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Die digitalen Zugvögel

Der BRC Zugvogel 1901 ist ein Traditionsverein in der Berliner Radsportszene. Die Coronakrise traf den Verein nicht unvorbereitet, denn die Berliner koordinieren ihre Vereinsarbeit schon seit Monaten virtuell und digital. Damit zeigen sie anderen Sportvereinen, wie sie sich in Zukunft organisieren müssen.

Von Andrea Schültke | 03.05.2020
Der Schatten eines Bahnradfahrers
Der Schatten eines Bahnradfahrers (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
Das Corona-Kontaktverbot trifft den BRC Zugvogel gut vorbereitet. Denn der Radsportverein plant schon seit Monaten die virtuelle Vereinsführung. Verantwortlich dafür: Regine Heidorn. Die ambitionierte Radsportlerin ist seit zweieinhalb Jahren beim Zugvogel:
"Das kam eigentlich nur daher, dass ich eine Lizenz brauchte, damit ich im Velodrom Bahnrad trainieren kann".
Diese Lizenz vergibt aber nur ein Verein. Als Mitglied hat Regine Heidorn schnell festgestellt: Dem Zugvogel fehlt eine zeitgemäße Kommunikationsstruktur. Vorstandsmitglied Jörg Wittmann hat ihr das bestätigt:
"Er sagte, wir würden eigentlich ganz gerne mal wieder eine Vereinssitzung machen. Wir würden gern wieder einmal im Jahr wenigstens Vereinstreffen hinkriegen. Und es funktioniert nie, weil allein die Terminkoordination ist schon eine Hölle."

Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Vereinsorganisation muss digital laufen
Der Web-Entwicklerin war klar: Die Vereinsorganisation muss digital laufen. Programme aus dem Unternehmensmanagement machte sie passend für den Zugvogel. In der Praxis sieht das so aus: Es gibt ein Kernteam mit Regine Heidorn als Moderatorin und den beiden Vereinsvorständen Ralf und Jörg Wittmann. Jörg erklärt, alle vier bis sechs Wochen treffen sich die drei zu Online-Meetings, verteilen Aufgaben und bearbeiten sie.
"Dass wir auch unsere Projekte geordnet parallel bearbeiten und besprechen können und dann aber auch sehr schnell anpassen können."
Corona: Boxen fällt aus.
Motiviert bleiben – wie Sportvereine Corona überstehen
Der Spielbetrieb ist unterbrochen, die Sportanlagen gesperrt, das Vereinsleben eingeschränkt. In unserer Serie "Motiviert bleiben" zeigen wir, wie Sportvereine mit dem Virus umgehen – und erzählen auch Ihre Geschichte!
Das funktioniert mit einem Online-Programm. Das Kernteam kann darauf zugreifen. Alle drei sehen jeweils, wer welche Aufgabe bearbeitet und wie weit wer gekommen ist.
"Und dann kann jeder für sich spontan, wenn er mal Zeit hat, einfach reingehen und gucken, was kann ich als Nächstes machen? Und das dann sozusagen vorantreiben kann."
Die etwa 80 Vereinsmitglieder bekommen von dieser Online-Arbeit zunächst gar nichts mit, schildert Regine Heidorn. Etwa von dem konkreten Projekt: ein Konzept für den Neustart der Jugendarbeit.
"Und erst wenn die Aufgabe erledigt ist, dass dieses Konzept steht, erst dann kommt der nächste Schritt, nämlich zu überlegen, wen im Verein sprechen wir für Jugendarbeit an, zum Beispiel A. Wer sollte was davon erledigen? Das heißt, ab dem Moment entsteht dann eigentlich eher quasi so eine Art Delegationsstruktur."
Digitalisierung nicht auf Kosten der Geselligkeit
Das bedeute, so erklärt sie, um die eigentliche Jugendarbeit kümmere sich dann ein Jugendwart oder eine Jugendwartin. Zu denen halte aber eine Person aus dem Kernteam Kontakt und berichte diesem.
"Das heißt, es würde gar nichts dagegensprechen, wenn zum Beispiel der Jugendwart sagt: 'Hey, ich arbeite jetzt hiermit drei oder fünf oder 20 anderen Menschen zusammen, die ich für die Jugendarbeit koordinieren möchte. Und ich möchte für diese Koordinationsarbeit auch auf diese Kommunikationsstruktur zurückgreifen.' Dann kann er einfach seine eigene Meetings mit seinen eigenen Menschen für sich aufsetzen und muss dafür aber auch nicht zwingend in dieses Kernteam rein."

