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FIFA
110 Jahre zwischen Machtkampf und Korruption

Der Fußball-Weltverband FIFA ist eine der mächtigsten Institutionen der Welt mit einem Jahresumsatz von knapp einer Milliarde Euro. Mitte mail feiert er sein 110jähriges Bestehen.

Von Hans Woller | 17.05.2014
    Blick auf die "Esplanade des Invalides" auf der Weltausstellung in Paris 1900.
    In Paris wird 1904 die FIFA geründet. (dpaBlick auf die "Esplanade des Invalides" auf der Weltausstellung in Paris 1900. )
    Rue Saint Honoré. Um die Ecke die sündhaft teure Place Vendome mit dem Justizministerium und dem Hotel Ritz. Der Schmuck von Cartier und die Boutique von Karl Lagerfeld sind nicht weit. Ein Modegeschäft reiht sich an das andere und auch an der Hausnummer 229 werden teure Textilien verkauft. Hier, wo im Hinterhof vor 110 Jahren ausgerechnet ein Franzose, Robert Guerin – ein Sportjournalist – den internationalen Fußballverband FIFA aus der Taufe hob – wo doch der französische Fußballverband als solcher überhaupt erst 15 Jahre später, 1919 gegründet wurde. Aber: 1904 war Paris nun einmal die Hauptstadt der Welt.
    Sieben Gründungsmitglieder zählte man: auf französischer Seite war es noch die "Union der Leichtathletikvereine", aus Spanien ein Vertreter des "Madrid Football Club", der später Real Madrid heißen sollte, sowie die Verbände der Schweiz, Dänemarks, der Niederlande, Belgiens und Schwedens – der DFB trat der FIFA noch am Gründungstag per Telegramm bei. Paradox dabei war: Der Verband aus dem Geburtsland des Fußballs stieß erst später dazu, da die Gründungsväter der FIFA, vor allem die Franzosen, den Fußball als Profisport, wie er in England schon seit 1885 existierte, damals nicht akzeptieren wollten. Pascal Boniface, Autor eines Buchs über die Geopolitik des Fußballs:
    "Man sagte vom Reich Karl V., dass die Sonne in ihm nie unterging, was nicht stimmte. Für den Fußball aber stimmt das heute. Es gibt kein Land und keinen Kontinent, die dem Fußball widerstehen würden. Die Eroberung der Welt durch den Fußball hat, wie man weiß, in England begonnen und ging zuerst auf dem Seeweg vor sich. Die ersten Proficlubs außerhalb Englands hießen Hamburg in Deutschland, Le Havre in Frankreich, Bilbao und Barcelona in Spanien, Genua in Italien, und danach fand die Ausbreitung via Eisenbahn statt, weil die englischen Arbeiter und Ingenieure beim Eisenbahnbau den Fußball sozusagen mit sich führten."
    Die erste große Stunde der FIFA schlug unter der Präsidentschaft des Franzosen Jules Rimet, der ab 1924 daran arbeitete, ein erstes Weltturnier auszutragen, das mit Unterstützung eines reichen Geschäftsmanns aus Uruguay 1930 in dessen Herkunftsland dann ein erstes Mal ausgetragen wurde. Heute zählt die FIFA 209 Nationalverbände – jüngst wurden sogar der Südsudan oder Osttimor Mitglied, allein im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts sind 60 neue Verbände zum Weltreich Fußball hinzugekommen.
    "Anders als bei allen anderen Imperien verlief die Eroberung durch den Fußball friedlich. Der Fußball hat ein Reich erobert, und die eroberten Völker waren begeistert. Es gibt kein Land, das sich dieser Eroberung widersetzt oder gar den Abzug des Fußballs fordert. Die Engländer haben mit dem Fußball letztlich eine friedliche Eroberung geschafft, die weitaus wirksamer war, als etwa die militärische Eroberung des Iraks, um dort die Demokratie einzuführen."
    Ganz so friedlich war der Aufstieg der seit 1932 in Zürich angesiedelten FIFA zu einer der weltweit mächtigsten Organisationen und einem florierenden Wirtschaftsunternehmen dann aber doch nicht. Besonders seit Mitte der 70er Jahre mit den Dassler-Brüdern aus Herzogenaurach, dem Schuhausrüster mit den drei Streifen und der Rechtevermarktungsgesellschaft ISL das ganz große Geld zu fließen begann und der Brasilianer Joao Havelange, ein dubioser Geschäftsmann, der auch schon mal mit Waffen handelte, als Präsident der Korruption Tür und Tor öffnete. Deswegen musste er letztlich 1998 auch abtreten und Sepp Blatter – damals schon seit 17 Jahren FIFA-Generalsekretär und im Prinzip über alles informiert – den Posten überlassen.
