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Filme über den Syrienkrieg
Bilder des Aufbruchs, die ins Grauen umschlagen

Der Dokumentarfilm "Silvered Water, Syria Self-Portrait" sorgte 2014 auf dem Filmfestival in Cannes für Bestürzung, nun zeigt ihn der Deutschlandfunk in einer Sondervorführung: Eine filmische Collage von Handy-Aufnahmen der Menschen vor Ort, die den Zuschauer hinein in die Unübersichtlichkeit des Geschehens wirft.

Von Christian Berndt | 07.01.2017
    Einwohner räumen den Ort nach einem Terroranschlag in der syrischen Stadt Homs am 12.12.2015. In der Nähe des Al Ahli Krankenhauses explodierte eine Autobombe.
    Einwohner räumen den Ort nach einem Terroranschlag in der syrischen Stadt Homs am 12.12.2015. (Kein Filmstill, Anm. d. Red.) (dpa / Sputnik / Valeriy Melnikov)
    Ein Regierungssoldat prügelt auf einen Gefangenen ein. Dann sieht man einen bis auf die Unterhose entkleideten Jugendlichen in der Ecke kauern. Er wird getreten, dann muss er die Stiefel des Soldaten küssen und wird mit einem Stock sexuell gedemütigt. Es sind authentische Szenen aus dem Dokumentarfilm "Silvered Water, Syria Self-Portrait". Die Gewaltszenen haben die Folterer selbst ins Netz gestellt, wie der Produzent des Films, Orwa Nyrabia, in Berlin erzählt:
    "Es ist die Taktik, die immer genutzt wurde: Sie soll Leuten, die Veränderungen fordern, zeigen, wie hoch der Preis dafür ist. Natürlich fragt man sich, wenn man ein solches Video sieht, ob man wirklich demonstrieren sollte."
    "Silvered Water" besteht aus Aufnahmen von 1.001 Syrern, wie es im Vorspann des Films heißt. Es sind Bilder, die von Opfern und von Tätern stammen und die Regisseur Ossama Mohammed, dessen Assistent der heute 39jährige Nyrabia als Filmstudent war, im Film collagiert hat. Mohammed lebte bereits im Exil in Paris, als der Arabische Frühling 2011 auch in Syrien seinen Anfang nahm. Damals begann er, Handyvideos zu sichten, die Teilnehmer von Demonstrationen in Syrien gemacht und über Youtube und soziale Netzwerke verbreitet hatten.
    Ungefilterte Eindrücke aus einem Kriegsgebiet
    "Ossama Mohammed war überzeugt, dass in diesem Moment, in dem die Syrer zur Kamera griffen, eine neue Ära begonnen hatte. Wir hatten eine Geschichte des Schweigens unter der Diktatur. Unser Volk hatte kein freundschaftliches Verhältnis zur Kamera, wahrscheinlich weil man sich schämte, zu sehen, wie schlimm es bei uns ist."
    "Silvered Water" zeigt euphorische Bilder des Aufbruchs, und solche, die unvermittelt ins Grauen umschlagen. Man sieht eine Demonstration, dann erscheint ein Hubschrauber - und plötzlich folgen Schüsse und Schreie. Im nächsten Moment Bilder von sterbenden Menschen – das Regime schlägt zu. Orwa Nyrabia hat die Gewalt am eigenen Leib erfahren. 2008 hatte er mit seiner Frau Diana El Jeroudi in Damaskus ein Dokumentar-Filmfestival gegründet. 2012 wurde er verhaftet, als er einen Dokumentarfilm über den Aufstand in seiner Heimatstadt Homs vorbereitete. Er hatte noch Glück, weil sich Hollywood-Stars wie Robert Redford für den bekannten Regisseur einsetzten:
    "Homs – Ein zerstörter Traum"
    "Ich wurde nicht gefoltert, aber geschlagen und wochenlang in einen 7 mal 3 Meter großen Raum gesperrt, mit 84 anderen Männern. Das war auch Folter, aber nichts verglichen mit dem, was die vielen Gefangenen erdulden mussten, die man nach tagelanger Folter zurück in die Zelle warf. Voller Blut und halluzinierend vor Schmerz. Wir versuchten, ihnen ohne Medikamente zu helfen."
    Auf Druck internationaler Filmemacher kam Nyrabia wieder frei. Als er während eines Ägypten-Aufenthaltes davor gewarnt wurde, erneut verhaftet zu werden, kehrte er nicht zurück. Seit 2013 lebt Nyrabia im Exil in Berlin. Der von ihm produzierte Dokumentarfilm "Homs – Ein zerstörter Traum" wurde auf dem Sundance-Festival ausgezeichnet, und auch "Silvered Water" erhielt zahlreiche Preise. Die F.A.Z nannte ihn den wichtigsten Film in Cannes 2014:
    Der zweite Teil von "Silvered Water" beruht auf Videoaufnahmen von Wiam Simav Bedirxan, einer Grundschullehrerin aus Homs, die über Facebook Kontakt mit Ossama Mohammed in Paris aufgenommen hatte. Sie wollte von dem Filmemacher wissen, wie sie das Geschehen in der von Regierungstruppen belagerten Stadt dokumentieren könne. So entstand ein intensiver Austausch, und Simav schickte Videoaufnahmen. Darin sieht man Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen: Lächelnde Kinder an einem Sonntag, am folgenden Tag sind ihre Leichen aufgebahrt.
    Eine subjektive Sichtweise
    Der Film erklärt nicht, sondern zeigt ungefilterte Eindrücke aus einem Kriegsgebiet, aus dem es keine unabhängige Berichterstattung gibt. Erzählt in Form eines Essays, wirft der Film den Zuschauer unvermittelt in die Unübersichtlichkeit des Geschehens - so wie es die Protagonisten erleben. "Silvered Water" stellt die eigene, unüberprüfbare Subjektivität sichtbar aus. Aber weniger wirkungsvoll werden die Bilder deshalb nicht. Vielmehr gewinnen sie, indem sie keine Eindeutigkeit behaupten, an atemberaubender Kraft:
    "Ich denke, es ist nicht unbedingt die Aufgabe des Kinos, Informationen zu liefern, das können Journalisten besser. Es geht auch nicht darum, die Meinung der Leute zu ändern, sondern ihr Bewusstsein für Humanität zu wecken. Sicher ist, dass die Welt uns im Stich gelassen hat, aber ich kann nicht behaupten, eine objektive Sichtweise auf alles, was in Syrien geschieht, zu haben. Aber ich habe eine subjektive Sichtweise, die sagt, die Menschen in Syrien verdienen Frieden wie jeder andere."
    Der Deutschlandfunk zeigt den Film "Silvered Water, Syria Self-Portrait" am 10. Februar im Kammermusiksaal Köln in einer Sondervorführung.