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Fleischkonsum ohne Folgen

Paläoanthropologie. - Werkzeuge und Fleischkonsum zeichneten, so glaubten bislang die Paläoanthropologen, den Frühmenschen gegenüber den primitiveren Vormenschen aus. Das scheint falsch zu sein, denn in der aktuellen "Nature" werden Werkzeugspuren an Tierknochen aus Vormenschenzeiten vorgestellt. Die damals lebenden Homininen hatten aber, dem Fleischkonsum zum Trotz, kein größeres Gehirn. Auch diese Hypothese der Anthropologen steht daher auf dem Prüfstand.

Von Ulrike Schnabel |
    Es sind zwei kleine Stücke Knochen, die die Archäologen so in Aufregung versetzen. Denn auf diesen kleinen Stücken, es sind die Reste einer Rippe, haben die Wissenschaftler aus Leipzig und San Francisco Einschnitte und Kratzspuren entdeckt, die nur dann entstehen, wenn ein scharfer Stein über den Knochen schabt - ein Hinweis auf den frühen Gebrauch von Steinwerkzeugen. Eigentlich sollten nur Menschen der Gattung homo, also unserer eigenen Art, dazu in der Lage sein. Doch die Knochen, um die es geht, sind 3,4 Millionen Jahre alt und stammen damit aus einer Zeit, in der es noch keine Menschen der Spezies homo gab. Stattdessen lebten damals rund um die Fundstelle in Äthiopien die Vormenschen Australopithecus afarensis, zu denen auch die weltberühmte Lucy gehörte. Für den Archäologen Shannon McPherron ist der Fund deshalb eine Sensation:

    "Diese Entdeckung ist aus mehreren Gründen aufregend: Zum einen verschiebt sie den ersten Gebrauch von Werkzeugen deutlich nach vorne. Außerdem verbindet sie ihn mit einer neuen Spezies und trennt zwei Dinge, von denen wir bisher annahmen, dass sie zusammengehören: Fleischkonsum und Gehirnwachstum"

    Denn bisher war die gängige Meinung, dass der Mensch erst durch den regelmäßigen Verzehr des energiereichen Fleisches so viele Ressourcen übrig hatte, dass das Gehirn wachsen konnte. Was den Menschen letztendlich zum dem werden lies, was er heute ist. Doch Lucy und ihre Verwandten hatten ein kleines Gehirn, obwohl sie wohl Fleisch aßen. Das kann bedeuten, dass Fleischkonsum und Gehirnwachstum nichts miteinander zu tun haben, denn erst eine Million Jahre nach Lucy vergrößerte sich das Gehirn massiv. McPherron:

    "Das zwingt uns zu überdenken, wie diese verschiedenen Faktoren die menschliche Evolution beeinflusst haben."

    McPherron und seine Kollegen werten die Knochenfunde aus Äthiopien als Beleg, dass Australopithecus Steinwerkzeuge genutzt hat, um Fleisch von Kadavern zu schneiden und die Knochen zu zertrümmern, um an das Mark zu gelangen. Denn gejagt haben die Menschen erst sehr viel später. Ungefährlich war das für Lucys Spezies aber trotzdem nicht.

    "Fleisch auf den Speiseplan zu setzen, ist alles andere als einfach. Es bedeutet nämlich, dass diese Menschenart, die sich in der Nähe von Bäumen sehr wohl fühlte, hinaus in die offene Savanne musste, um Tierkadaver zu finden. Und das ist gefährlich, denn Kadaver ziehen auch Raubtiere an und die sahen die frühen Menschen als Beute an."

    Dieses Risiko hat sich für die Vormenschen Australopithecus nur deshalb gelohnt, weil sie Fleisch mit mehr Nährstoffen versorgt hat als rein pflanzliche Kost. Gefunden haben die Forscher die Steinwerkzeuge bei den Knochen nicht. Deshalb bleibt unklar, ob Lucys Verwandte diese Steine selbst bearbeitet hatten oder sich nur passende Steine gesucht hatten. Eines wissen die Forscher aber sicher: In der Umgebung der Fundstelle gab es nichts, was den Vormenschen als Steinwerkzeug hätte dienen können.

    "Das bedeutet, dass sie diese Steinwerkzeuge im Gepäck hatten, vielleicht in der Erwartung, einen Kadaver zu finden. Und genau das ist interessant, denn es deutet auf eine Art von Planung und vorausschauendem Handeln hin. Für klare Schlussfolgerungen ist es aber noch zu früh, schließlich haben wir bislang nur eine Fundstelle mit gerade mal zwei Knochen."
    Genau deshalb sind weitere Forschungen notwendig. Zum einen, um weitere Knochen mit Einschnitten aus dieser Zeit zu finden. Und außerdem, um die Gegenden zu lokalisieren, in denen sich Lucy und ihre Verwandten passende Steine besorgt haben könnten. Denn das vermuten Shannon McPherron und seine Kollegen: Lucy war mit einem Werkzeug aus Stein unterwegs, auf der Suche nach Kadavern.