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Feine Bande zwischen Herz und Seele

Medizin. – Im vergangenen Jahr wurde in 100.000 Fällen am Herzen operiert. Das Spektrum reicht dabei von dem Einsatz einer neuen Ventilklappe über den Bypass verengter Gefäße bis hin zur Herztransplantation, die allein immerhin rund 400 mal durchgeführt wurde. Während die Methoden immer besser und damit die Überlebenschancen für die Patienten immer größer werden, trüben allerdings diffuse Nebenerscheinungen die Erfolgsbilanz. Immer häufige berichten Experten über Depressionen oder gar kognitive Ausfälle der Operierten. Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, der noch bis Mittwoch in Leipzig stattfindet, griffen die Experten das Thema auf.

    Bei vielen lässt im Alter die Kraft der Blutpumpe nach, sei es wegen ungesunder Lebensweise oder einfach aufgrund altersbedingter Veränderungen an dem Muskel. Wenn Medikamente dabei versagen, bleibt oft immer noch der Weg über einen korrigierenden Eingriff. Seit langem gehören solche Operationen zur Routine in der Medizin. Doch auch nach erfolgreicher Herzoperation sind die Patienten nicht mehr die gleichen wie vorher, konstatiert Professor Michael Grimm vom Allgemeinen Krankenhaus in Wien: "Die Angehörigen berichten häufig, dass zum Beispiel der Vater zwar die Herzoperation sehr gut überstanden habe, aber irgendwie nicht mehr derselbe sei." Grimm nahm die Spur auf und untersuchte Hunderte Patienten nach Bypass- oder Herzklappenoperationen. Sein Fazit: tatsächlich weisen viele Patienten trotz positiv verlaufener Therapie bestimmte Veränderungen auf. So stellte der Herzchirurg etwa bei über 75-jährigen Patienten nach einer Herzoperation ein deutliches Nachlassen kognitiver Fähigkeiten wie Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit fest. Dies trat allerdings nur dann auf, wenn sie konventionell, also etwa mit einer aufwändigen Brusteröffnung, operiert wurden. Wurde dagegen ein schonender, so genannter minimal-invasiver Eingriff mit endoskopischen Werkzeugen vorgenommen, stellten sich solche neurologischen Ausfälle sehr viel seltener ein.

    Michael Grimm vermutet daher im belastenden Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, die das Blut mit Sauerstoff anreichert und die Pumpfunktion während einer Herzoperation am künstlich gelähmten Herzen übernimmt, die Hauptursache für die diffusen Folgen der Herzoperationen: "Die Herz-Lungen-Maschine führt quasi zu einer Traumatisierung des Blutes. Das Blut versucht unter der Belastung zu gerinnen und sich gegen Fremdkörper zu wehren. Die Medizin hat zwar gelernt, diese extrem komplexen Abläufe zu manipulieren, indem das Blut ungerinnbar gemacht wird. Dennoch geschehen im Mikrobereich viele feine Prozesse, die zu einer Aktivierung und Stressreaktion des Blutes führen." Erschwerend komme dazu der ohnehin angegriffene Grundzustand, in dem sich Herzkranke naturgemäß befinden, sowie die ständige Gefahr, dass sich kleine artherosklerotische Ablagerungen lösen, mit dem Blut in das Gehirn wandern und dort kleine Infarkte verursachen.

    Grimms Thesen stießen auch auf Kritik und Zweifel. "Bislang belegen keine randomisierten, fundierten Studien nach wissenschaftlichen Kriterien das Auftreten solcher kognitiver Ausfälle. Wir wissen alle, dass Patienten immer mal Ausfälle nach Operation mit der Herz-Lungen-Maschine aufweisen, wie auch Patienten nach anderen großen Eingriffen zum Teil Probleme haben, aber es gibt keine Studie, die einen signifikanten Unterschied zwischen Operationen mit und ohne Herz-Lungen-Maschine nachweist", unterstreicht Professor Rüdiger Lange vom Deutschen Herzzentrum in München. Dennoch dringt Professor Grimm auf eine weitere Untersuchung der Phänomene, um zukünftig besser vorbeugen zu können. Doch nicht nur Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit können nach einer Herzoperation verschlechtert sein. So zeigt eine auf dem Leipziger Kongress vorgestellte Studie der Technischen Universität Dresden, dass zehn Prozent aller Herztransplantierten später seelisch erkranken. Auslöser dabei sei einerseits die schwerwiegende und lebensbedrohliche Operation selbst. Doch auch die große Bedeutung, die dem Herzen in unserer Kultur beigemessen werde, komme dann zum Tragen. Das Herz sei eben mehr als ein reparabler Pumpmuskel, sagt Professor Michael Grimm: "Es ist unser Bezug zur Seele, zur Vitalität und deswegen sind alle Veränderungen und Reparaturmaßnahmen am Herzen auch mit psychischen Störungen einhergehend." Der Wiener Herzchirurg plädiert daher für eine Unterstützung der Patienten durch speziell geschulte Psychologen auch weit über den Eingriff hinaus.

    [Quelle: Hartmut Schade]