Freitag, 29. März 2024

Archiv

Film "The Revenant"
Wuchtige Leidensgeschichte in der Wildnis

Hollywood-Star Leonardo DiCaprio begeistert seit Jahren Publikum und Kritiker mit seiner Schauspielkunst - einen Oscar hat er bislang aber nicht bekommen. Das könnte sich mit "The Revenant" ändern: Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu inszenierte in der kanadischen Wildnis ein bildgewaltiges Rache-Epos, das diese Woche in Deutschland anläuft.

Von Hartwig Tegeler | 06.01.2016
    Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu
    Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu (imago / Independent Photo Agency)
    Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein Trapper führt zusammen mit seinem Sohn, einem Halbindianer, eine Pelzjägertruppe durch das Missouri-Gebiet. Bei einem Grizzly-Angriff wird Hugh Glass schwer verletzt.
    "Wir müssen uns so lange wie möglich um ihn kümmern."
    Aber dann, fast tot, lassen ihn seine Gefährten, die sich um ihn kümmern sollten, zurück.
    "Das Anständigste wäre, ihm ein schnelles Ende zu bereiten."
    Doch der Trapper stirbt dann doch nicht, sondern kämpft sich allein durch die Wildnis zurück zum rettenden Fort.
    Man kann "The Revenant", zu deutsch: "Der Rückkehrer", auf unterschiedliche Weise erzählen, denn in diesem Film steckt mehr als nur ein Film.
    Der erste Film
    Die erste Geschichte: Ein Mann - Leonardo DiCaprio - kehrt zurück, um sich zu rächen, denn derjenige, der ihn zurückließ - Tom Hardy -, tötete seinen Sohn.
    Der zweite Film
    Man kann Alejandro González Iñárritus neuen Film aber auch so beschreiben, wie es David Steinitz in der Süddeutschen getan hat: "The Revenant", als das wohlkalkulierte Projekt eines Großdarstellers namens DiCaprio, der hier die Hauptrolle bei einem in der Filmindustrie hoch gehandelten Regisseur namens Alejandro González Iñárritu spielt. Der kann schließlich zahlreiche Oscar-Nominierungen und auch ein paar gewonnene Trophäen vorweisen. "The Revenant" für DiCaprio also eine sichere Bank - Leo, jetzt wird's aber Zeit! -, um nach fünf Nominierungen, aber eben nur Nominierungen, endlich einen Oscar zu bekommen. Wie gut lassen sich die sieben Monate Extrem-Dreharbeiten in der kanadischen Wildnis als - natürlich hervorragend bezahlte - Leidensgeschichte in Interviews verkaufen: ach ja, das Wetter, der Kampf mit ihm, wochenlanger Schnee.
    "It was the changing climate that always was a struggle for us. It was snowing for weeks."
    In jedem Fall gilt: Großes Kino wie "The Revenant" hat das Zeug zur emotionalen Höllenfahrt, auf die uns die Figuren mitnehmen. Aber was einen dann am Ende in den Film hineinträgt, das ist selten rational klar auszumachen. Manchmal sind es Bilder, Gesichter, die Musik, manchmal die Geschichte. Alle Analyse hilft oft nicht, dem Sog auf die Spur zu kommen. Vielleicht nur Selbstbeobachtung. Also ...
    Der dritte Film
    "The Revenant" dauert über zweieinhalb Stunden. Wann hat mich Alejandro González Iñárritus Geschichte gepackt und von da an nicht mehr losgelassen? Ganz einfach: mit der ersten, knapp vier Minuten langen Bildersequenz. In der sich die grandiose Komposition des Films sofort zeigt. In ihrer Musikalität, ihrem Rhythmus. In den Bildern, bei denen man den Eindruck bekommt, dass sie sich immer wieder herauslösen aus der Realität und hinübergleiten in etwas Transzendentes. Diese Anfangssequenz: Wasser ist zu sehen am Anfang von "The Revenant", zu hören; drei Jäger auf der Jagd nach einem Wapiti-Hirsch.
    Riesige Bäume, das Wasser strömt an ihnen entlang; sein Geräusch. Die Musik von Ryuichi Sakamoto. Hier werden die Wildnis und ihre Macht, ihre Gnadenlosigkeit zu einem bestimmenden Element der Erzählung. Von Anfang an. Ebenso die betörende, aber auch verstörende weil lebensgefährliche Schönheit der Natur, in der der Mensch nur überleben kann, wenn er sich der Natur anpasst.
    Der vierte Film
    Ihre sinnliche Wucht hier im Film ist aber kein Selbstzweck, sondern Iñárritu erzählt mit ihr etwas, wie sie in ihrer archaischen Wildheit immer mächtiger ist als der Mensch. Mischt sich hier, in diesen Survival-Western hinein, gar unser heutiger Blick auf Natur in Zeiten des Klimawandels. In "The Revenant" kann der Held nur überleben, wenn er sich der Wildnis anschmiegt. Wie häufig kriecht der verletzte Trapper in eine Höhle, am Ende gar in den toten Leib eines Pferdes, um nicht zu erfrieren.
    Der fünfte Film
    Aber auch von noch etwas anderem erzählt "The Revenant": wie dieser Kontinent nur durch die Zerstörung der Natur und der Kultur der Ureinwohner erobert werden konnte.
    Der erste, mit einer ungeheuren Grausamkeit, Direktheit, ja Gnadenlosigkeit gefilmte Indianer-Angriff auf die Pelzjäger wird ausgelöst durch die Entführung einer Indianerin. Suchte noch 1956 John Wayne im Klassiker "The Searchers" von 1956 seine von den Komantschen entführte Nichte, folgt hier, in "The Revenant" Duane Howard, der den Häuptling der kriegerischen Ree-Indianer spielt, verzweifelt der Spur seiner geraubten und vergewaltigten Tochter. Iñárritus Film enthält also hiermit die Gegen-Version zur klassischen Western-Erzählung über die Eroberung des Westens. Und mit all dem ist nur benannt die Spitze. Es folgen:
    Der sechste, siebte, achte Film
    Alejandro González Iñárritus "The Revenant - Der Rückkehrer" ist also ein sehr, sehr reicher Film. Lebendig, wunderbar, kunstvoll und sinnlich komponiert. Bilder, Musik, Töne. Wuchtig. Meisterhaft.