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Finanzielle Verluste
Wie der Vereinssport mit der Coronakrise kämpft

Der Sport stand in der Coronakrise still. Darunter leidet nicht nur der Spitzen-, sondern auch der Breitensport. Doch wie sieht die Hilfe in den Bundesländern aus? Wir haben bei den Dachverbänden der Sportvereine, den Landessportbünden, nachgefragt.

Von Victoria Reith und Maximilian Rieger | 15.06.2020
    Schließung einer Vereinshalle wegen der Coronavirus-Pandemie.
    Der Vereinssport ist von den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie in hohem Maße betroffen. (www.imago-images.de)
    Eine Milliarde Euro – so hoch soll laut DOSB der Schaden sein, der den Sportvereinen in Deutschland durch die Coronakrise entstehen könnte. Eine Anfrage bei den 16 Landessportbünden zeigt nun aber: In vielen Bundesländern gibt es von Seiten des organisierten Sports noch keine Erhebung darüber, wie groß die Schäden sind. Und wenn es Zahlen gibt, werden diese oft hochgerechnet.
    Konkreter sind die Angaben, wenn es um die Nothilfefonds für den Sport gibt – nur in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gibt es solche Unterstützung nicht. Was an staatlichen Hilfen darüber hinaus geht, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Ebenso die Einschätzung, ob weitere Hilfen nötig sein werden. Eine Übersicht*:
    In Baden-Württemberg trifft der Landessportverband, der für das gesamte Bundesland zuständig ist, noch keine Aussagen zu finanziellen Schäden in Vereinen. Genaue Zahlen gebe es frühestens in der zweiten Jahreshälfte. Der Württembergische Landessportbund hat in seinem Bereich jedoch eine Erhebung durchgeführt, an der sich ein Drittel der Vereine beteiligt hat. Dort soll der Schaden 26,5 Millionen Euro betragen.
    Die staatliche Unterstützung besteht aus zwei Teilen: 1. eine Soforthilfe des Wirtschaftsministeriums. Dort können Vereine mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb Mittel abrufen. 2. Eine Soforthilfe Sport von aktuell 11,6 Millionen Euro, aus der gemeinnützige Vereine in existenziellen Mittel für den ideellen Bereich und Zweckbetrieb abrufen können.
    Die Turnhalle des TSC Eintracht Dortmund
    Wackelige Hochrechnung: Mehr als eine Milliarde Euro – so groß soll der finanzielle Schaden der Coronakrise für die deutschen Sportvereine sein. Das behauptet der Deutsche Olympische Sportbund und fordert deswegen einen Notfallfonds aus Steuermitteln. Aber an der Schadenssumme gibt es Zweifel.
    Dem Landes-Sportverband in Bayern wurde von 3.145 Vereinen ein Schaden in Höhe von mehr als 52 Millionen Euro gemeldet. Auf alle Vereine ergibt das laut BLSV einen hochgerechneten Schaden von ca. 200 Mio. Euro. Als staatliche Maßnahme wird in Bayern die Vereinspauschale, mit der das Land den Sport strukturell fördert, in diesem Jahr um zusätzliche 20 auf 40 Millionen Euro verdoppelt. Auch hier gibt es eine Soforthilfe des Wirtschaftsministeriums für Schäden im wirtschaftlichen Bereich wegen der Corona-Pandemie. Laut Einschätzung des BLSV werden diese Hilfen aber nicht ausreichen, da auch gemeinnützige Sportverbände Unterstützung benötigen. Der BLSV fordert ein umfassendes Schutzpaket für den organisierten Sport. Die von 110 Mio. auf 260 Mio. Euro erhöhte Förderung für den Bau von Sportstätten im Konjunkturpaket des Bundes hält man im Landes-Sportverband Bayern für "eine tolle Solidaritätsbezeugung der Politik".
    Wegen der Coronakrise ist Sport in den Vereinen in Deutschland derzeit verboten. Ein Schild mitten auf dem Fussballplatz warnt die Bürger in Pforzen im Allgäuf vor der Benutzung des Platzes.
    "Es geht darum, Insolvenzen zu vermeiden" - Für Bayern sei ein spezieller Fonds neben Kurzarbeitergeld notwendig, sagte der Präsident des Landessportverbandes, Jörg Ammon, im Dlf. Ausgefallene Wettkämpfe und fehlende Kursgebühren seien die größten Probleme des Breitensports.
    Berlin geht nach einer ersten Abfrage von einem Schaden von 16 bis 18 Millionen Euro aus. In der Hauptstadt gibt es einen "Rettungsschirm für den Sport" in Höhe von sechs Millionen Euro. Weitere staatliche Hilfen sind laut LSB nur für eine sehr geringe Anzahl an Großvereinen relevant (Corona-Hilfen des Bundes). Diese Hilfen reichen laut Landessportbund in einem ersten Schritt aus, das gesamte Ausmaß der Schäden sei aber erst Ende 2020 oder Anfang 2021 absehbar. Die Förderung für den Bau von Sportstätten durch das Konjunkturpaket des Bundes bezeichnet der LSB Berlin als "grundsätzlich positive Entscheidung". Allerdings sei dies angesichts des Sanierungsstaus bei den Sportstätten in der Bundesrepublik "nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein."