Mit dieser Art des Managements ist der BRC Zugvogel schon viel weiter als andere Vereine – nicht nur im Sport, urteilt Hans-Jürgen Schwarz. Er leitet den Bundesverband Vereine und Ehrenamt.
Hans-Jürgen Schwarz, Präsident Bundesverband Ehrenamt und Vereine.
Hans-Jürgen Schwarz, Präsident Bundesverband Ehrenamt und Vereine (BVVE)
Eine Dachorganisation für ehrenamtlich geführte Vereine aus den Bereichen Sport, Kunst, Kultur, Freizeit und Soziales: "Digitalisierung und digitales Vereinsmanagement sind und müssen die Werkzeuge für die Zukunft in Vereinen sein."
Er nimmt dabei auch Sorgen, wenn er sagt. Wer sich auf Digitalisierung einlasse, müsse nicht zwingend die traditionelle Vereinsstruktur mit gemütlichen Treffen und Geselligkeit verlassen.
"Wir brauchen die Brücke zwischen der realen und virtuellen Welt"
"Wir brauchen die Brücke zwischen der realen und virtuellen Welt, damit wir auch die Jugend für das Vereinsgeschehen von morgen begeistern können und in ehrenamtliche Tätigkeiten einbinden können."
Aktuell wird es immer schwerer Menschen zu finden, die ehrenamtlich im Verein Verantwortung übernehmen wollen. Zugvogel-Vorstand Jörg Wittmann spricht da aus Erfahrung:
"Einmal gewählt und dann für die nächsten zehn Jahre kann man da nicht mehr raus, so ungefähr es sei denn, man hat alles hingeschmissen. Und dann sind auch wieder andere sauer, weil sich eben kein Neuer findet. Und dann will man vielleicht auch nicht Spielverderber sein. Also behält man das Amt bei, obwohl man gar nicht soviel Zeit hat. Das heißt, man muss auch als Verein heutzutage ein bisschen flexibler reagieren."
Etwa mit Online-Seminaren und virtuellen Vereinssitzungen. Die sparen Zeit und sind effektiver.
Webmeeting des BRC Zugvogel. Links oben: Vorstand Ralph Wittmann, rechts oben: Vorstand Jörg Wittmann, unten Regine Heidorn.
Ohne lästige Terminsucherei: Virtuelles Vorstandstreffen des BRC Zugvogel (Regine Heidorn)
Für die Zukunft fit machen
Vereine, die das nicht tun, bekommen laut Hans-Jörg Schwarz Zukunftsprobleme: "Vereine, die den Anschluss an die Digitalisierung verpassen oder nicht jetzt losmarschieren, um sich den Herausforderungen zu stellen, werden in fünf Jahren nicht mehr existent sein."
Gegen das Vereinssterben arbeiten auch die Landessportbünde. Für die insgesamt 90.000 Sportvereine in Deutschland bieten sie Unterstützung bei der Digitalisierung an, zum Beispiel durch Seminare.
Der BRC Zugvogel hat sich selbst organisiert. Zufall, dass der Start des Experiments genau mit dem Beginn des Corona-Kontaktverbots zusammenkam. Das hat aber die zwingende Notwendigkeit für das digitale Vereinsmanagement noch einmal deutlich gemacht.

Vereinsvorstand Jörg Wittmann gibt dem Experiment ein Jahr Zeit. Dann will er eine erste Bilanz ziehen: "Der Zugvogel wird nächstes Jahr 120 Jahre. Das ist wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt, dass wir dann sagen okay, zur 120-Jahr-Feier kann man mal gucken. Was haben wir denn vollbracht damit? Was haben wir erreicht? Und dann müssen wir so oder so weiter schauen, was wir dann umsetzen können."
Damit der Traditionsverein BRC Zugvogel 1901 eine Zukunft hat.

Dieser Beitrag ist der siebte Teil unserer Serie "Motiviert bleiben – wie Sportvereine Corona überstehen". Hier finden Sie die weiteren Beiträge:
Sport in der Coronakrise