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Finanzkrise
Vassiliadis: Sparen alleine reicht nicht

Der Chef der Gewerkschaft IG Bau, Bergbau, Chemie und Energie, Michael Vassiliadis, hält die Wirtschaften in den kriselnden EU-Ländern weiter für brüchig. Im DLF-Interview sagte er, dass es zwar beispielsweise in Griechenland wohl nicht weiter bergab ginge. Nun müssten die EU-Länder aber an der Stärkung ihrer Wirtschaftsleistung arbeiten.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Dirk Müller | 10.01.2014
    Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, bei einer Pressekonferenz
    Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie: Michael Vassiliadis (picture-alliance / dpa / Alexander Körner)
    Dirk Müller: Herr Vassiliadis, sollte jetzt endlich Schluss sein mit der elenden Sparerei?
    Michael Vassiliadis: Ich glaube, dass die Nachrichten, die wir jetzt aus Griechenland hören und aus Europa hören, ein Zeichen dafür sind, dass wir gegebenenfalls bei einigen Kennzahlen der wirtschaftlichen Entwicklung so etwas wie eine Trendwende erkennen können. Zumindest ist es so, dass viele Indikatoren darauf hinweisen, dass es nicht noch weiter bergab geht. Ich glaube aber, dass wir uns jetzt auch mit unserer neuen deutschen Regierung auf den Weg machen sollten, darüber nachzudenken, wie wir wirklich Wachstum und den Weg nach oben wieder wagen können. Ich glaube, dass das etwas ist, was die europäische Diskussion in den nächsten Monaten prägen sollte. Die Bodensohle scheint erreicht zu sein, es stabilisiert sich, das ist gut, aber damit ist noch keine Trendwende erreicht.
    "Konsum alleine wird es nicht lösen"
    Müller: Sie sagen, mehr Wachstum gerieren und auf den Weg bringen. Die Amerikaner sehen das auch so, sie wollen von Deutschland, dass mehr Geld ausgegeben wird, Binnennachfrage, das ist auch immer eine Forderung der Gewerkschaften, nach wie vor?
    Vassiliadis: Ich meine damit zunächst einmal etwas anderes. Für die Krisenländer in Europa ist erst mal wichtig, dass die Indikatoren, über die wir jetzt reden – das sind ja vor allen Dingen Verlangsamung und Schrumpfen beziehungsweise ein Verstetigen dessen, dass es nicht weiter zurückgeht mit der Wirtschaftsleistung –, ich meine nicht so sehr ein Konjunkturprogramm im klassischen Sinne, ich meine die Frage zu erörtern, wie Europas Wirtschaftsform insgesamt mit Investitionen wieder die Grundlage schafft, dass wir zukünftiges Wirtschaftswachstum haben. Konsum alleine wird es mit Sicherheit nicht lösen. Das kann man nur in entwickelten Volkswirtschaften machen. Da, wo wirklich die Struktur geschädigt ist, da nützt das nichts.
    Müller: Also, das sehen Sie nirgendwo in der Politik, da sehen Sie keinen Ansatz? Dass das auf den Weg gebracht wird?
    Vassiliadis: Ja, ich sehe vor allen Dingen keine wirklichen Ideen. Es wird natürlich gerne darüber geredet, dass man die Wirtschaftsleistung, das Wachstum nach vorne bringen will und dass man den Krisenländern helfen will, aber wirklich konzeptionell eine Idee, wie man beispielsweise – nehmen wir mal Griechenland, nehmen wir mal viele Südländer insgesamt – auch die industrielle Struktur wiederherstellen kann, wieder Ideen entwickeln, welche Wertschöpfungsbereiche in diese Länder gehen können, da sehe ich nicht viel. Natürlich haben beispielsweise Länder wie Griechenland Segmente wie den Tourismus und einzelne Bereiche, in denen sie wachsen können, aber das reicht ja nicht allein. Das heißt, wenn man wirklich aus der Schuldenfalle heraus will, dann muss man diesen Ländern helfen, eine stabile, ausgewogene wirtschaftliche Basis zu gewinnen. Und das sehe ich nicht.
    Kein Wachstum in Griechenland
    Müller: Da muss ich Sie, Herr Vassiliadis, noch mal fragen, was ich zu Beginn gefragt habe: Das war ja die große These, dieses viele Sparen, diese klaren Kriterien, die die Troika auf den Weg gebracht hat beziehungsweise festgesetzt hat für Athen, eben dort zu sparen, Konjunkturprogramme und so weiter einzustellen, Renten zu kürzen, Sozialleistungen zu kürzen, wie auch immer, weniger zu investieren. Hat das auch nach Ihrer Sicht dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt komplett kollabiert ist?