    Der Schatten eines Bahnradfahrers
    Der BRC Zugvogel 1901 ist ein Traditionsverein in der Berliner Radsportszene. Die Coronakrise traf den Verein nicht unvorbereitet, denn die Berliner koordinieren ihre Vereinsarbeit schon seit Monaten virtuell und digital. Damit zeigen sie anderen Sportvereinen, wie sie sich in Zukunft organisieren müssen.
    Bremen beziffert keine Schäden. Das Land hat ein Soforthilfeprogramm in Höhe von einer Million Euro zur Verfügung gestellt. 120 von 400 Sportvereinen haben bis zum 9. Juni Hilfen in Anspruch genommen. Laut LSB Bremen gebe es besonderen Bedarf an Sporthallen. Die Schulturnhallen seien zwar geöffnet, stünden dem Vereinssport aber nicht zur Verfügung, weil Hallen zu Klassen- und Lehrerzimmern umfunktioniert worden seien. Daher begrüßt der LSB Bremen explizit das Konjunkturpaket des Bundes, das Sportstättenförderung beinhaltet. "Wir hoffen sehr, dass das Paket bei der Basis ankommt", so der LSB.
    Hamburg hat den finanziellen Schaden nicht systematisch erhoben. Bis Ende Mai wurden dort laut Hamburger Sportbund 933.000 Euro an 77 Vereine und Verbände ausgezahlt. Von staatlicher Seite gibt es in der Hansestadt drei Fördermöglichkeiten: 1. Einen Nothilfefonds in Höhe von fünf Millionen Euro, davon die Hälfte für gemeinnützige Sportvereine und -Verbände. 2. Die "Hamburger Corona Soforthilfe", ein Programm für Unternehmen, das aber auch Sportvereinen offensteht. 3. Kredite für Sportvereine, die durch die Coronakrise betroffen sind. Der Hamburger Sportbund erwartet weitere Deckungslücken bei Vereinen und Verbänden und damit verbunden einen höheren Bedarf - auch abhängig davon, wann der Wettkampfbetrieb wieder aufgenommen werden kann.
    Rechnen und planen in sportarmen Zeiten - Von der Coronakrise sind sowohl die kleinen Dorfvereine als auch die Großvereine in den Städten betroffen. Die Verantwortlichen des Eimsbütteler TV in Hamburg und des SV Grün-Weiß Todenbüttel müssen sich nun einiges einfallen lassen, um die wirtschaftliche Durststrecke zu überstehen.
    Hessen beziffert den möglichen finanziellen Schaden für den gesamten organisierten Sport im Bundesland auf 75 Millionen Euro. Der Landessportbund nennt zwei staatliche Hilfsmöglichkeiten. 1. Ein Förderprogramm für Sportvereine. 2. Kurzarbeitergeld für hauptberufliche Vereins-Mitarbeitende. Dazu können Hessens Sportvereine von einem Förderprogramm für Digitalisierungsmaßnahmen profitieren. Der LSBV betont, dass der Sport seit Ausbruch der Pandemie in vielen Fällen gesamtgesellschaftliche Aufgaben übernommen habe, die weit über das reguläre Angebotsportfolio hinausgingen. Aber, so der Landessportbund Hessen: "Leider ist die Wertschätzung des Bundes für dieses umfassende Engagement der Sportvereine bislang ausgeblieben."
    Mecklenburg-Vorpommern hat die Schäden nicht systematisch erhoben. Aktuell liegen 135 Anträge auf finanzielle Hilfe in Höhe von 600.000 Euro vor. Das Land stellt dem Sport aus einem Schutzfonds 1,7 Millionen Euro zur Verfügung. Die Sportvereine könnten diese Leistungen beim Landessportbund M-V beantragen. Viele Vereine rechnen damit, dass sich erst in der zweiten Jahreshälfte das Ausmaß der finanziellen Schäden zeigen werde. Demnach sei noch offen, ob weitere Hilfen notwendig sein sollten.
    Niedersachsen: Der Landessportbund legt noch keine endgültigen Zahlen vor und verweist auf erste Erhebungen. Demnach haben im April 3.757 Sportvereine, 44 Landesfachverbände und 43 Sportbünde einen Schaden von 6,6 Millionen Euro gemeldet. Eine endgültige Auswertung soll Ende Juni erfolgen. Die Corona-Soforthilfe des Landes ist ausgelaufen. Ein Nothilfefonds für den Sport ist von Seiten der Staatskanzlei noch nicht beschlossen. Die Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung hat einen Notfallfonds in Höhe von 100.000 Euro bereitgestellt. Und der LSB betont, dass die Kommunen Vereine fördern: Göttingen, Hannover und andere Kommunen unterstützten die Vereine, und das nicht unerheblich.
