Die Schießerei beginnt Samstagnacht. Banditen der Drogengang "Comando Vermelho" ("Rotes Kommando") dringen schwer bewaffnet auf den Morro dos Macacos, den Affenhügel, vor. Sie wollen die Macht in dieser Favela im Norden Rios an sich reißen und einen lukrativen Drogenumschlagplatz erobern. Dazu müssen sie allerdings zuerst die Gang mit dem friedlichen Namen "Amigos dos Amigos" ("Freunde der Freunde") beseitigen, die das Gebiet kontrolliert. Stundenlangen dauert das nächtliche Feuergefecht.
Die Gangster nutzten die Nachtstunden, weil sie genau wussten, dass die Polizei in der Dunkelheit nicht eingreifen würde. Als sie endlich mit dem ersten Tageslicht aufmarschierte und in das Armenviertel vorrückte, wurde sie von beiden Gangs unter Feuer genommen. Dabei schossen sie den Polizeihubschrauber ab, der solche Einsätze stets begleitet. Dem Piloten gelang gerade noch die Notlandung auf einem nahe gelegenen Fußballplatz, bevor die Maschine in Flammen aufging.
Die Gangster versuchten zu fliehen und zündeten auf ihrem Weg zehn Omnibusse an, legten Feuer in mehreren Gebäuden und errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen, um die sie verfolgende Polizei abzulenken. "Es war wie im Krieg", meinten Anwohner.
Resultat dieses seit Langem heftigsten Kampfes der Drogenmafia um die Vorherrschaft in einem Stadtviertel: 20 Tote, darunter der Hubschrauberpilot und zwei von Querschlägern getötete Favelabewohner, außerdem acht Verletzte sowie ein fassungsloser Staatspräsident. Denn Lula da Silva hatte sich gerade erst zu Freudentränen rühren lassen, als Brasilien den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2016 erhielt.
Lula versicherte auch sofort, dass die Regierung alles tun werde, um Rio im Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu helfen, und dass die Stadt davon gesäubert würde, damit die Welt, die Rio bei Olympia unterstützt hat, nicht enttäuscht werde.
Die Regierung schickte sogleich weitere 2000 Polizisten in die Gefahrenzone, um die Lage zu stabilisieren und nach Mittätern zu fahnden. Rios Polizei gilt allgemein als eine der am besten im Stadtguerillakampf trainierten Einheiten der Welt, aber ihre Ergebnisse sind oft - so auch diesmal - eher bescheiden. Sie vermag zwar mit massivem Einsatz die Ruhe für einige Zeit zu sichern, doch dem organisierten Verbrechen, das sich wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat, ist sie bisher kaum beigekommen. Denn zahlreiche staatliche Organe sind in die Gewalt verstrickt, bilden beispielsweise Mordkommandos, die Selbstjustiz üben - wie der Menschenrechtler Mauricio Campos erklärt:
"An den meisten Todesschwadronen sind Mitarbeiter staatlicher Institutionen beteiligt: Polizisten, Feuerwehrleute, Funktionäre und ehemalige Polizisten, die aus irgendeinem Grund entlassen wurden und noch immer gute Beziehungen zu ihren früheren Kollegen pflegen. Oft bleiben bei ihrer Verbrecherjagd Unschuldige auf der Strecke. Es gibt sogar Bürgermeister einzelner Bezirke, die mit den Todesschwadronen in Verbindung stehen, was alle wissen."
Diese Mörderbanden gehören zu einem Netzwerk von paramilitärischen Milizen, die selbstgerecht für Ordnung und Moral sorgen wollen und dabei ganz ähnliche Methoden anwenden wie die Drogenmafia. Sie sind längst Teil des organisierten Verbrechens und gehören zu einem Filz an Korruption, der weit in die Politik hineinreicht. Das erschwert die Bekämpfung der Gewalt sehr oft. Hinzu kommt, dass die Drogenmafia in Rio - anders als die in der ebenfalls gefährdeten Wirtschaftsmetropole São Paulo - in verschiedene Kartelle unterteilt ist, die sich gegenseitig bekriegen.
"Außerdem haben es die Drogenhändler Rios gelernt, mit immer spektakuläreren Aktionen die Bevölkerung unter Schock zu setzen","
… so der Soziologe José Augusto Rodrigues.
""Sie haben auch früher schon mal Omnibusse angesteckt. Sie wollen damit starke Bilder hervorrufen, den Eindruck ihrer unbegrenzten Macht vermitteln. Das hat auch der Anschlag auf den Hubschrauber gezeigt. Er wurde zum ersten Mal abgeschossen und sollte wohl demonstrieren, dass die Stadt außer Kontrolle geraten ist."
Doch ein solcher Abschuss gelingt nur mit schweren Waffen. Das organisierte Verbrechen Brasiliens verfügt inzwischen über ein Waffenarsenal, das selbst Luftabwehr ermöglicht. Es ist leicht zu beschaffen in dem Riesenland im Süden Amerikas, wo 17 Millionen Feuerwaffen zirkulieren sollen, die meisten in zivilen, in legalen und illegalen Händen.
