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Feuerwerke zum Saisonstart in Zürich

Am Zürcher Schauspielhaus gab der neue Intendant Matthias Hartmann gestern seinen Einstand mit einer Uraufführung: Er führte die Regie bei Botho Strauß' neuem Stück "Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte". Einen Theaterabend zuvor hatte Ibsens "John Gabriel Borkman" Premiere.

Von Cornelie Ueding |
    "Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte": der Titel von Botho Strauß‘ neuem Stück führt direkt ins Zentrum von - Ibsens "John Gabriel Borkman". Auch hier setzt die Handlung lange nach dem Tod der Liebe ein. Und beide Stücke - auch das haben sie gemeinsam - begnügen sich nicht mit Andeutungen, sind vielmehr, bisweilen ausufernd, erklärselig. Nach der Geschichte muss auf dem Theater die Inszenierung folgen, sonst geht die ganze Geschichte baden. Und hier enden die Gemeinsamkeiten.

    Barbara Frey sperrt Ibsens Figuren in eine Art gepolsterte Gummizelle, in der sie nach acht Jahren Gewöhnung fast stillgestellt sind. Dieser Ort dämpft und schluckt auch das bisschen Bewegung, das von außen kommende Figuren hereinbringen. Doch leider lähmt das statuarische Konzept, das zu sehr auf äußere Zeichen setzt, die szenische Phantasie der Regisseurin - und die wunderbaren Schauspieler.

    Barbara Nüsse als Frau Borkman: verbittert, verkniffen, vernachlässigt, zuweilen auf der gefährlichen Kippe zur komischen Alten; Jutta Lampe, ihre ladylike ausstaffierte Zwillingsschwester mit melancholisch-entsagungsvollem Gestus. Borkman selbst, Thomas Thieme, haust isoliert im Obergeschoss und möchte wohl gern mit dem Kopf durch die Wand, wenn er ihn gegen die Wand drückt. Die Mischung aus Verstörung, Enttäuschung und Lebensgier, Hass und Liebe sucht man vergebens. Innere Öde, Eingesperrtsein, gar unterdrückte Gefühle, Ambivalenzen, zeigen sie alle nur hintereinander, nicht im Widerstreit miteinander erspielt. Gewiss: der Text ist - wieder - da. Aber der Subtext fehlt. Das Stück wirkt platt, etwas verstaubt.

    Ein Glanzlicht der Regiekunst dagegen: Matthias Hartmanns Zürcher Einstandsinszenierung. Nur gelesen, wirkt Botho Strauß‘ jüngstes Stück über weite Strecken wie eine Mischung zwischen Houellebecq und Sloterdijk. Das Experiment mit der Affektsteuerung eines emotional erstorbenen Paares ist auch ein intertextuelles Spiel mit Strukturelementen aus "Cosi fan tutte", und die vor allem der Frau, Kiro, auferlegten Prüfungen bis zur Läuterung und Wiederbelebung der Gefühle beider Eheleute erinnert etwas an die "Zauberflöte".

    Hier hätte man das Nacheinander wieder auftauchender Gefühle befürchten können, denn Eifersucht, Verwirrung, Gewalt heißen die Stationen des Sich-selbst-wieder-Findens-und-Fühlens. Doch Hartmann gelingt die Vertiefung der Empfindungen und damit eine Verlebendigung der Hauptfiguren. Zunächst sind sie Teil der Schicki-Micki-Gesellschaft und ebenso steril wie die kühl gestylte Agentur für die Planung abgeschlossener Lebenswelten für die happy few.

    Hartmann führt diese Repräsentanten unserer duchgestylten Gesellschaft in köstlichen kleinen Momentaufnahmen auf artistische Weise satirisch vor. Immer wieder lässt er Regieanweisungen sprechen, weist auf die Figuren, die sich wie einstudiert bewegen. Wie auch die Deko-Elemente werden sie herbeizitiert und - wieder weggeworfen, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben. Wer oder was nicht mehr gebraucht wird, stürzt ab, wird automatisch über zwei Laufbänder auf der großen, langen Spielfläche entsorgt, die Karl-Ernst Herrmann in der Zürcher Schiffbauhalle installiert hat. An deren Längsseiten: gegenüberliegende Zuschauerpodeste; in der Mitte:
    bewegliche Glaselemente.

    Ein Spiel nicht nur nach zwei Seiten, sondern mit zwei Seiten: einer urkomischen und einer ernsten, meisterlich ausbalanciert. Botho Strauß‘ oft bedeutungsschwangere Reflexionen mal euphorisch verträumt, mal nachdenklich als Nachtgedanken einer Figur - oder als Programm-Ansage. Seine gesellschaftskritischen Konstellationen und Einlassungen: in knappen Bildern auf den Punkt gebracht, zum Kopfschütteln, Lächeln oder Lachen; seine Gewaltphantasien: entschlackt, verknappt, verkünstlicht und mit präzisen Umschlagpunkten.

    Mit Corinna Kirchhoffs Kiro als lebendigem Zentrum: gestyltes Ausstellungsstück mit Wut im Bauch, anmaßend, keifend, gequält, schmerzerfüllt, verwirrt, klug und sensibel, von nicht enden wollenden bühnenrealen Albträumen heimgesucht. Der Schlüsselsatz zu dieser Aufführung steht auch im
    Stücktext: "Wer auf der Bühne etwas nachahmt, was es tatsächlich gibt, kann ja kein Künstler sein". Matthias Hartmann ist ein großer Regie-Künstler.