Der Dokumentar-Film "Der letzte Dalai Lama?" von Mickey Lemle geht weit in die Geschichte zurück. Als der Dalai Lama - damals noch geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter - im Jahr 1959 aus Tibet nach Indien floh, konnte er nicht alle seine Gefolgsleute mitnehmen. Die Chinesen annektierten das Land und steckten viele Mönche und buddhistische Lehrer ins Gefängnis. Dort waren sie oft jahrelang ihren Folterknechten ausgeliefert. Als sein Gesangsmeister etwa 20 Jahre später frei kam, berichtete er davon - der Dalai Lama fasst es so zusammen.
"Er erzählte von seiner schwierigsten Zeit. Er erzählte von der Arbeit, von der Zwangsarbeit. Und er erzählte davon, dass er sich in Gefahr befand. - In welcher Gefahr, fragte ich. - Der Gefahr, das Mitgefühl zu verlieren mit den chinesischen Beamten."
Also versuchte dieser Buddhist im Gefängnis, Mitgefühl mit seinen chinesischen Wachen und Foltermeistern zu entwickeln und sie nicht als Feinde zu sehen. Eine Haltung, die er als überlebensnotwendig ansah. Wer sein Mitgefühl verliert, verliert auch seine Seele. Denn die Wachen seien immer noch Menschen, für ihr Karma seien sie selbst für verantwortlich.
"Letztlich sind unsere Gefühle die einzigen Unruhestifter. Darum müssen wir uns kümmern. Um das zu tun. Zum Beispiel bezeichnen wir diese destruktiven Gefühle als unseren inneren Feind. Um mit diesem Feind fertig zu werden, müssen wir zuerst wissen, wie dieser Feind beschaffen ist und woraus er seine Kraft zieht. Dann kümmern wir uns", sagt der Dalai Lama.
Sahnetorte zum Ehrentag
Seine spirituelle Botschaft ist das eine. Der Film zeigt den Dalai Lama auch ganz privat. Wie er sich sich niederwirft vor der Buddhafigur, wie er sich in der Meditation konzentriert. Die privaten Momente wechseln mit seinen öffentlichen Auftritten, etwa zu seinem Geburtstag. Schnell fotografiert noch ein Mönch die verzierte Sahne-Torte zum Ehrentag des Dalai Lama. Schon steigt der Würdenträger aus der schwarzen Limousine, zupft das Gewand zurecht, scherzt mit alten Vertrauten, während seine Anhänger sich demütig vor ihm verneigen mit einem weißen Schal in den Händen.
Im Film wird aber auch deutlich, warum der Dalai Lama an seinem spirituellen Vermächtnis arbeitet. Er sucht schon lange nach Wegen, wie er die buddhistische Lehre losgelöst von den religiösen Elementen ins 21. Jahrhundert übertragen kann.
Der Dalai Lama wird im Juli 83 Jahre alt. Täglich bereitet er sich in seiner Meditation auf den Tod vor. Im Film kommen langjährige Begleiter zu Wort, Übersetzer, seine Brüder, verschiedene Wissenschaftler, der Komponist Philipp Glass und sogar der US-Politiker George Bush. Viele fragen sich, wie es weitergeht, nach seinem Tod. Überall auf der Welt zelebrieren tibetische Buddhisten daher die Zeremonie für ein langes Leben für Seine Heiligkeit.
"Selbst wenn ich heute sterbe, wird es wahrscheinlich zu zwei Dalai Lamas kommen."
Schon mehrfach hatte der Dalai Lama gesagt, dass er nur außerhalb Tibets wiedergeboren werde. Dann 2014 sagte er, dass er gar nicht wiedergeboren werde. Das ist natürlich eine Botschaft an die chinesische Regierung.
Spezieller Humor
"Zu anderen Zeiten hat er gesagt, dass er auf jeden Fall immer wieder kommen wird, zum Wohle der Lebewesen. (…) In anderen Zusammenhängen hat er auch seine Späße gemacht, dass er vielleicht als Frau wiedergeboren wird. Was aber nicht ein reiner Spaß ist, ein erleuchteter Meister kann auch als Frau wiedergeboren werden", sagt Meditationslehrer Oliver Petersen vom Tibetischen Zentrum in Hamburg.
"Er lässt es offen und spielt ein bisschen damit. Das hat teilweise auch politische Gründe, weil man davon ausgehen kann, dass die chinesische Regierung, wenn der Dalai Lama verstorben ist, selber eine Art neuen Dalai Lama einsetzen wird. So absurd das klingt, aber die chinesischen Kommunisten wollen sich um die Wiedergeburt eines religiösen Meisters offenbar kümmern."
Dem Dalai Lama ist bewusst, dass die Chinesen weiter Kontrolle auf Tibet ausüben werden. Er lacht, wenn er daran denkt, dass die Chinesen ein Suchkommando nach einem kleinen Jungen losschicken wollen. Er sagt: Sie sollten vorher an die buddhistische Lehre und Reinkarnation glauben. Und erst sollten sie die Reinkarnation von Mao oder Deng Xiaoping anerkennen, dann könnten sie sich um die Reinkarnation tibetischer Lamas sorgen, sagt er.
"Zur Enttäuschung des Dalai Lama hält sich die chinesische Regierung nicht raus, aus solchen kulturell-religiösen Belangen (...) Er will auf jeden Fall vermeiden, dass eine neue Inkarnation einfach missbraucht wird. Indem man einen Falschen nimmt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Tibeter nicht einen neuen suchen werden", sagt Petersen.
Der Filmemacher Mickey Lemle ist seit 20 Jahren Vorsitzender des Tibet Funds. Sein Film "Der letzte Dalai Lama?" ist sehenswert, weil er die Persönlichkeit des Religionsführers ziemlich gut einfängt, vor allem den speziellen Humor des 82-Jährigen. Kritik fehlt erwartungsgemäß völlig. Es ist eine Hommage geworden. Franziskus hat Wim Wenders, der Dalai Lama Mickey Lemle.