Diese Zahl wurde in der Woche vor den blutigen Auseinandersetzungen von der Vereinigung "Viva Rio" bekannt gegeben. Die Nichtregierungsorganisation versucht seit 1993, neue Wege bei der Bekämpfung städtischer Gewalt einzuschlagen. In ihrer neuesten Untersuchung hat sie festgestellt, dass die Waffenkontrolle in Brasilien äußerst prekär ist, weil die Brasilianer große Waffenliebhaber sind. Deshalb konnte das organisierte Verbrechen nahezu problemlos aufrüsten und mit seinen tödlichen Waffen die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen. Die Mafia soll - so "Viva Rio" - über nahezu vier Millionen Waffen verfügen, meist aus brasilianischer Produktion. Es gibt aber noch ein ganz anderes Problem.
"Wir räumen in dieser Favela mit der Mafia auf und können in der nächsten gleich weitermachen, weil sie sich dorthin zurückgezogen hat","
… so ein junger Polizeioffizier.
""Das ist in ein schier endloser Bürgerkrieg. Zwei Wochen lang haben wir täglich Dealer geschnappt und Waffen sichergestellt. Aber es hat so gut wie nichts bewirkt. Außerdem werden die Gewalttäter immer jünger und brutaler. Unter ihnen sind sehr viele Jugendliche ohne Schulbildung. Weil sie keine andere Perspektive haben, warten sie nur darauf, sich der Mafia anzuschließen."
Doch die Stadtregierung von Rio de Janeiro setzt nicht nur auf massiven Polizeieinsatz. Sie hat aus den Erfahrungen in anderen Städten Lateinamerikas gelernt, zum Beispiel von denen im kolumbianischen Medellín. Dort hatte das organisierte Verbrechen jahrelang ganze Stadtviertel kontrolliert, bis eine geschickte Entwicklungspolitik den Sumpf weitgehend austrocknen konnte. Deshalb wurden nun auch in fünf Armenvierteln Rios Einheiten einer sogenannten Friedenspolizei stationiert. Ihr ist es dort gelungen, die Kriminalität zurückzudrängen und den Menschen wieder ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Aber die Aufgabe ist nicht leicht.
"Was in Rio geschehen ist, das ist die Folge einer 30-jährigen Vernachlässigung","
… Justizminister Tarso Genro.
""Das organisierte Verbrechen konnte sich in dieser Zeit wie in einem Freiraum ausbreiten. Die Ereignisse des letzten Wochenendes sind eine Tragödie für uns alle. Gewalt ist einfach in einer zivilisierten Stadt nicht akzeptabel."
Deshalb hat die Bundesregierung in Brasilia erneut beträchtliche Mittel versprochen, um die Ausrüstung der Polizei zu verbessern und um vor allem die Sanierungspolitik in den Favelas voranzutreiben.
Die Gangster nutzten die Nachtstunden, weil sie genau wussten, dass die Polizei in der Dunkelheit nicht eingreifen würde. Als sie endlich mit dem ersten Tageslicht aufmarschierte und in das Armenviertel vorrückte, wurde sie von beiden Gangs unter Feuer genommen. Dabei schossen sie den Polizeihubschrauber ab, der solche Einsätze stets begleitet. Dem Piloten gelang gerade noch die Notlandung auf einem nahe gelegenen Fußballplatz, bevor die Maschine in Flammen aufging.
Die Gangster versuchten zu fliehen und zündeten auf ihrem Weg zehn Omnibusse an, legten Feuer in mehreren Gebäuden und errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen, um die sie verfolgende Polizei abzulenken. "Es war wie im Krieg", meinten Anwohner.
Resultat dieses seit Langem heftigsten Kampfes der Drogenmafia um die Vorherrschaft in einem Stadtviertel: 20 Tote, darunter der Hubschrauberpilot und zwei von Querschlägern getötete Favelabewohner, außerdem acht Verletzte sowie ein fassungsloser Staatspräsident. Denn Lula da Silva hatte sich gerade erst zu Freudentränen rühren lassen, als Brasilien den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2016 erhielt.
Lula versicherte auch sofort, dass die Regierung alles tun werde, um Rio im Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu helfen, und dass die Stadt davon gesäubert würde, damit die Welt, die Rio bei Olympia unterstützt hat, nicht enttäuscht werde.
Die Regierung schickte sogleich weitere 2000 Polizisten in die Gefahrenzone, um die Lage zu stabilisieren und nach Mittätern zu fahnden. Rios Polizei gilt allgemein als eine der am besten im Stadtguerillakampf trainierten Einheiten der Welt, aber ihre Ergebnisse sind oft - so auch diesmal - eher bescheiden. Sie vermag zwar mit massivem Einsatz die Ruhe für einige Zeit zu sichern, doch dem organisierten Verbrechen, das sich wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat, ist sie bisher kaum beigekommen. Denn zahlreiche staatliche Organe sind in die Gewalt verstrickt, bilden beispielsweise Mordkommandos, die Selbstjustiz üben - wie der Menschenrechtler Mauricio Campos erklärt:
"An den meisten Todesschwadronen sind Mitarbeiter staatlicher Institutionen beteiligt: Polizisten, Feuerwehrleute, Funktionäre und ehemalige Polizisten, die aus irgendeinem Grund entlassen wurden und noch immer gute Beziehungen zu ihren früheren Kollegen pflegen. Oft bleiben bei ihrer Verbrecherjagd Unschuldige auf der Strecke. Es gibt sogar Bürgermeister einzelner Bezirke, die mit den Todesschwadronen in Verbindung stehen, was alle wissen."
