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Filter-Störung

Bundesfamilien-Ministerin Ursula von der Leyen will Kinderpornografie im Internet bekämpfen und entsprechende Seiten sperren - ein neues Gesetz soll die Filterung juristisch absichern. Doch Experten zweifeln an der Effektivität von Filtern und fürchten, die Maßnahmen könnten das Internet ausbremsen.

Von Wolfgang Noelke | 28.03.2009
    Das Internet ist kein Telefonnetz mit festen Leitungen, sondern verhält sich wie eine Wolke oder wie Wasser. Was einmal darin eingebettet ist, lässt sich innerhalb des Netzes von jedem Punkt abrufen. Dies war bewusst so gewollt, um Störungen des ursprünglich militärischen Kommunikationsnetzes auszuschließen. Sind Datenleitungen zerstört, suchen sich die ausgesendeten Datenpakete einfach einen Umweg. Dafür benutzen sie einen internationalen Zahlencode, ähnlich wie Telefonnummern aus irgendeinem der weltweit millionenfach bereitliegenden Telefonbücher. Internetnamen, zum Beispiel www.dradio.de, verwandeln sich in eine Ziffernfolge. Diese Ziffernfolge führt zum Ziel. Zensierte "Name Server" - der Fachbegriff für diese 'Internet-Telefonbücher' - sind unvollständig. Die fehlenden Adressen befinden sich aber in unzensierten Telefonbüchern anderer Provider. Weil die meisten Internetkunden dorthin umschalten, bereitet dies in Ländern mit Internetzensur erhebliche Probleme, sagt Professor Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender, des vierhundert Mitglieder starken Verbandes der Deutschen Internetwirtschaft "eco":

    "Wenn ich solche Umleitungen mache mit dem 'Telefonbuch', dann kann ich das nur bedingt machen, denn dadurch wird zusätzlicher Verkehr auf das Netz aufgeladen. Es werden nicht mehr die ursprünglichen Wege genommen, sondern es müssen Umwege geschaffen werden, über die plötzlich alle Daten laufen. In Australien läuft im Moment eine Untersuchung: "wie viel Einträge kann man in solche Sperrlisten machen, bevor das Netz zusammenbricht?" Und die Zahl, die ich da im Kopf hab, die liegt bei einigen Tausend, wo dann der normale Breitbanddurchsatz sich bereits auf fünfzig Prozent verringert. Sprich: Ein Benutzer, der eine 16 Megabit-Leitung von der Telekom hat, der hat dann hinterher nur noch einen 8000er- Anschluss, zahlt aber genauso viel, nur weil andere Provider sperren."

    Dies könnte beispielsweise die Leistungsfähigkeit des Internetfernsehens beeinträchtigen. Der internationale Transitverkehr sei von den Umleitungen gar nicht betroffen, aber die jetzt diskutierten Zensurmaßnahmen könnten sich, falls sie tatsächlich verabschiedet würden, fatal gegen andere Bestrebungen der Bundesregierung richten:

    "Und zwar denkt man im Moment wesentlich stärker nach über Sicherheit im Netz, natürlich hervorgerufen vom Bundesinnenministerium, mit einigen Projekten und man will auch dieser ganzen Spam-Flut von Mail Herr werden und denkt über ein sogenanntes verschlüsseltes 'Telefonbuch' nach, unter dem Fachbegriff DNS-Sec, also 'Sicherer Domain Name Service'. Und wenn der eingeführt wird, mit der Verschlüsselung, dann geht mit Sperren gar nichts mehr, weil Sie die verschlüsselten Einträge dann wieder verschlüsseln müssten und wenn die alle miteinander verschlüsselt reden, funktioniert es nicht. Man findet nie den Eintrag, der als 'geblockt' markiert ist, sondern das läuft ins Leere und der sucht sich dann irgendwo die richtige Adresse, findet die richtige Adresse und geht dann da hin."

    Dann bedarf es nicht mal mehr eines Eingriffs der Internetnutzer, so Michael Rotert. Auch die jetzt für eventuelle Sperrmaßnahmen notwendige teure Infrastruktur wäre wirkungslos, sobald der sichere DNS angeboten würde:

    "Die Sperre ist nur zeitweilig und wenn diese Bestrebungen kommen – und die Bundesregierung macht ja auch Druck, dass dieser sichere DNS in den nächsten ein, zwei Jahren eingeführt wird. Dazu sind erhebliche Investitionen auch notwendig, bei den Providern, weil die ihre ganzen Telefonbücher umstellen und die Rechner für die Telefonbücher anpassen. Man denkt da über ein, zwei Jahre nach und spätestens dann ist die Kinderpornografie wieder so wie gestern auf dem Netz."

    Selbst die chinesische 'Mauer der Zensur' würde diesem neuen internationalen Standard nicht mehr lange standhalten, vermutet Rotert und befürchtet, dass die Erstellung von so genannten "Filterlisten" genau das Gegenteil dessen bewirken, was die Politiker wollen:

    "Der einzige Effekt ist, wenn Sie solche Listen haben, lässt sich im Moment ganz einfach testen, welche Einträge gesperrt sind. Da kann jeder drauf zugreifen. Deswegen will man ja auch diesen sicheren DNS haben, damit die ganzen Einträge nicht mehr offen liegen. Mit einigen wenigen Kommandos kann sich jeder Benutzer sich die kompletten Telefonbücher herunterladen. Das werden die Webnutzer machen. Damit finden sie, welche Einträge gesperrt sind und ich gehe schon davon aus, dass solche Listen binnen kürzester Zeit auf Schulhöfen gehandelt werden. Und dann wird zu Recht natürlich die Politik beklagen, dass diese Fälle ansteigen, aber angeheizt haben sie sie selber."