Dienstag, 16. April 2024

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'Feuersnot'

Es gibt in diesem seltsamen Stück eine junge Frau namens Diemut, hier ist sie sehr blond, anfangs eine Spröde, die vom akut an Feuersnot leidenden Meister Kunrad ein bisschen sexuell belästigt wird, na ja, er küsst sie halt mal auf den Mund, und die sich dann bitter rächt, indem sie den Verehrer erst des nachts in einen Lastenkorb lockt, der da ganz praktisch am Haus angebracht ist, um etwa Holzscheite drin herunterzulassen, aber auch Liebhaber herauf. Aber dann lässt die Diemut den Kunrad hängen, es wird Tag und er zum Gespött, und er wiederum rächt sich, indem er der ganzen Stadt das Licht abdreht. Das kann er, weil er ein Zauberer und Hexenmeister ist. Die Stadt ist übrigens München. Dann hält er deren spießiger Bürgerversammlung eine Standpauke: das Feuer würde bei ihnen nimmer mehr angehen, solange es nicht "aus heiß-jung-fräulichem Leibe" neu entflammt werde. Und nun singen die Bürger auf die Jungfer Diemut ein. "Das Mädel muss verlieren sein Lirumlarumlei." Da ist die Diemut dem Kunrad aber schon selbst verfallen, die Defloration wird vollzogen, dazu erst schöne, dann eindeutige Sexmusik wie später im Rosenkavalier, das Licht geht wieder an (im Prinzregententheater eine riesige Glühbirne), großer Jubel, Schluss.

Ein Beitrag von Holger Noltze | 19.05.2003
    Ein Skandal, und es sollte einer sein. Bei der Uraufführung in Dresden 1901 wurde "Feuersnot" auf Wunsch des pikierten sächsischen Königshauses abgesetzt. Gemeint waren aber die Münchener. Ganz explicite als Rache an seiner "lieben Heimatstadt" hatte der als Dirigent und Komponist von symphonischen Dichtungen" schon weitberühmte Richard Strauss seine zweite Oper geplant, weil die Münchener seine erste hatten durchfallen lassen. Diese privatbiographische Schicht ist die entscheidende, und deshalb lässt Hellmuth Matiaseks Regie von Anfang an keinen Zweifel daran, dass das ganze Kunstmittelalter bloß eine schwache Kostümierung und der Zauberer Kunrad niemand als der Klangzauberer Richard Strauss selber sein soll, Schüler des heiligen Hexenmeisters Reichart, das ist Richard, also Wagner selbst. Den hatten die Münchener seinerzeit ja auch aus der Stadt getrieben. Der Stadt aber hätte angestanden, worauf nun der Name der zu entjungfernden Blonden schon deutet: etwas mehr Demut vor ihren großen Meistern, und Minnegebot:

    Alles nur eine Männer- und Allmachtsphantasie, ein Hirn-Gespinst? Man könnte es meinen, denn Matiasek lässt das munter die Meistersinger persiflierende Geschehen auf der Gasse hinterm Gazevorhang spielen. Vorn aber sitzt Kunrad Strauss am Flügel, sinnierend, komponierend. Dann jedoch wird er hineingezogen in den Schwank, er ist ja die Hauptperson. Und so schnurrt die Parabel vom Hängenlassen dann artig ab. Es gibt allerhand bühnentechnische Projektions-Raffinessen zu bewundern, das bunte Treiben auf der hübsch abstrahierten Sendlingergasse ist mithilfe einer durchsichtigen Spiegelwand von vorne und von oben zu sehen, man kriegt das Stück erklärt und seine Zitate aufgelöst. Da fährt ein Fliegender Holländer durchs Bild, die Riesen aus dem Rheingold, Meister Reichart Wagner erscheint höchstselbst. Immerzu lodern Flammen, und wenn das große Minnelicht erlöscht, machen Matiasek und sein Bühnenbildner Heinz Hauser ein effektstarkes Spuktheater auf.

    Der Münchener Einsatz für Straussens Rache an München ist nicht nur szenisch enorm. Prachtvoll spielt das Orchester des Gärtnerplatz-Theaters unter David Stahl, der zwischen Delikatessen und Derbheiten auslotet, was die "Feuersnot"-Partitur zu bieten hat, auch: was sie verspricht: die Vorklänge künftiger Straussopern-Sensationen von "Salome" bis "Capriccio". "Feuersnot" ist auch eine Choroper. Und eine heikle dazu, wenn es – Zitat der Meistersinger-Prügelfuge – fünfzehnstimmig chaotisch wird. Stark gefordert auch der Kinderchor, ein halbes Jahr sollen die Buben und Madeln an ihrem chromatischen "lober, lober luja" geübt haben. Aufwand und Anspruch sind erheblich: So ernst hatte Strauss seine München-Rache genommen, und das Gärtnerplatzensemble wird dem durchaus gerecht. Nicht ganz so freiströmend souverän, wie er sein sollte, der Kunrad von Thomas Gazheli, mit sicherer Höhe Nicola Beller Carbone als Diemut, die man sich vielleicht noch etwas farbiger wünschen könnte. Insgesamt aber ein hochklassiger Ehrenrettungsversuch an der Rarität "Feuersnot". Mit einer merkwürdigen Beharrlichkeit wird dieser Versuch in München alle Jahre wieder unternommen. Als wollten die Münchener die Sache wiedergutmachen. Sie machen es gut, sie machen es sehr gut. Weshalb man ebendrum erkennen kann: das Stück ist nicht zu retten. Einmal lässt Matiasek die Saalbeleuchtung angehen, aber nur ein bisschen. Als wollte er sagen: Ihr seids gemeint. Aber eben nur ein bisschen. Erfahren und umsichtig und respektvoll zeigt er das Stück wie es ist, und tut keinem weh. Der Glaube an den Text, hier geht er wohl zu weit. Im Falle der "Feuersnot" ist Demut die falsche Tugend.

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