Diese Mörderbanden gehören zu einem Netzwerk von paramilitärischen Milizen, die selbstgerecht für Ordnung und Moral sorgen wollen und dabei ganz ähnliche Methoden anwenden wie die Drogenmafia. Sie sind längst Teil des organisierten Verbrechens und gehören zu einem Filz an Korruption, der weit in die Politik hineinreicht. Das erschwert die Bekämpfung der Gewalt sehr oft. Hinzu kommt, dass die Drogenmafia in Rio - anders als die in der ebenfalls gefährdeten Wirtschaftsmetropole São Paulo - in verschiedene Kartelle unterteilt ist, die sich gegenseitig bekriegen.
"Außerdem haben es die Drogenhändler Rios gelernt, mit immer spektakuläreren Aktionen die Bevölkerung unter Schock zu setzen","
… so der Soziologe José Augusto Rodrigues.
""Sie haben auch früher schon mal Omnibusse angesteckt. Sie wollen damit starke Bilder hervorrufen, den Eindruck ihrer unbegrenzten Macht vermitteln. Das hat auch der Anschlag auf den Hubschrauber gezeigt. Er wurde zum ersten Mal abgeschossen und sollte wohl demonstrieren, dass die Stadt außer Kontrolle geraten ist."
Doch ein solcher Abschuss gelingt nur mit schweren Waffen. Das organisierte Verbrechen Brasiliens verfügt inzwischen über ein Waffenarsenal, das selbst Luftabwehr ermöglicht. Es ist leicht zu beschaffen in dem Riesenland im Süden Amerikas, wo 17 Millionen Feuerwaffen zirkulieren sollen, die meisten in zivilen, in legalen und illegalen Händen.
Diese Zahl wurde in der Woche vor den blutigen Auseinandersetzungen von der Vereinigung "Viva Rio" bekannt gegeben. Die Nichtregierungsorganisation versucht seit 1993, neue Wege bei der Bekämpfung städtischer Gewalt einzuschlagen. In ihrer neuesten Untersuchung hat sie festgestellt, dass die Waffenkontrolle in Brasilien äußerst prekär ist, weil die Brasilianer große Waffenliebhaber sind. Deshalb konnte das organisierte Verbrechen nahezu problemlos aufrüsten und mit seinen tödlichen Waffen die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen. Die Mafia soll - so "Viva Rio" - über nahezu vier Millionen Waffen verfügen, meist aus brasilianischer Produktion. Es gibt aber noch ein ganz anderes Problem.
"Wir räumen in dieser Favela mit der Mafia auf und können in der nächsten gleich weitermachen, weil sie sich dorthin zurückgezogen hat","
… so ein junger Polizeioffizier.
""Das ist in ein schier endloser Bürgerkrieg. Zwei Wochen lang haben wir täglich Dealer geschnappt und Waffen sichergestellt. Aber es hat so gut wie nichts bewirkt. Außerdem werden die Gewalttäter immer jünger und brutaler. Unter ihnen sind sehr viele Jugendliche ohne Schulbildung. Weil sie keine andere Perspektive haben, warten sie nur darauf, sich der Mafia anzuschließen."
Doch die Stadtregierung von Rio de Janeiro setzt nicht nur auf massiven Polizeieinsatz. Sie hat aus den Erfahrungen in anderen Städten Lateinamerikas gelernt, zum Beispiel von denen im kolumbianischen Medellín. Dort hatte das organisierte Verbrechen jahrelang ganze Stadtviertel kontrolliert, bis eine geschickte Entwicklungspolitik den Sumpf weitgehend austrocknen konnte. Deshalb wurden nun auch in fünf Armenvierteln Rios Einheiten einer sogenannten Friedenspolizei stationiert. Ihr ist es dort gelungen, die Kriminalität zurückzudrängen und den Menschen wieder ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Aber die Aufgabe ist nicht leicht.
"Was in Rio geschehen ist, das ist die Folge einer 30-jährigen Vernachlässigung","
… Justizminister Tarso Genro.
""Das organisierte Verbrechen konnte sich in dieser Zeit wie in einem Freiraum ausbreiten. Die Ereignisse des letzten Wochenendes sind eine Tragödie für uns alle. Gewalt ist einfach in einer zivilisierten Stadt nicht akzeptabel."
Deshalb hat die Bundesregierung in Brasilia erneut beträchtliche Mittel versprochen, um die Ausrüstung der Polizei zu verbessern und um vor allem die Sanierungspolitik in den Favelas voranzutreiben.