    In Nordrhein-Westfalen wurden die Schäden bislang nicht erhoben. Laut LSB gibt es drei Fördermethoden: 1. die Soforthilfe Sport der Landesregierung NRW von 10 Millionen Euro, abgewickelt über das Förderportal des LSB NRW. Die bisherige Fördersumme beträgt rund 3,75 Mio. Euro. 2. Die pauschale Übungsleiterförderung des Landes wird für 2020 von 7,56 auf 10,56 Mio. Euro angehoben. 3. Das Soforthilfeprogramm des Bundes, das Ende Mai 2020 ausgelaufen ist und über das Wirtschaftsministerium NRW abgewickelt wurde – allerdings nur für den unternehmerischen Teil der Vereine. Sollte nach den Sommerferien der Normalbetrieb nicht wieder starten, werden laut Landessportbund weitere Hilfsprogramme notwendig sein. Problematisch sei die Situation für Teamsportarten der 1. und 2. Liga in Sportarten, die keine oder nur wenig Fernsehgelder erhalten. Für sie werde gegebenenfalls ein eigenes Förderprogramm benötigt.
    Ein dunkle und leere Sporthalle mit einem Handball-Tor.
    Corona-Lockerungen im Hallensport in NRW: Anfang Mai stellte Ministerpräsident Armin Laschet einen Fahrplan für weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen vor. Vor allem um den Kontaktsport gab es Streit.
    In Sachsen gibt es keine Erhebung der finanziellen Schäden unter den Vereinen. Dort können Vereine einen Antrag auf Darlehen stellen oder einen Zuschuss zur Soforthilfe von bis zu 10.000 Euro beantragen. Einnahmeausfälle reichen nicht als Fördergrund, es muss ein Liquiditätsengpass oder eine existenzbedrohende Zahlungsunfähigkeit bestehen. 10 Prozent der Mitgliedsvereine haben demnach einen Antrag gestellt, wovon 40 Prozent einen Zuschuss erhalten konnten. Es sei aber noch Spielraum vorhanden, da die Förderrichtlinie bis zum 31.12.2020 gilt. Die Förderung von Sportstätten begrüßt der LSB Sachsen ausdrücklich, und betont zugleich: Bei dem existierenden Stau im Sportstättenbau und der -Erhaltung "wäre der ins Gespräch gebrachte neue "Goldene Plan" mit möglichen Investitionen in Höhe von ca. einer Milliarde Euro ein weiterer wichtiger Schritt".
    Ein Kind balanciert auf einer Bank, im Hintergrund hangeln andere Kinder während des Kinderturnens an Seilen.
    Neue Sportstätten für Deutschland: Einen "Goldenen Plan" gab es bereits zwei Mal: einmal nach dem Krieg in Westdeutschland und einmal nach dem Mauerfall. Diese Sportstätten sind laut Bundesinnenministerium jetzt veraltet – man brauche deshalb dringend neue Schwimmbäder, im Sinne des Klimaschutzes gebaute Sportstätten, und welche, die auch altersgerecht sind. Knapp eine Milliarde soll investiert werden, hieß es Ende 2019.
    Der LSB Sachsen-Anhalt hat auf der Grundlage von bis Mitte April vorliegenden Rückmeldungen von 720 Vereinen und Verbänden hochgerechnet, dass wirtschaftliche Einbußen in Höhe von ca. 7,5 Millionen Euro durch die Coronavirus-Pandemie entstanden sind. Im Land gibt es keinen Fonds für gemeinnützige Sportvereine. Für Corona-bedingte finanzielle Schäden können Anträge bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt gestellt werden, wenn sie sich auf den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb beziehen. Lotto Sachsen-Anhalt hat einen Hilfsfonds in Höhe von einer Million Euro für gemeinnützige Organisationen in Sport und Kultur eingerichtet. Der LSB wirbt dafür, die Grundförderung für Sportvereine und -verbände aufzustocken – so, wie das in Bayern passiert ist. Das Land könnte demnach mit einem niedrigen einstelligen Millionenbetrag "den Sportstrukturen nach den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wieder auf die Beine helfen".
    Der Landessportverband Schleswig-Holstein hat die finanziellen Schäden der Vereine nicht erhoben. Das Land Schleswig-Holstein hat Anfang April ein Soforthilfeprogramm für den Sport in Höhe von bis zu 12,5 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Sportvereine und -verbände konnten bis Ende Mai Anträge stellen.
    Viele monetäre Einschnitte schlagen laut LSV-SH allerdings erst später durch. Deshalb könne es sinnvoll sein, den Zeitraum für das bereits abgelaufene Soforthilfeprogramm zu verlängern.
    Der LSB Thüringen hat die Schäden nicht erfasst. Fest stehe allerdings, dass die Auswirkungen deutlich zu spüren seien. Das "Soforthilfeprogramm gemeinnützige Einrichtungen und Organisationen" ist in dem Bundesland Ende Mai ausgelaufen. Hier waren auch Sportvereine in Liquiditätsengpässen anspruchsberechtigt. Aktuell scheint das Programm laut LSB ausreichend. Profivereine erhalten eine separate Unterstützung des Landes in Höhe von sechs Millionen Euro. Langfristige Folgen wie Vereinsaustritte und ausgefallene Wettkämpfe müssten beobachtet werden.
    *keine Antwort erhalten haben wir von den Landessportbünden aus Brandenburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland