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Film
Auf der Suche nach dem Geist des Bauwerks

Eine norwegisches Gefängnis, die Berliner Philharmonie oder das Centre Pompidou: "Kathedralen der Kultur" sind sechs Streifzüge mit der 3D-Kamera durch völlig unterschiedliche Bauwerke. Unter anderen gefilmt von Wim Wenders, Robert Redford und Michael Glawogger.

Von Hartwig Tegeler |
    Das Salk Institute in einer Szene des Kinofilms "Kathedralen der Kultur"
    Das Salk Institute in einer Szene des Kinofilms "Kathedralen der Kultur" (dpa/picture-alliance/Alex Falk/NFP)
    Die Mauer spricht.
    "Ich bin riesig. Ich bin diejenige, die diesen Ort zu einem Hochsicherheitstrakt macht."
    Und die Kamera des dänischen Filmemachers Michael Madsen, der sich schon in seiner Dokumentation über das weltweit erste nukleare Endlager begeistert zeigte von Bauwerken, Madsens Kamera streift an der Mauer des norwegischen Gefängnisses Halden entlang, das vom Time Magazine als "das humanste Gefängnis der Welt" bezeichnet wurde, und in dem einige von Norwegens Schwerverbrechern einsitzen. Halden hat gitterlose Fenster, erlaubt Panoramablicke auf die umgebende Natur. Aber was bedeutet das für diesen Ort? Ist er trotz seiner architektonischen Brillanz weniger Gefängnis? Michael Madsen zeigt Gänge, zeigt Anstalts-Abläufe, Wärter, zeigt Insassen und Mauern. Und die Stimme, jetzt nicht nur die der Mauer, sondern die des gesamten Gefängnisses, spricht.
    "Mein Inneres ist eine Welt für sich. Es gibt alles, Zellen und Küchen."
    Was ist der Geist eines Ortes? Gibt es den überhaupt? Für den Architekten Louis Kahn, dessen Salk Institut Robert Redford in "Kathedralen der Kultur" porträtiert, gibt es diesen "genius loci", den "Geist des Ortes", der animiert, der den menschlichen Geist befruchtet - beeinflusst, bestimmt - könnte man auch noch hinzufügen. Aber wie wäre dieser Geist im Kino sichtbar, gar spürbar zu machen? Sechs Bauwerke in "Kathedralen der Kultur" von sechs Filmemachern: Michael Madsen, Michael Glawogger, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz, Wim Wenders. Der erforscht das Innenleben - den "genius loci" - der Berliner Philharmonie.
    "Ich bin dieses Haus hier. Die Berliner Philharmonie. Was Sie da hinten sehen, den Potsdamer Platz, davon gab es weit und breit nichts, als ich 1963 ´geboren´ wurde."
    Doch diese irreale Konstruktion des redenden Bauwerks ist natürlich vor allem eine Einladung, anders zu sehen. Und auch, wenn man sich an dem Ton dieser Overvoice stören mag, so können die Bilder überzeugen.
    Am eindrucksvollsten übrigens beim kürzlich verstorbenen Michael Glawogger, der die 1814 entworfene Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg besuchte. Glawogger taucht aus dem lärmenden Verkehr der Metropole ein in diesen Schutzraum der analogen Kultur, diesem Labyrinth von Regalen, Zettelkästen, verwinkelten Ecken und Gängen. Eine Ode an die Vergänglichkeit, das Ende des Analogen, des sinnlich Fassbaren.
    Am Ende sind die sechs Episoden von "Kathedralen der Kultur" mit ihren kunstvollen Bildern ganz unterschiedlich, mal abstrakt, mal sehr sinnlich, mal sachlich, dokumentarisch. Auch wenn am Ende die Frage nicht wirklich beantwortet werden kann, ob der Geist eines Bauwerks, der "genius loci", in einem Film darstellbar ist. Doch diese sinnliche Bilder-Meditation über die Gegenständlichkeit menschlicher architektonischer Schöpfungen ist eine grandiose Einladung, hier draußen, in der Realität, dem Geist der Orte nachzuspüren. In der Suche liegt die Aufgabe, nicht unbedingt im Finden. Insofern zeigt der Film "Kathedralen der Kultur" gerade im Scheitern seine Faszination.