    "Ich verlasse diesen Verband und hinterlasse ein Vermögen von rund 60 Millionen Dollar und weitere 4 Milliarden Dollar, die aus Fernsehrechten, Marketing und der Sportausrüstung fließen."
    Mittlerweile beträgt das FIFA-Vermögen geschätzte 1,2 Milliarden Euro. Allein der neue Verbandssitz bei Zürich hat 180 Millionen gekostet. Die jährliche Lohnsumme für knapp 400 Mitarbeiter beläuft sich auf 100 Millionen. Der Jahresumsatz des "gemeinnützigen Vereins" liegt bei knapp einer Milliarde. Zugleich ist der Welt-Fußballverband aber bis über beide Ohren in Korruptionsaffären verwickelt, was den Schweizer Nationalrat Roland Büchel einst zu der Aussage verleitet hat, der Unterschied zwischen FIFA und Mafia sei nur, dass bei der FIFA nicht gemordet werde.
    Die FIFA ist als Institution korrupt, sagt auch Andrew Jennings, der für die BBC seit Jahrzehnten den Machenschaften des Welt-Fußballverbandes hinterher ist.
    "In meiner letzten Dokumentation vom November 2010, bevor über die WM 2018 und 22 abgestimmt wurde, habe ich ein Dokument vorgelegt, das zeigt, dass FIFA-Offizielle über zwölf Jahre hinweg von der Marketing Firma ISL mehr als 100 Millionen Dollar kassiert haben."
    Darüber und über erneute Korruptionsfälle bei der WM Vergabe für 2018 und 22 ermittelt inzwischen sogar das FBI. Und auch die Schweizer Politik will sich die Umtriebe des Fußballweltverbandes in ihrem Land nicht mehr einfach gefallen lassen. Korruptionsfälle sollen automatisch verfolgt werden und nicht mehr nur im Fall einer Klage, meint ein Genfer Abgeordneter.
    "Eine Strafnorm hat Abschreckung zum Ziel und würde die FIFA, die ihren Sitz in der Schweiz hat, zwingen, künftig extrem wachsam zu sein, damit sich solche Korruptionsfälle nicht noch einmal ereignen."
    Ob dies dem FIFA-Präsidenten, der heute, laut Forbes, zu den 70 mächtigsten Männern der Welt gehört, wirklich beeindruckt? Pascal Boniface:
    "Es gibt viele Staaten auf der Welt, in denen der FIFA-Präsident heute der Mächtigere ist, wenn er vom dortigen Staatschef empfangen wird. Gleichzeitig hat die FIFA auch etwas vom Konklave und eine Wahl des FIFA-Präsidenten kann durchaus an eine Papstwahl erinnern."
    Wenn der amtierende FIFA-Präsident dann einmal vor Studenten in Oxford gefragt wird, ob sein Verband bei der Bekämpfung der Korruption inzwischen auf dem richtigen Weg sei, gibt sich Sepp Blatter ganz unschuldig, betont, es sei doch ohnehin alles in Ordnung:
    "Wir sind nicht nur auf dem richtigen Weg, wir sind schon dort. Wir haben seit 2002 internationale Standards der Finanzkontrolle, wir veröffentlichen alle unsere Bilanzen, wir haben jetzt ein vollständig unabhängiges Komitee für Wirtschaftsprüfung, das vom Kongress gewählt worden ist und auch eine Ethikkommission."
    Diese Kommission wurde von Experten bestenfalls als dubioses Gremium bezeichnet, während die Zeitungstitel über die undurchsichtige, herrschsüchtige und machtbesessene Organisation mit Sitz in der Schweiz seit Jahren etwa so lauten: "Am Ende gewinnt immer die FIFA", "Der letzte Diktator Europas", "Dagobert-Duck-Kapitalismus" oder "Die Geldmaschine am Zürichberg".
    Vor zwei Jahren hat selbst der Europarat angesichts der zahlreichen Korruptionsaffären in mehr als 100 Punkten ein vernichtendes Urteil über die FIFA gefällt und den Fußballweltverband daran erinnert, dass seine Autonomie für die Interessen des Sports da sei und nicht für die Interessen von skrupellosen Individuen.