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Film: "Blade Runner 2049"
Wann ist der Mensch ein Mensch, wann schon Maschine?

Die Messlatte hing hoch. Aber der kanadische Filmemacher Denis Villeneuve, der schon mit "Sicario" und "Arrival" eine eigene Filmhandschrift bewies, hat sich an die Fortsetzung des Kultfilms "Blade Runner" von Ridley Scott gemacht. Produktion: Ridley Scott.

Von Hartwig Tegeler | 05.10.2017
    Ryan Gosling und Harrison Ford beim Fototermin zu "Blade Runner 2049" am 20. September 2017 in Paris.
    Ryan Gosling und Harrison Ford beim Fototermin zu "Blade Runner 2049" in Paris. (picture alliance / Leon Tanguy / MAXPPP / dpa)
    "Wir alle suchen nach etwas Echtem."
    Aber das zu finden und dann auch noch zu wissen, ob es tatsächlich echt ist…
    2049. Los Angeles quillt über vor Menschen, San Diego ist eine Müllhalde mit Fabriken, in denen Kindersklaven aus Elektroschrott wertvolle Bestandteile extrahieren.
    "Jede Zivilisation wurde auf dem Rücken entbehrlicher Arbeitskräfte erbaut."
    Las Vegas ist leer, überzogen mit gelben Smog und Staub. Die radioaktive Verstrahlung allerdings nach dem großen Blackout - mäßig. Wie seinerzeit, 1982, im Ur-"Blade Runner"-Film, gibt es die Polizisten, die künstliche Wesen jagen. Die Jäger heißen Blade Runner, die gejagten Replikanten.
    "Wollen sie mich verhaften?"
    Der Neue trifft den Alten
    Diese künstlichen Wesen, Androiden, führen auf der Erde eine illegale Existenz. Und wer das schon einmal in Blader Runner 2049 als Metapher auf unsere Gegenwart verstehen möchte, liegt richtig.
    "Mr. Morton, wenn verhaften eine Option ist, wäre mir das deutlich lieber als die Alternative. Ihnen war doch klar, dass irgendjemand kommen würde."
    Dann liquidiert der Blade Runner K, selbst Replikant, ein "guter", gespielt von Ryan Gosling, den Illegalen.
    "Was du gesehen hast, ist nie passiert."
    Und stößt dabei zufällig auf den Hinweis auf ein Geheimnis, das dazu führt, dass er im neuen Film - gespielt von Ryan Gosling - auf den Blade Runner im alten trifft.
    "Was willst du?"
    Harrison Ford in seiner alten Rolle aus dem Ridley-Scott-Original, älter, grauer, aber immer noch herrlich mies gelaunt.
    "Ich dachte, du könntest mir bei einem Fall helfen."
    Mensch ist nicht gleich Mensch
    Wie der alte Film ist auch Denis Villeneuves Fortsetzung visuell atemberaubend. Eine Hommage und enge Anknüpfung ans Original, die Meditation darüber, wo die Grenze zwischen dem Menschen und den von ihm geschaffenen künstlichen Wesen verlaufen könnte, erweitert. Das Ganze unterlegt mit dem Soundtrack von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch, die sich darin musikalisch verbeugen vor den Klängen des Yamaha-CS-80-Synthesizer, in die 1982 Vangelis Ridley Scotts Film eintauchte.
    Der erste Eindruck beim Schauen von Blade Runner 2049 ist: Wir können nicht mehr ausmachen, wer in dieser Erzählung noch Mensch oder schon Maschine ist. Dass der Blade Runner K - Ryan Gosling - ein Androide ist im Film, ist klar! Das wird gleich am Anfang erzählt. Aber bei den anderen Figuren ist das weitaus komplizierter. Was ist mit dem Industriemogul Wallace - Jared Leto -, der die Replikanten neueren Typs schafft? Was ist mit seinen merkwürdigen Augen? Was bedeutet es, wenn seine Gehilfin ihm ein Modul in den Hals setzt. Und von welchem Status, vom Menschen oder vom Cyborg aus, spricht er sein Credo:
    "Replikanten sind die Zukunft der Spezies."
    Mensch, Maschine, Cyborg, Replikant, Android? Wo ist noch der Unterschied?
    Die Zukunft rückt immer näher
    Diese Frage war schon im alten Blade-Runner-Film zentral, aber eben als reine Science-Fiction. Doch heute hat sie eine vollkommen andere, konkretere Bedeutung. 1982, als der erste Film ins Kino kam, lag das Internet noch in den Geburtswehen. Das Smartphone noch nicht einmal gedacht, dieses Gerät, mit dem wir heute quasi wie mit einem virtuellen Implantat sensorisch dauerhaft verbunden sind mit dem großen Netzwerk des Wissens und der Datenerfassung. 1982 sprach niemand von "Datenreligion" oder "Dataismus", demzufolge sich das Leben auf Datenströme reduzieren lässt. Eine Vorstellung, die, wie der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch Homo Deus meint, bereits heute einen Großteil des wissenschaftlichen Establishments erobert hat.
    Ein Vertreter des Dataismus würde behaupten, dass Organismen nichts anderes sind als Algorithmen, die uns ja heute selbstverständlich im Alltag begegnen. Bei jeder Online-Bestellung, bei jeder Google-Maps-Straßensuche werden wir Teil der großen Datenmaschine. "Blade Runner 2049"-Regisseur Denis Villeneuve fantasiert diese unsere Maschinenwerdung nur etwas weiter, so, wie es großes Kino macht. Um dann die Frage zu stellen, ob es denn eine Welt gibt, die sich nicht auf Daten reduzieren lässt. Anders und ähnlich wie in seinem Film "Arrival" fragt Denis Villeneuve: Wie entsteht Bewusstsein? Bei Denis Villeneuve entwickeln tatsächlich die Replikanten das, erlangen Identität, werden Empathiefähig. Können Sie auch selbst Leben schaffen?
    "Wir alle suchen nach etwas Echtem."
    Im Kern stellt sich in "Blade Runner 2049", diesem wunderbaren, würdigen Nachfolger des Ur-"Blade Runners", die Frage, wer die "Krone der Schöpfung" ist? Noch der Mensch oder schon die von ihm geschaffenen Wesen? Denis Villeneuves Film 2049 gibt sich als Science-Fiction aus. Erzählt aber über uns heute. 2049 - lang ist's nicht mehr hin.