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Filmisches Ballett

Im Film "Metropolis" setzte Fritz Lang mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Vision der modernen Großstadt in Szene, in der Menschenmassen von monströsen Maschinen beherrscht werden. Über allem thront der teuflische Kapitalist in seinem gigantischen, von Flugmaschinen und Hochbahnen umschwirrten Büroturm. Vor 80 Jahren wurde "Metropolis" in Berlin uraufgeführt.

Von Jens Brüning |
    Sechs Millionen Reichsmark musste die Produktionsgesellschaft Ufa für den Stummfilm "Metropolis" locker machen, mehr als je ein Film gekostet hatte. Regisseur Fritz Lang verbrauchte für seine Vision einer futuristischen Großstadt, in der Maschinen über Menschen herrschen, über 500 Kilometer Negativfilm, drehte 310 Tage und 60 Nächte lang, beschäftigte 36.000 Komparsen, nutzte sämtliche damals gängigen Filmtechniken, erfand neue hinzu und machte ausgiebig vom Spiegelverfahren seines Kameramanns Eugen Schüfftan Gebrauch. Mit dessen Hilfe wurden aus kleinen Modellen riesige Hochhäuser in realen Szenen. Am Montag, dem 10. Januar 1927 um halb neun Uhr abends, war Welturaufführung im Berliner Ufa-Palast am Zoo, und Monty Jacobs, Feuilletonchef der "Vossischen Zeitung", wusste sofort:

    "Sein Gewinn wird größer werden, sobald er sich entschließt, den Film noch einmal kräftig zu schneiden."

    Dabei war der Film bereits um die Hälfte gekürzt worden. Das Publikum bekam in den übrig gebliebenen dreieinhalb Stunden allerhand geboten. Herbert Jhering notierte im "Berliner Börsen Courier":

    "Eine technische Zukunftsstadt und Gartenlaubenromantik, eine Maschinenwelt und lächerliche Einzelschicksale, soziale Weltgegensätze und als Mittler zwischen Hirn und Hand das Herz. Alfred Döblin und Thea von Harbou. Das ist unmöglich!"

    Thea von Harbou, Ehefrau von Fritz Lang, schrieb das Drehbuch. Die romantische Liebesgeschichte zwischen dem reichen Jungen und dem armen Mädchen will nicht recht zum Futurismus der Bilder passen. Malerisch wogen anonyme Arbeitermassen in unterirdischen Katakomben hin und her. Fantastische Trugbilder entstehen vor den Augen der Zuschauer. Dramatische Verfolgungsjagden und groteske Zweikämpfe heizen die Spannung an. Wasser wogt. Häuser stürzen zusammen. Eine Dame aus Blech wird in eine menschliche Figur verwandelt. Am Ende reichen sich unter Umgehung von Tarifverhandlungen der Arbeiterführer und der Industriekapitän die Hand, Im Rückblick urteilt der Filmwissenschaftler Bodo Traber:

    "Lang ist jemand, der sich sehr stark an die filmische Seite gehalten hat, gerade das Visuelle, das war das Vorherrschende für ihn. Diese Einheit von Automat und Mensch, also das ist ein expressionistisches Motiv, und das ist dem Film später vorgeworfen worden, dass er da visuell Ideologisches gebaut hat, das sehr stark schon in Richtung der Nazis weisen würde."

    Und richtig: Kaum waren die Nazis an der Macht, bekam Fritz Lang Besuch von Propagandaminister Joseph Goebbels. Fritz Lang erinnerte sich:

    "Er erzählte mir unter anderem, dass der Führer 'Metropolis' gesehen hätte, und er hätte gesagt: 'Das ist der Mann, der uns den nationalsozialistischen Film schenken wird.' Ich muss ganz ehrlich gestehen, also jetzt fing ich an, ein bisschen zu schwitzen. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken und sagte also, ich bin hoch geehrt und was weiß ich alles. Und ich hatte in demselben Moment nur einen Gedanken: Weg aus Deutschland!"

    Fritz Lang ging über Paris und London nach Hollywood. Er konnte seine Karriere nahezu nahtlos fortsetzen. Seine Ehefrau Thea von Harbou lebte seit 1931 getrennt von Lang und wurde eine der meistbeschäftigten Drehbuchschreiberinnen Nazi-Deutschlands.

    "'Metropolis' ist ein Mythos geworden, wird wahrgenommen als ein gigantisches filmisches Ballett. Nicht Thea von Harbous naive Vision hat überlebt, sondern Fritz Langs Bilderarrangements haben die Zeit überdauert, sind heutig geworden, filmische Moderne"."

    urteilt der Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen. Der Film aber überlebte nur als Torso. Die Originalfassung von sieben Stunden ist verschollen. Weltweit geisterten unterschiedliche Schnittfassungen durch die Kinos, und es ist ein Zufall, dass die Partitur der Filmmusik von Gottfried Huppertz vollständig erhalten ist. Sie half auch bei der filmischen Restaurierung, die Martin Körber 2001 vollendete.

    ""Nur für ganz wenige herausragende Filme gibt es überhaupt Originalkompositionen, und meistens sind sie dann eben nicht erhalten. So haben wir jetzt also das Glück, den Eindruck von 1927, so weit das mit dem überlebenden Material möglich ist, eben fast komplett wieder herstellen zu können."

    Fast komplett, denn ein Viertel des Originalmaterials von "Metropolis" ist unwiederbringlich verloren. Das, was übrig ist, wurde als erster Film überhaupt mit der UNESCO-Urkunde "Memory of the World" ausgezeichnet.