    Vassiliadis: Absolut. Das meinte ich mit den Kennzahlen. Es gibt einige Kennzahlen, wie Sie auch ausweisen, das sind vor allen Dingen Finanzkennzahlen. Wenn man sich die Frage der Beschäftigung anschaut, gibt es überhaupt keine Entwarnung für Griechenland und viele andere Bereiche. Wenn man sich die Frage stellt, wo wächst wirklich das Land, kann man sagen: null. Das heißt, es gibt zunächst einmal eher eine finanzmarktwirtschaftliche Erholung, nämlich was die Kennzahlen anbelangt, was Verschuldung anbelangt, was Haushalte anbelangt.
    Müller: Was aber immer noch abhängig ist vom Rettungsschirm!
    Vassiliadis: Genau, das ist absolut abhängig vom Rettungsschirm und von vielen anderen Indikatoren. Die eigene Wirtschaftskraft und am Ende auch die soziale Situation in den Ländern – das ist ja die Hoffnung der Menschen und auch die Hoffnung Europas, dass über wirtschaftliche Entwicklung dann sich eben auch das reale Leben stabilisiert und positiv gestaltet –, davon sind wir noch weit entfernt.
    Mit Sparen alleine kann es nicht funktionieren
    Müller: Sie reden ja auch viel mit Ihren Gewerkschaftskollegen, mit den Arbeitnehmern, in Portugal, in Spanien, Italien, ja auch in großen Teilen Frankreichs sieht es nicht so gut aus. Sehen Sie dort in irgendeiner Form Zeichen, Anzeichen dafür, dass irgendwann wieder was Vernünftiges produziert wird, was die anderen auch kaufen wollen?
    Vassiliadis: Das ist eine große Diskussion, ich bin ja auch Präsident der europäischen Industriegewerkschaften, des Dachverbandes, und eine große Diskussion, die wir dort führen, ist genau diese Enttäuschung, dass wir zwar viele finanztechnische Impulse sehen auch aus Brüssel, dass auch viel geredet wird über Investitionsprogramme im Sinne einer industriellen Basis, die wiederaufgebaut werden soll, da gibt es einzelne Ideen wie beispielsweise die Energiepolitik. Aber wirklich Realität ist das nicht. Und damit kommen wir in eine Gefahr. Wir machen viele gar nicht schlechte Projekte für Ausbildung von Jugendlichen und so weiter, am Ende bleibt das aber ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man nicht schafft, die eigene wirtschaftlich und auch die industrielle Leistungsfähigkeit dieser Länder wieder zu stärken. Und das ist der Ansatzpunkt, wo ich auch die Hoffnung habe, dass die neue deutsche Regierung erkennt, dass mit Sparen alleine – dagegen spricht nicht generell etwas, aber das funktioniert eben nicht ganz alleine – das nicht funktionieren kann und dass wir eben auch auf einen industriepolitischen Kurs kommen müssen, indem wir den Ländern helfen, wieder eigene Wirtschaftskraft zu fördern.
    Müller: Martin Wansleben wartet schon auf der anderen Leitung. Dennoch zum Schluss ganz kurz die Frage: Das, was bislang gelaufen ist von der Europäischen Kommission, auch von der Bundesregierung, ist nicht mehr gewesen als ein bisschen Kosmetik?
    Vassiliadis: Nein, es war schon auf der finanztechnischen Seite eine sehr konsequente Haltung, wir haben die auch kritisiert, aber damit ist nicht alles falsch gewesen, was passiert ist. Aber es ist sehr, sehr einäugig gewesen. Und nur zu sparen – das haben wir immer gesagt – und nur den Druck zu erhöhen und auch den Anschein zu erwecken, als handele es sich um einen privaten Haushalt, der mal seine Konsumausgaben ein bisschen reduzieren sollte, das ist ein bisschen schlicht. Sondern es geht um Investitionen, und Investitionen bedeuten im besten Fall, wenn es gut läuft, Wachstum von morgen.
    Müller: Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie im Deutschland, danke für das Gespräch, einen schönen Tag noch!
    Vassiliadis: Gerne, Herr Müller, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.