kalten Krieg" war eine Tagung, die dank Interdisziplinarität neue Aspekte, zudem die europäische Dimension der Blockkonfrontation, mit einbezog. Eine Frage allerdings blieb offen: Wer waren die Fabrikanten von Feindbildern, und was ist aus ihnen geworden?