Sonntag, 12. Mai 2024

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Filmporträt über Eva Hesse
Vorreiterin der feministischen Kunst

Sie gilt als eine der ersten Künstlerinnen, die sich auf dem Kunstmarkt gegen die Männer durchsetzen konnte: Eva Hesse. Ein Dokumentarfilm erzählt nun die Geschichte dieser ungewöhnlichen Frau, die als Kleinkind vor den Nazis geflohen ist und in den 60er- und 70er-Jahren Mitglied der pulsierenden New Yorker Kunstszene war.

Von Susanne Luerweg | 14.04.2016
    Skulptur "Repetition Nineteen III" der Künstlerin Eva Hesse aus dem Jahr 1970
    Skulptur "Repetition Nineteen III" der Künstlerin Eva Hesse aus dem Jahr 1970 (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    "Mein Leben verlief niemals normal. Nie!"
    "Eva´s art and life merged. She wasn´t just manipulating material. She was material."
    "Evas Kunst und Leben waren eins. Sie bearbeitete nicht nur das Material, sie war das Material", sagt ihre Biographin, die Autorin und Kunstkennerin Lucy Lippard.
    Der Zuschauer taucht direkt zu Beginn des Films in Hesses Kunstkosmos ein. Frühe Zeichnungen auf Papier wechseln sich mit ihrem bekannteren Spätwerk ab. In langsamen, ruhigen Bildern zeigt die Doku Arbeiten von atemberaubender Schönheit wie "Repetition Nineteen", eine Sammlung von eimerähnlichen Gebilden aus Polyesterharz, jedes einzelne mit der Hand geformt. Auch "Hang up" aus dem Jahre 1966, ein Rahmen, umwickelt mit blauem Bettlaken, durch den sich eine Eisenstange zieht, fehlt nicht.
    "Hang Up ist meine wichtigste frühe Aussage. Es war das erste Mal, dass ich meiner Idee von Absurdität und starkem Gefühl Ausdruck verleihen konnte."
    Eva Hesse studierte Malerei an der Yale Universität und avancierte zur Lieblingsschülerin von Josef Albers. Schnell war sie der Mittelpunkt der New Yorker Kunstszene der 60er Jahre. Enge Freundin von Sol Lewitt, Carl Andre und Richard Serra. Eine Frau, die aussah wie ein Modell, aber Malerin wurde, und sich im Laufe der Zeit zur Bildhauerin entwickelte. Und deren Vater sich bis zu seinem frühen Tod immer um sie sorgte.
    "Liebes Evchen, du warst immer erfolgreich in dem, was du gemacht hast. Aber Malerei und Studieren sind angenehme Jobs. Damit du lernst, auf eigenen Füßen zu stehen, solltest du auch Dinge tun, die du heute vielleicht nicht so angenehm findest."
    Ihre Familie flieht vor den Nazis als sie zwei Jahre alt ist. Die Mutter verkraftet den Verlust der Heimat nicht und bringt sich um. Eva Hesse litt ihr Leben lang unter dem Suizid der Mutter, versuchte ihn mit Arbeit zu kompensieren. Der Film skizziert diese Lebensphase mit gezeichneten Bildern, die an den dokumentarischen Trickfilm "Waltz with Bashir" erinnern.
    Ein einjähriger Aufenthalt in Deutschland verändert ihr Werk. Auf Einladung eines wohlhabenden Textilfabrikanten geht sie mit ihrem damaligen Mann, dem Bilderhauer Tom Doyle, nach Essen Kettwig.
    "Du musst üben, dumm, doof, nicht nachdenkend und leer zu sein."
    "Ich habe Metallreste durchgeschaut. Schließlich begann ich sie zu benutzen. Ich arbeite auf Masonitplatten, auf denen ich Formen erschaffe."
    In Deutschland beginnt Eva Hesse das erste Mal dreidimensional zu arbeiten, die räumliche Darstellung von Körpern findet sich in allen späteren Werken. Der Gebrauch von Plastik, Polyester und Draht sowie Schläuchen und Schlingen wird zu ihrem Markenzeichen.
    Ihr engster Weggefährte ist der bereits verstorbene Künstler Sol Lewitt, der sie immer wieder mit heiteren Ratschlägen aufbaut.
    "Du musst üben, dumm, doof, nicht nachdenkend und leer zu sein. Nur dann wirst du fähig zu schaffen."
    Eva Hesse wird als eine der ersten Vertreterinnen der feministischen Kunst gefeiert, weil ihre Arbeiten vermeintlich weibliche Themen wie Verlust und Verlassen behandeln. Sie selbst mochte diese Schublade nicht, wollte vor allem als Künstlerin gesehen werden.
    "Ich habe Schnüre einfach aufgehängt, ich habe ihnen freien Lauf gelassen. Nicht geplant, nicht geometrisch, nicht Kunst. Nicht nichts."
    "Evas Werk war fragil, wunderschön, berührend."
    Der Film ist aber nicht nur ein Portrait Hesses, sondern auch ein Sittengemälde jener Jahre, zeigt die Anfänge der Pop Art mit Andy Warhol und Robert Rauschenberg. Die Zeit des Minimalismus mit Donald Judd und Sol Lewitt. Eine Zeit, in der nicht nur die Kunst neue Wege beschritt, sondern auch die Musik, die Literatur. Mitten drin, als eine der wenigen Frauen, Eva Hesse.
    "Evas work was fragil, beautiful, tentative. It was all those things sculpture was not supposed to be."
    "Evas Werk war fragil, wunderschön, berührend. Es war all das, was man nicht von einer Skulptur erwartet", sagt Nicola Serota, Direktor der Tate Gallery in London.
    Die Dokumentation zeigt anhand guter Archivbilder, interessanter Interviews und einer gelungenen Bildkomposition eine beeindruckende Künstlerin, eine spannende Frau. Manchmal wünscht man sich, die großartigen Bilder Hesses einfach zu genießen, ohne Text, ohne Musik, ohne Kommentar. Aber das ist ja in zahlreichen Museen weltweit möglich.