Archiv


Fischen im Meer der Gene

Biologie.- Der Mensch besitzt etwas mehr als 20.000 Gene. Das ist wenig im Vergleich zu dem, was Boden, Luft und Wasser zu bieten haben. Die meisten der darin enthaltenen Gene stammen von Mikroorganismen. Diese könnten interessante Informationen für die Biotechnologie liefern.

Von Michael Lange |
    Der Genforscher Craig Venter ist bekannt als visionärer und streitbarer Wissenschaftler, aber auch als passionierter Segler. So begann er vor etwa zehn Jahren, Wasserproben aus allen Ozeanen der Welt zu sammeln, um sie anschließend im Labor genetisch zu analysieren.

    "In jedem Millimeter Meerwasser leben über eine Million Bakterien und zehn Millionen Viren. Wenn Sie im Ozean schwimmen und etwas Wasser schlucken, dann haben Sie vielleicht 100 Millionen dieser Organismen verschluckt. Winzige, unsichtbare Lebewesen."

    Die Zwischenbilanz fiel beeindruckend aus. Die Mikroorganismen in den Wasserproben enthielten etwa 17 Millionen bislang unbekannte Gene. Damit verdoppelte sich auf einen Schlag die Zahl aller bekannten Gene. Unbekannt blieb jedoch die Funktion der zahlreichen Erbanlagen.

    Die will Lars Leichert, Junior-Professor an der Ruhr-Universität Bochum, nun ermitteln. Dazu braucht er nicht einmal Craig Venters Wasserproben. Ihm reichen die öffentlich zugänglichen Daten. Am Computer vergleicht er den biologischen Code der verschiedenen Gene und zieht Rückschlüsse auf die Proteine, die nach dem Bauplan dieser Gene entstehen.

    "Man kann diese Gene in Familien einteilen, in Gene, die sich sehr ähnlich sind. Das heißt auch: Diese Proteinfamilien haben alle eine ähnliche Funktion. Und unsere Idee ist nun, aus diesen Familien ein repräsentatives Protein auszuwählen, und das genauer zu untersuchen."

    Die Gene, die für einzelne Familien typisch sind, existieren zunächst nur im Computer: Als Reihenfolge genetischer Bausteine, als sogenannte Sequenz. Um sie in lebende Gene zu verwandeln, lässt Lars Leichert sie nachbauen, von einer Firma aus Regensburg.

    Das künstliche Gen fügt er dann in Escherichia Coli Bakterien ein. Die Bakterien aktivieren das Gen und bauen, streng nach dem darauf gespeicherten Code, ein Protein zusammen, ein Eiweiß.

    "Dann haben wir sozusagen aus einer Sequenz, die nur in der Datenbank existiert hat, ein reales Protein gemacht. Und dann können wir eben dieses reale Protein nehmen und können damit Funktionsuntersuchungen machen."

    Einen einfachen Funktionstest hat Lars Leichert bereits entwickelt. Er kann feststellen, ob es sich bei dem Gen um eine sogenannte Oxidase handelt. Dazu benutzt er E. Coli-Bakterien ohne eigene Oxidase. Sie lassen sich leicht erkennen, denn sie sind Nichtschwimmer.

    "Und wir können jetzt unsere Gene aus dem Ozean nehmen, in E. Coli hinein stecken. Und wenn E. Coli dann wieder schwimmen kann, wissen wir, dass das Gen, das wir in E. Coli hinein gesteckt haben, eine Oxidase ist."

    Oxidasen spielen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel vieler Organismen. Aber natürlich hofft Lars Leichert auch weitere interessante Enzyme in dem Datensatz aus den Weltmeeren zu finden. Einige davon könnten für die Biotechnologie von Interesse sein.

    "Dadurch, dass wir vor allem Proteine untersuchen wollen, die nicht zu anderen Proteinen homolog, also ähnlich, sind, können wir uns vorstellen, dass dort völlig neue Biokatalysatoren zu finden sind. Enzyme, die neue Reaktionen katalysieren oder eben bereits bekannte Reaktionen besser katalysieren als bereits bekannte Biokatalysatoren."

    So könnte es sein, dass im Meerwasser Gene für besonders stabile Eiweiß abbauende Enzyme zu finden sind. Sie könnten Waschmittel besser oder umweltverträglicher machen. Deshalb hoffen viele Biotechnologen auf neue Ideen aus den Genen im Meer.