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Film "Bethlehem"
Überraschender Blick auf den Nahostkonflikt

Der Film "Bethlehem" thematisiert den Nahostkonflikt anhand der Geschichte von zwei jungen Männern. Das Spielfilmdebüt von Yuval Adler vermeidet zu allgemeine politische Fragen über die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern und ist dabei hoch spannend.

Von Rüdiger Suchsland | 09.01.2014
    Dies ist die Geschichte zweier junger Männer, die untrennbar miteinander verbunden, auf verschiedenen Seiten stehen: Razi und Sanfur.
    Razi ist ein Offizier der Shin Beth, der israelischen Version des Bundeskriminalamts. Er pflegt einen festen Kontakt zu Sanfur, dem Bruder eines palästinensischen Terroristen. Dieser steht nach verschiedenen tödlichen Attentaten weit oben auf der Fahndungsliste der Israelis, denn vom Untergrund der Westbank aus ist er eine große Nummer im sogenannten arabischen Widerstand und zieht die Fäden bei immer neuen Mordanschlägen. Razi braucht von Sanfur einen Tipp, um den Bruder zu fassen - tot oder lebendig.
    Die Beziehung zwischen den beiden Männern, die Vater und Sohn ebenso sein könnten, wie unterschiedlich alte Brüder, ist komplex: Sanfur ist für den Israeli in erster Linie ein Informant, den er mit kleinen Geschenken füttert und manipuliert, um Informationen zu bekommen, die Leben retten können. Mit der Zeit hat er den Jungen aber auch lieb gewonnen, er spürt, dass er selbst für Sanfur der freundschaftliche Ansprechpartner ist, den dieser bei seiner radikalen Familie nicht findet, dass Sanfur kein potenzieller Mörder ist, sondern sich in einer verzweifelten Lage befindet - zwischen Loyalitätsansprüchen, denen er nicht gerecht werden kann. Rafi schützt Sanfur selbst vor dem Drängen seiner Vorgesetzten, die ihn opfern wollen. Aber er belügt ihn eben auch und drängt ihn in eine vorhersehbare Konfrontation, die für beide Männer nicht ohne Blessuren ausgehen kann - mindestens.
    Beeindruckendes Spielfilmdebüt
    "Bethlehem", das Spielfilmfilmdebüt des israelischen Regisseurs Yuval Adler ist ein beeindruckender Film. Inszeniert und geschnitten mit großer Kunst und einer Intelligenz, die für einen Debütfilm erstaunlich ist, zumindest ungewöhnlich, vermeidet Adlers gradlinig erzählter Film zugleich all jene zu allgemeinen politischen Fragen, denen man so oft in Filmen über den Konflikt zwischen Israelis und den Palästinensern begegnet, und die gerade in ihrer politischen Beflissenheit im Ergebnis oft banal wirken: Ja, es wäre natürlich schön, wenn sich alle vertragen könnten zwischen den Golanhöhen und dem Gazastreifen. Tun sie aber nicht.
    Warum dies nun aber so ist, das zeigt Adlers Film besser als viele andere. Denn "Bethlehem" dessen Drehbuch Adler übrigens gemeinsam mit einem palästinensischen Autor schrieb, blickt auf soziale Dynamiken.
    Innenansichten des Alltagslebens der Palästinenser
    Die besten Szenen des Films bestehen aus Innenansichten des Alltagslebens der Palästinenser: Man begegnet zivilen Politikern, die längst nicht mehr Herr der Lage sind, die ihr kleines poröses Königreich allenfalls noch mit Korruption zusammenhalten und mit brutalen Gangs, die ihren "Schutz" garantieren und für sie im Morgengrauen die Drecksarbeit erledigen.
    Man lernt diese Gangs näher kennen, primitive Männerbünde, deren ganzer Alltag von Macho-Ritualen und Maulheldentum geprägt ist, in denen gewöhnlich der Lauteste und Radikalste den Ton angibt. Es sind Banden, die sich vom Drogen- und Waffenhandel nähren, von Schutzgeldern, in deren Leben die Kalaschnikow immer dabei ist, selbst beim seltenen Essen mit der Familie. In einer geradezu grotesken, hochangespannten Szene stehen sich zwei solche Banden in einer Nervenprobe gegenüber und streiten sich mit entsicherten Handgranaten in der Hand um einen Leichnam eines ihrer "Märtyrer", den beide Gangs für sich beanspruchen.
    Und man begegnet auch den Familien, die voller Stolz sind auf diese, ihre "Märtyrer". Bei der älteren Generation hat sich dieser Stolz längst zu Starrsinn verhärtet, die Jüngeren wie Sanfur würden vielleicht lieber die Spiele ihrer britischen und spanischen Lieblingsklubs verfolgen, mit deren Fanartikeln ihre Zimmer tapeziert sind, stattdessen müssen sie "ganze Männer" sein, und deshalb Aufträge für die großen Jungs erledigen, die nicht nur hochgefährlich sind, sondern sie schnell unrettbar ins Netz aus Kleinkriminalität und Terror verstricken.
    Alle sind hier auch Opfer. Aber sie sind eben auch Täter. Gut und Böse, Schwarz und Weiß gibt es kaum in dieser Welt - sondern viele Grautöne.
    Unbequeme Einsichten
    Adlers Film wirft den Zuschauer auf so zentrale wie unbequeme Einsichten zurück, die sich jedem stellen, der den Konflikt zwischen Israel und Palästina ohne ideologische Scheuklappen betrachtet.
    "Bethlehem" ist aber auch glänzendes Hochspannungskino, ein Terrorthriller, der uns ins Gedächtnis ruft, zu welch großartiger Form das israelische Filmemachen in den letzten Jahren aufgelaufen ist - nicht zuletzt mit einem neuen, überraschenden Blick auf den Nahostkonflikt. Und wer weiß zum Beispiel, dass der amerikanische Serienerfolg "Homeland" nichts anderes ist, als der schlechte Abklatsch einer israelischen Fernsehserie. Auch "Bethlehem" könnte bald durch eine Hollywood-Verwässerung geadelt werden.